Wenn mich jetzt jemanden fragen würde, was genau die Faszination ausmacht, die von U2 ausgeht, wüsste ich keine einfache Antwort darauf. Seit Jahren versuche ich dieses Mysterium zu ergründen, seit einigen Monaten habe ich – endlich – die Muse gefunden, mich einmal wirklich eingehender damit zu beschäftigen. Meine bisherige These: Die Band schafft es, mit sehr einfach wirkenden Mitteln eine gewisse Tiefgründigkeit zu erzeugen. Ihre Musik kratzt an der tiefsten Ebene des Bewusstseins und berührt einen noch darunter.
Auch diese wunderbare Konzertaufnahme bestätigt das.
Die frei stehende Bühne mit dem herzförmigen Ring, der in die Zuschauerreihen hinausragt, mag komplex sein. Doch alles andere lebt von Licht, spärlich aber bedacht gesetzten Leinwand-Projektionen und nicht zuletzt der Performance der Bandmitglieder, allen voran Frontmann Bono und Gitarrenheld The Edge. Von Mammut-Zweikampf auf dem Herzring, Herumgehüpfe, über Flirtereien mit (weiblichen) Fans bis hin zu erheiternden Sprüchen wird alles geboten. Bassist Adam Clayton und Drummer Larry Mullen Jr. machen im Gegensatz zu den anderen beiden zwar keine grossen Kapriolen auf der Bühne, ihre Wichtigkeit für die Vierertruppe ist jedoch durchaus bemerkbar und steht bekannterweise sowieso ausser Frage. Die Setlist bietet eine gute Mischung aus eher alten, eher mittel-alten und (damals noch) ganz neuen Sachen, die 90er-Ära wird allerdings ein wenig aussen vor gelassen.
Einerseits erwartet man von U2 natürlich keineswegs weniger, andererseits hat das Zusehen genau wie ihre Musik diese gewisse oben erwähnte Wirkung, der man sich kaum entziehen kann. Das macht wohl eine Kombination unzähliger Faktoren. Sei es die von Fans so geschätzte hallende Gitarre von The Edge, die charismatische Ausstrahlung und/oder nur allzu sanfte Schmachtstimme von Bono, das unaufdringliche, ausgleichende Vorhandensein von Clayton und Mullen nebendran… Man könnte das über diese Show hinaus weiterziehen: Die Texte, die politischen Statements (was ja bei ihnen so ein bisschen part of the deal ist, wenn man ihre Musik hören möchte, hier angenehmerweise aber spärlich gehalten wird), der spürbare Enthusiasmus der Band-Mitglieder, die trotz ihrer Grösse eine gewisse Fan-Nähe zu wahren suchen, die Dynamik zwischen diesen vier Menschen, die sich auch in der Musik niederschlägt… Wie gesagt, ich weiss es nicht so genau.
Fakt ist, dieser hier vorliegende Konzertfilm hilft, es ein klein wenig besser zu verstehen und ist ausserdem eine durchaus vergnügliche Abendunterhaltung. Die Energie und Leidenschaft, mit der die Band diese Show bestritten hat, ist trotz eines sichtlich angeschlagenen Bono bis aufs Sofa zu spüren, vielleicht sogar bis in die Nachbarswohnung (weiss ich ebenfalls nicht so genau, zumindest haben sich meine nicht beschwert). Trotz aller Einfachheit bleibt kaum ein Effekt aus und ach ja… Weibliche Fans seien schon mal vorgewarnt, vielleicht eine Absturzsicherung am Sofa anzubringen. ;-)
Dieses Konzert wie die dazugehörige Tour werden von den Medien offenbar gerne als super-legendär und übermässig toll dargestellt. Zu ersterem kann ich nichts sagen, ich weiss nicht, wie andere Shows der Band sind. Letzterem hingegen kann man nur zustimmen. Oder wie es im Booklet steht: „Their music lifts you up, it’s big enough to do that.“ Das ist ein Werbetext, der definitiv stimmt.
Punkte: 9 / 10