Soko Friedhof Jesussaft (2006) - ein Review von DarkForrest

Soko Friedhof: Jesussaft - Cover
1
1 Review
1
1 Rating
9.00
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Dark Wave / Gothic


DarkForrest
23.12.2023 21:23

Mitte der 2000’er erlangte neben den Untoten auch David A. Lines Sideproject Soko Friedhof so langsam immer mehr Bekanntheit in der Szene und einen wichtigen Teil dazu dürfte auch der Clubhit “Blutrünstiges Mädchen” beigetragen haben. Danach folgte ein für Soko-Verhältnisse eher ruhiges Jahr 2005. In diesem Jahr wurde zwar das Debüt “Grabschönheiten” neu aufgelegt und eine Best Of veröffentlicht, aber wir reden hier immerhin von Soko Friedhof, die damals wirklich jedes Jahr ein Album rausgeballert haben. So gesehen, konnte man das Jahr 2005 damals schon als so eine Art kleine Pause betrachten.

2006 ging es dann aber mit “Jesussaft” fröhlich weiter und irgendwo merkt man hier, dass sich unser kleines Sideproject ein Stückchen weiterentwickelt hat. Das fällt schon in der äußeren Gestaltung der CD auf. Statt den ollen Werbekatalogen gibt es jetzt zum ersten Mal ein vollwertiges Booklet. Aber auch inhaltlich hat sich einiges getan. Zum ersten Mal sind alle Lyrics komplett deutsch (was so auch erstmal für ein paar Jahre beibehalten werden sollte). Und auch musikalisch wird eine etwas klarere Linie gefahren. Der wilde Mix unterschiedlicher Genres ist jetzt erst einmal auf Eis gelegt. Stattdessen verschreibt man sich jetzt voll und ganz der elektronischen Musik. Schrammelige Gitarren gibt es hier und da höchstens noch im Hintergrund, aber endlich haben wir einen musikalischen roten Faden, der sich durch das ganze Album zieht. Und auch die Tonqualität ist erstmals konstant und so einen wilden Wechsel zwischen klarem Sound und schlechter Demo-Qualität wie wir ihn noch auf “Blutrünstiges Mädchen” erlebt haben, gehört jetzt der Vergangenheit an.

Trotzdem hat “Jesussaft” überhaupt kein Problem mit mangelnder Abwechslung. Im Gegenteil: ein paar nette verrückte Ideen aus den Zeiten von “Die Geschichte Eines Werwolfs” wurden wiederbelebt. So haben wir jetzt stolze 19 Tracks, unter denen sich vollwertige Songs, aber auch kurze, auf Samples basierende kleine Auflockerungen befinden. Und obwohl alles sehr elektronisch klingt, wird hier ein breites Spektrum von absolut tanzbar bis über verträumt bis hin zu schwer melancholisch abgedeckt. Und bevor wir uns die ersten Songs anschauen, muss ich nochmal ehrlich sagen, dass ich hier sicherlich nicht komplett neutral bin, da “Jesussaft” das erste Soko-Album ist, dass ich mir damals als Teenie gekauft habe. Nachdem mir schon vorher einzelne Soko-Songs gut gefallen haben, habe ich 2006 direkt beim Release zugegriffen, mich verzaubern lassen und habe auch kurze Zeit später einen guten Teil der Songs live gesehen. Damit hat das Album bei mir natürlich den ultimativen Fanboy-Bonus. Aber mal gucken, wie es sich 17 Jahre später halten kann.

Los geht es mit “Müllmann” - dem einzigen Song, den man auch ein Jahr vorher schon auf der Best Of bestaunen durfte. Der Song gibt ordentlich Gas. Nach einem kurzen Intro, legt er ein ordentliches Tempo ein und wird direkt zu einem tanzbaren Ohrwurm - schöner Einstieg.

Auch der Titelsong “Jesussaft” macht direkt eine ganze Menge richtig. Was wir hier haben ist ein schneller und kurzer Song unter drei Minuten mit ziemlich abgefuckten Lyrics und A. Line wenn er seine punkigsten Vocals rausholt - also eigentlich ein Oldschool-Song, wie man ihn aus den 90’ern erwarten würde, aber angepasst auf den damals modernen Klang der Soko - indem man die Gitarren zum Beispiel durch extrem aggressive Beats ersetzt hat - und komplett auf deutsch und ich bin echt erstaunt, wie gut das funktioniert.

Ein wenig verzerrte Gitarre gibt es zumindest bei “An Einem Tag Wie Diesem”, wenn auch nur im Hintergrund. Den absolut deprimierenden Lyrics steht hier ein unglaublich kraftvoller und schneller Song gegenüber und die Vocals bewegen sich entsprechend genau an der Grenze zwischen düster-melancholisch und wütend-brutal. Und die Mischung aus Gitarre und Elektro sorgt für eine krasse Dynamik, bei der man nicht weiß, ob man tanzen oder headbangen soll.

“Bumsen Läuft Nicht…” wäre dann das erste kürzere Stück, dass stark auf Samples und harte Elektro-Klänge setzt. Erinnert mich ein bisschen an das alte “Geküsst Wird Nicht” von Festival Der Geisteskranken, nur dass “Bumsen Läuft Nicht…” leider nur gut eine Minute lang ist. An sich ist die Nummer zwar sehr simpel, aber sie funktioniert und hätte nicht unbedingt nach so kurzer Zeit plötzlich abbrechen müssen.

Aber dafür gibt es direkt danach “Die Liebe Kann Schrei’n” - ein Song, der mir auch heute noch jedes Mal Gänsehaut macht. Schwer zu sagen, was genau diesen ruhigen Song so faszinierend macht. Die perfekte Harmonie zwischen David A. Line und Greta Csatlos, die hier einen von zwei Gastauftritten auf “Jesussaft” hat, den sehr dezenten Keyboardeinsatz, den konstanten Beat, der sich wie ein Herzschlag durch den Song zieht? Wahrscheinlich die Kombination aus allem.

Mit “Miststück” wird es dann wieder etwas vulgärer. Ähnlich wie “Bumsen Läuft Nicht…” ist Miststück ein kurzes Interlude von ~1 Minute, bei dem gesprochene Samples und harter Elektro gut aufeinander abgestimmt sind, nur dass “Miststück” es schafft in der kurzen Zeit sowas ähnliches wie eine Spannungskurve aufzubauen, die sich dann am Ende entlädt, wodurch die kurze Laufzeit und das plötzliche Ende hier sehr gut funktionieren.

“Böses Blut” wäre dann einer von mehreren eher verträumten Tracks, die eine ziemlich eigene Atmosphäre schaffen, wie man sie in der Form fast nur auf “Jesussaft” findet. “Böses Blut” ist dabei ein interessanter Fall, da es trotzdem Vocals, Gitarren, Keyboard und recht dominanter Elektro-Sounds nicht überladen wirkt. Vielleicht liegt das daran, dass alle Elemente über die Zeit von über 5 Minuten sehr konstant eingesetzt werden. Das sorgt dafür, dass “Böses Blut” für eine recht lange Zeit ohne große Höhepunkte dahinplätschert, was man sicherlich kritisch sehen kann, aber der ganze Song bleibt halt auch über die ganze Zeit durchgehend solide und wenn es darum geht, das Album am Stück zu hören oder wirklich gute Hintergrundmusik zu haben, dann bin ich froh, “Böses Blut” dabei zu haben.

Zu “Grabräuber” kann ich wirklich nicht viel sagen - ein Mini-Ambient-Track von unter 20 Sekunden mit irgendwelchen Film-Samples. Trägt nicht viel zum Album bei, tut aber auch nicht weh.

“Grufties” wäre dann das, was ich auf “Jesussaft” am ehesten als Gimmick-Song bezeichnen würde. Wir haben hier eine Version von “Zehn Kleine Negerlein”, nur eben mit zehn kleinen Grufties und einer Parodie über alle möglichen Szene-Klischees. Wenn irgendein Projekt sowas gut hinbekommt, dann ganz sicher Soko Friedhof und klar: wenn man es zum ersten Mal hört ist es sicher lustig, aber da sämtliche musikalische Qualitäten hier zweitrangig sind und es bei “Grufties” wirklich nur um Humor und Parodie geht, nutzt sich der ganze Spaß halt sehr schnell ab. Aber für die ersten drei Male, die man das Album hört, sicherlich eine ganz witzige Idee der schrägen Unterhaltung.

Das hocherotische “Dein Geruch” kann dann ganz gut für fast 5 Minuten mit gutem Timing und Rhythmus überzeugen und würde meinen alten Hintern auch heute noch auf die Tanzfläche bringen, während “Soldat Sein” mit seinen extrem harten Beats fast schon Moshpit-tauglich ist. Letzteres ist eine kurze Nummer von knapp zwei Minuten, die einem ganz gut die Gehörgänge freipustet um dann plötzlich von einem kurzen Track unterbrochen zu werden, der sich schwer beschreiben lässt: 9 Sekunden, in denen sich besorgte Passanten empört zeigen? Da der kurze Track nicht auf der Tracklist auf der Rückseite enthalten ist, sorgt das Ganze auch schön für Verwirrung, wenn man danach beim Auflisten der Songs ab hier verrutscht.

Danach wird es mal wieder Zeit für einen richtigen Song, den wir mit “Tripcreator” bekommen und trippy ist der Song allemal. Cool finde ich, dass wir hier endlich eine vollwertigen Song von über 4 Minuten haben, der nur aus Musik und Samples besteht und trotzdem super funktioniert. Erinnert an die Zeiten von “Grabschönheiten” nur in besserer Qualität und gut angepasst an den Sound von “Jesussaft”.

“Seltsam” ist einer der wenigen Songs auf “Jesussaft”, mit denen ich leider wenig anfangen kann. Er wirkt für mich als eine allererste zarte Vorstufe zu dem späteren Hip Hop Rotz, den A. Line mal für eine kurze Zeit rausbringen sollte, bei dem sehr einfache Beats und ansonsten nur die gar nicht mal so guten Sprechgesang-Vocals in den Vordergrund gestellt wurden. Im Vergleich dazu ist “Seltsam” sicherlich noch okay, aber für mich auch nicht mehr als ein halbwegs solider Filler.

Dagegen ist “Der Müllmann Und Das Mädchen” wieder ein mehr als ordentliches Beispiel dafür, wie man einen Song macht, bei dem die Vocals stärker im Vordergrund stehen. A. Line übernimmt hier die Strophen und Csatlos den Refrain und mal wieder sind beide perfekt aufeinander abgestimmt.

“Hexensommer” ist dann mit seinem pulsierenden Beat und seiner hypnotischen Wirkung die optimale Mischung aus “Böses Blut” und “Dein Geruch”. Es hat diesen angenehm konstanten Flow über 5 Minuten von “Böses Blut” und dabei gleichzeitig die Atmosphäre von “Dein Geruch”. Sehr, sehr gelungener Track!

Experimentell wird es dann nochmal mit “Ich Hasse Alles & Jeden”. Die Vocals hier sind recht stark verzerrt und teilweise sogar schwer zu verstehen, der Text ziemlich abgefuckt und die musikalische Untermalung recht bunt. Definitiv kein Hass-Song für mich, sondern der Beweis, dass “Jesussaft” auch nach so vielen Tracks noch frische Ideen mitbringt.

Gegen Ende wird es dann mit “Von Hinten & Von Vorn” nochmal sehr eingängig. Das hier dürfte der poppigste und tanzbarste Song auf dem Album sein. Und warum auch nicht? Qualitativ ist es super umgesetzt und macht auch heute noch Spaß.

Ganz zum Schluss haben wir aber noch einen zweiten namenlosen Track, der nicht auf der Tracklist erscheint - diesmal sogar ein vollwertiger Song. Kein echter Hidden-Track, da er einfach direkt nach “Von Hinten & Von Vorn” läuft - also keine Ahnung, warum er nicht mit aufgelistet ist. Unser namenloser Song ist aber ein sehr gelungener Abschluss für “Jesussaft”, da er die Atmosphäre des Albums noch ein letztes Mal sehr schön einfängt und gut zusammenfasst, was es die letzte Stunde zu hören gab.

Am Ende bin ich auch heute noch genauso von “Jesussaft” angetan wie damals. Es bleibt für mich auf einem Level mit “Die Geschichte Eines Werwolfs”, wobei sich die Alben auch etwas ähneln. Ja, der Stil war jeweils recht anders und “Die Geschichte Eines Werwolfs” war ein Konzeptalbum, wobei sich aber einzelne Themen auch immer mal wieder durch mehrere Songs auf “Jesussaft” ziehen und wir hier auch wiederum ein klares musikalisches Konzept haben. Auf der anderen Seite sind beide Alben nicht nur recht umfangreich, sondern auch sehr offen für Instrumentals und kürzere Tracks.

Auf jeden Fall macht “Jesussaft” kaum etwas falsch und beinhaltet ein paar meiner absoluten Soko-Favoriten. Während man sich das eine oder andere Soko-Album wirklich sparen kann, führt für mich als Fan absolut kein Weg an “Jesussaft” vorbei.

Punkte: 9 / 10


Warum sind die Cover-Bilder verpixelt?

Bedankt euch bei deutschen Abmahn-Anwälten

Leider passiert es immer wieder, dass Abmahnungen für angebliche Copyright-Verletzungen ins Haus flattern. Ganz häufig ist es der Fall, dass auf dem Frontcover ein Foto oder eine Grafik eines Fotografen oder Künstlers genutzt wird, was dann nur mit dem Namen der Band und dem Titel des Albums versehen wurde. Das ursprüngliche Foto/Kunstwerk ist somit immer noch sehr prominent zu sehen. Die Abmahner nutzen zumeist automatisierte Prozesse, die das Netz nach unlizensierten Nutzungen der Werke ihrer Mandanten durchsuchen und dabei Abweichungen bis zu einem gewissen Prozentgrad ignorieren. Somit gibt es also häufig angebliche Treffer. Obwohl das Foto/Kunstwerk von den Plattenfirmen oder Bands ganz legal für die Veröffentlichung lizensiert wurde, ist dies den Abmahnern egal, ganz oft wissen die ja nicht einmal, was für eine einzelne Veröffentlichung abgemacht wurde. Die sehen nur die angebliche Copyright-Verletzung und fordern die dicke Kohle.

Da Musik-Sammler.de nachwievor von privater Hand administriert, betrieben und bezahlt wird, ist jede Abmahnung ein existenzbedrohendes Risiko. Nach der letzten Abmahnung, die einen 5-stelligen(!) Betrag forderte, sehe ich mich nun gezwungen drastische Maßnahmen zu ergreifen oder die Seite komplett aufzugeben. Daher werden jetzt alle hochgeladenen Bilder der Veröffentlichungen für NICHT-EINGELOGGTE Nutzer verpixelt. Wer einen Musik-Sammler.de Nutzeraccount hat, braucht sich also einfach nur einmal anmelden und sieht wieder alles wie gewohnt.