Tomte Buchstaben Über Der Stadt (2006) - ein Review von Rock Rendezvous

Tomte: Buchstaben Über Der Stadt - Cover
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1 Review
10
10 Ratings
8.55
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


Rock Rendezvous
10.06.2008 03:11

"Buchstaben über der Stadt" ist ein typisches Tomte-Album. Beim ersten Hören ist man komplett überfordert, behält trotzdem aus jedem Lied mindestens eine Zeile im Kopf. Beim erneuten Hören wird es dann von mal zu mal immer besser, man gewöhnt sich mit der Zeit an die Texte und erschließt die komplexen Satzstrukturen und entdeckt Wörter, die man erst mal im Fremdwörterbuch nachschlagen muss. Doch halt! Was ist das? Positiv gestimmte Texte?

Was Thees Uhlmann bisher nur bei Texten über Alkohol oder seinen Hund gelang, zieht sich hier über das gesamte Album fort: Glückseeligkeit. Dieses Album ist eine fast dreiviertelstündige Ode an die Liebe. Auch das Booklet scheint wie eine Ode. Eine Ode an eine Frau. In den Linernotes, die mehr wie eine kleine Zusammenfassung der Lebens- und Bandgeschichte aus Thees Uhlmanns Augen anmuten, spricht Thees mehrmals direkt seine Freundin an. Es ist wundervoll irgendwie. Es ist das Leben.

Das mittlerweile vierte Album der Band ist allein textlich ganz und gar nicht mit dem Vorgänger "Hinter all diesen Fenstern" zu vergleichen. "Hinter all diesen Fenstern" war ein Album, das aus allem negativen auch etwas Positives hat ziehen lassen. Vielen Menschen hat es in oft sehr schweren Situationen geholfen. Es war sozusagen eine Lebenshilfe. "Buchstaben über der Stadt" hingegen ist eine Lebensbeschreibung für glückliche Menschen. Es kam pünktlich zu einer Zeit, in der die "Lebenshilfe" gerade neue Kraft gegeben hat und der positive Zenith erreicht war.

Das fängt schon beim ersten Lied an. "Ich sang die ganze Zeit von dir" ist ein Liebeslied besonderer Güte. Es handelt genau genommen nämlich nicht von Liebe, sondern eben von "dir". Nicht zu Unrecht trug dieses Lied den Arbeitstitel "QUOTSA", denn musikalisch erinnert die Akkordfolge schon ein wenig an Queens of the Stone Age. Mit "So soll es sein" und "Was den Himmel erhellt" folgen zwei eher mäßige Songs, wobei letzterer spätestens nach 2 Minuten und genau 46 Sekunden immer größer wird.

Getoppt wird dies nur durch das anschließende "New York". Noch nie hat jemand so ehrwürdig die Worte "Reservoir" und "Refrain" gesungen. Thees Uhlmann erzählt hier völlig unbeschwert von der "Stadt mit Loch" - ganz einfach, weil ihm keine andere Phrase eingefallen ist, die den Zustand dieser Stadt besser hätte beschreiben können. Dieses Lied ist so persönlich, dass sich niemand anmaßen sollte, diesen Text für sich zu beanspruchen.

"Man fühlt sich, als habe man die Liebe erfunden."

Diese Zeile ist so wahnsinnig treffend. Dieses wundervolle Lied beschreibt soviel Wahres. Zu sagen, die Liebe erfunden zu haben, ist zwar schon sehr gewagt, immerhin gab es Liebe ja schon vor dem jeweiligen "uns". Allerdings hat jeder Mensch logischerweise eine andere Auffassung von Liebe, was die Aussage andererseits wieder legitimiert. Nach hinten heraus wächst auch dieses Stück immer mehr über sich hinaus. Die Tomte-typischen langen Vokale sind hier in ihrer vollen Pracht zu genießen. Sincerely Thees Uhlmann eben.

Typisch Thees Uhlmann ist übrigens auch, dass man seine Wörter ab und zu nicht versteht. Da wird zum Beispiel aus "dir" schnell mal "Liebe". Irritiert vielleicht, stört aber nicht. Wenn sich jedoch "als" plötzlich so anhört wie "hat", dann kann das bei manchen Menschen schon mal zu schwerwiegenden Verständnisproblemen führen. So zu beobachten in "Walter & Gail". Dort heißt es dann augenscheinlich nämlich fälschlicherweise "hat die kanadische Band ihre traurigen Lieder sang." Fehler erkannt? Trotz alledem wird auch dieses Lied - welch Überraschung - nach schleppendem Beginn nach hinten raus ganz, ganz stark.

Anders ist das bei den nächsten Titeln. "Norden der Welt" und "Warum ich hier stehe" legen genau wie "Sie lachen zu Recht und wir lachen auch" von Anfang an eine gewisse Grundschnelligkeit zu Tage, die mit der thematischen Situation der Rastlosigkeit vollkommen harmonieren. Das vorletzte Stück, "Auf meinen Schultern", lässt sich weder musikalisch noch thematisch in den Zusammenhang des Albums einordnen, was aber nicht heißen soll, dass es nicht hörenswert ist. Im Gegenteil: Das kleinste Stück der Platte - nur mit einer Akustikgitarre begleitet - bietet viele Interpretationsmöglichkeiten, die hier vollkommen offen gelassen werden sollen.

"Buchstaben über der Stadt" ist ein Album für glückliche Menschen. Ich glaube kaum, dass Menschen, die unglücklich und alleine sind, die wahre Erfüllung in diesem Album finden werden. Dafür ist es einfach zu sehr auf das Thema der Liebe fixiert. Es ist kein Alltagsalbum und es ist erst recht nichts, was man zu jeder Tages- und Nachtzeit und in jedem beliebigen Gemütszustand hören kann. Die ideale Situation zum Hören bietet sich wohl an einem ruhigen Spätnachmittag bei gutem Wetter und passender Begleitung. Diese CD benötigt viel, viel Zeit, um sich in ihrer vollen Breite zu entfalten. Es verhält sich wie mit einem guten Wein. Je länger er steht, desto intensiver entfaltet er sich. Und mal im Ernst: Wer trinkt schon gerne alleine Wein?

Abschluss dieses vollkommen befindlichkeitsfixierten Albums ist das ruhige "Geigen bei Wonderful World". Über dieses Lied lässt sich eigentlich nicht viel sagen. Die letzten beiden Zeilen fassen im Grunde das Lied, das Album und das gesamte Leben perfekt zusammen:

"Durch das schönste aller Leben mit den schönsten Songs der Welt."

Punkte: 7.5 / 10


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