Soko Friedhof Die Geschichte Eines Werwolfs (2002) - ein Review von DarkForrest

Soko Friedhof: Geschichte Eines Werwolfs, Die - Cover
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9.00
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Dark Wave / Gothic


DarkForrest
09.12.2022 06:27

Ein Soko Friedhof Album als "merkwürdig" oder "ungewöhnlich" zu bezeichnen mag seltsam erscheinen - irgendwie sind die Dinger ja alle etwas weird auf ihre Art. Aber ein Album stach für mich für lange Zeit immer aus deren Diskographie: Album Nummer 3 - "Die Geschichte Eines Werwolfs". Während die meisten Soko-Alben relativ bunt, schrill und trashig daherkommen, geht es hier die meiste Zeit nicht nur etwas ruhiger, sondern auch ein gutes Stück subtiler zur Sache. Und während David A. Line inhaltlich meistens ein eher loses Konzept auf seinen Alben verfolgt ist das hier eines der Alben, auf denen der rote Faden etwas deutlicher zur Geltung tritt und wohl auch soetwas wie eine durchgehende Geschichte erzählt wird: unter anderem werden hier Elemente aus dem Buch "Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin verarbeitet und auch der Mordfall von Witten soll wohl bei der Entstehung des Albums eine große Rolle gespielt haben.

Ich bin mal ganz ehrlich: Ich raffe das Konzept des Albums nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich "Berlin Alexanderplatz" nie gelesen habe oder ich bin einfach zu doof oder nicht künstlich begabt genug dafür. Glückwunsch an jeden, der das etwas merkwürdige Albumcover, das Buch und die einzelnen Songs miteinander in einen sinnvollen Gesamtkontext bringen kann - ich vermag das nicht. Wobei ich aber sagen muss, dass einzelne Songs und Lyrics auch für sich alleine genommen bei mir ganz gut funktionieren.

Interessant dürfte auch die Zeit sein, in der das Album entstanden ist: 2001 ermordete das Ehepaar Ruda einen bekannten auf brutale Art und Weise. Beide waren Spinner, aber leider Spinner, die mit der schwarzen Szene in Verbindung gebracht wurden. Als Folge wurde medial ein großer Kübel Scheiße über die ganze Szene ausgekippt und deren Mitgliedern von Satanismus über rechte Ideologien so ziemlich alles böse unterstellt, was man finden konnte. Besonders hart hat es an der Stelle :Wumpscut: und Soko Friedhof erwischt, da sich am Fluchtauto bzw. der Wohnungstür der Täter Sticker der beiden Projekte befanden. Während Rudy Ratzinger das Ganze in einem eigenen Song verarbeitete, der eine Art Collage aus den beklopptesten Aussagen aus der Berichterstattung über den Fall war, wurde "Die Geschichte Eines Werwolfs" zumindest mehr oder weniger durch die Geschehnisse beeinflusst, auch wenn bis auf ein kurzes Zitat aus den Nachrichten in einem der Songs nie ganz so direkt auf den Fall eingegangen wird.

Aber kommen wir mal zum eigentlichen Album, denn da haben wir ein bisschen was vor uns. Ganze 18 Songs warten diesmal auf uns und auch wenn die Songlänge durch viele kürzere Songs und Interludes stark variiert, kommen wir am Ende auf ca. 1 Stunde Laufzeit. Los geht's mit dem Intro "Die Geschichte Eines Werwolfs" und… naja. Ich habe mich ja schon über das Intro von "Im Beichtstuhl Der Begierde" beschwert, aber das hier gibt mir noch weniger. Ich nenne es mal eher "Geräusche" mit einer stark verzerrten Stimme drüber. Ein bisschen cool ist, dass es zwischen den Songs immer mal wieder auftaucht und damit eine Art Themen für das Album bildet, aber es klingt schon ziemlich schrottig. Aber das war ja nur das Intro.

Wesentlich cooler wird es dann direkt mit "Ghosts Of Berlin" - eine unaufgeregte, melancholische Nummer, in der A. Line mit sehr tiefen und dunklen Vocals glänzen kann. Obwohl der Song recht kurz und simpel aufgebaut ist, trifft er bei mir direkt in's Schwarze. Mit dem "Totenkopfmausgedicht" haben wir dann ganz kurz ein wenig dunkle Lyrik, mit der ich wieder etwas weniger anfangen kann (wir hatten ja schon etabliert: ich bin dumm) und nachdem jetzt gerade mal einer von drei Tracks ein Song im engeren Sinne ist, könnte man sich so langsam Sorgen darüber machen, wie viel Musik wirklich in "Die Geschichte Eines Werwolfs" steckt, aber zum Glück wird es ab jetzt etwas melodischer und im Vergleich zu "Im Beichtstuhl Der Begierde" gibt es hier tatsächlich etwas weniger Ambient-Füllmaterial.

"Fliegengott" ist der erste längere Song und obwohl die Grundzutaten hier noch die selben sind wie auf dem Debütalbum, kann man hier ganz gut erkennen, wie weit sich die Soko schon entwickelt hat. Auch auf bei "Fliegengott" haben wir einen einfachen Elektro-Sound, nur sehr dezente Vocals und Sprachsamples als Grundgerüst. Das Tempo ist hier aber eher mittel bis langsam und trotzdem ist der Song schön intensiv und hat eine fast schon hypnotische Wirkung. Spannend ist, dazu gleich danach im Kontrast "Bizarre Dreams" zu hören - wahrscheinlich von allen Songs auf diesem Album derjenige, der am besten auf "Grabschönheiten" gepasst hätte. Hier haben wir eher mal Elekto-Daueraction und schrammelige Gitarren. Klingt gar nicht mal so unähnlich wie "Schwarzer Mund" vom Debüt und während ich finde, dass "Schwarzer Mund" damals vergleichsweise komplex klang, klingt "Bizarre Dreams" im Vergleich zum restlichen Album fast schon primitiv. Auch das zeigt, wie schnell sich die Soko entwickelt hat. Davon abgesehen mag ich "Bizarre Dreams" aber in seiner rohen Wildheit - zumal es davon auf "Die Geschichte Eines Werwolfs" tatsächlich eher wenig zu bewundern gibt.

Genau das zeigen dann auch schon die nächsten beiden Songs sehr deutlich. "Biberkopfs Prayer" hat sehr zarte, fast schon verletzlich klingende Vocals und "Scum Of The Earth" hat trotz fetten Beats einen etwas gesetzteren Sound und geht in eine sehr unironische Darkwave-Richtung. Beides sehr gute, wenn auch etwas kurze Songs.

"I Was Your Slave Again" ist dann wieder sehr gewöhnungsbedürftig. Punkte gibt's auf jeden Fall für Experimentierfreude, denn genretechnisch wagt man sich hier sehr aus der Komfortzone. Ich würde das am ehesten noch als Trip Hop bezeichnen, bei welchem Greta Csatlos die Vocals stellt. Mir etwas zu abgespaced, aber zumindest interessant. "Painting The Dead" ist dagegen wieder total mein Ding - ein sehr atmosphärischer, langsamer Song, bei dem A. Line schon wieder zeigt, dass er auch die leisen Töne gut treffen kann. Mit 5 Minuten Laufzeit hat die ganze Nummer auch genug Raum, sich zu entfalten - zum Beispiel, indem sich ganz dezent im Laufe des Songs Schlagzeug und Gitarre dazu mischen. Sowas könnte ich mir auch ganz gut am Ende eines Albums vorstellen. Hier in der Mitte ist es sicher auch ganz gut aufgehoben, allerdings bildet das folgende "Asylum" schon einen sehr harten Kontrast, indem es einem gleich mal mit Keyboards bombardiert. Trotzdem mag ich "Asylum" mit seiner eher beschwingten Atmosphäre ganz gerne - lockert das Album etwas auf.

… zumindest für kurze Zeit, bis wir "Eliminate Your Pain" zu hören bekommen - Ebenfalls eine ruhige Ballade, aber diesmal eine mit der A. Line sich wirklich übertroffen hat. Für mich persönlich der absolute Höhepunkt wenn es um stillere oder ernsthaftere Soko-Songs geht. Gänsehaut ist hier bei mir fast schon in dem Moment garantiert, in dem ich mir das anhöre. Ein unglaublich starkes Stück! Der nächste Song "Satans Bed" schneidet netterweise "Eliminate Your Pain" nicht abrupt ab, im Gegenteil: der Übergang zwischen den Songs ist so nahtlos, dass beide Songs sich einen Track auf der CD teilen, auch wenn sie auf der Rückseite als zwei getrennte Songs gelistet sind.

"Evil World" ist dann noch einmal etwas klassischeres Soko-Material: ein wenig schneller, ein wenig anarchischer und etwas weniger schwer. Trotzdem ist daraus eine sehr runde Sache geworden. "The Church (Alexanderplatz)" ist ein etwas weirdes, kurzes Instrumental, aber als kleiner Appetithappen für zwischendurch ganz nett. "All Through This Night" ist so ein bisschen der letzte richtige, offizielle Song des Albums und passenderweise wird hier nochmal das Thema der ruhigen Ballade voll und ganz durchgezogen - ich meine, A. Line singt uns hier mehr oder weniger ein Schlaflied zum Abschied. Als kleines Outro gibt es dann "Sex And The Single Vampire" - ziemlich kurz, ziemlich experimentell und nicht wahnsinnig spannend, aber auch nicht störend.

Ganz fertig sind wir hier aber noch nicht, denn wir haben noch eine Club Version von "Fliegengott" am Start. Wahnsinnig viel hat sich hier nicht zum Original geändert. Neu ist, dass es mit einem kurzen Ausschnitt aus der Berichterstattung über den Mordfall von Witten beginnt und mit deutlich mehr und stärker hervorgehobenen Vocals kommt. Die ganze Musik dahinter bleibt aber gleich. Für mich persönlich eine sehr sinnvolle Ergänzung zum Original - vielleicht sogar die Variante, die ich bevorzuge. Allerdings hatte ich sie eher "With Vocals", "Voiced Version" oder wie auch immer genannt, denn wirklich tanzbarer wird das Stück für mich dadurch nicht. Aber egal… sehr nett ist, dass wir ganz zum Abschluss sogar nochmal ein eigenes, kleines Outro bekommen. Auch dieses kurze Instrumental ist jetzt nichts besonderes, aber ein sehr angenehmer und sanfter Ausklang für "Die Geschichte Eines Werwolfs".

Damit wären wir dann auch einmal komplett durch mit diesem kleinen Highlight aus der Soko-Diskographie, welches eindeutig mehr Liebe und Aufmerksamkeit verdient hätte. Ich denke gar nicht mal, dass "Die Geschichte Eines Werwolfs" bei den Fans schlecht ankam, aber mit "Blutrünstiges Mädchen" wechselte A. Line den Stil der Soko wieder ein gutes Stück in Richtung Clubhits und das auch sehr erfolgreich. So einige Alben die wieder etwas tanzbarer und ironisch waren, sollten schließlich veröffentlicht werden und selbst auf den Best Ofs ist "Die Geschichte Eines Werwolfs" erschreckend unterrepräsentiert. Erst 2012, als Soko Friedhof an einem Punkt angelangt war, an dem gar nicht mehr klar war, in welche Richtung es künftig gehen sollte, hat man mit "Ghosts Of Berlin" (das genauso heißt wie der erste richtige Song auf diesem Album hier) wieder ein annähernd vergleichbares Album geschaffen, welches eine durchgängige Geschichte erzählte und mit ruhigeren Songs liebäugelte. "Die Geschichte Eines Werwolfs" hat im direkten Vergleich für mich die Nase aber deutlich vorn. Während "Ghosts Of Berlin" sicherlich deutlich professioneller wirkt, ist es mir etwas zu glattgebügelt und austauschbar. Außerdem liegt der Fokus schon stark auf Pop und schwarzem Schlager. "Die Geschichte Eines Werwolfs" hat dagegen zwar einige Ecken und Kanten, ist dafür aber auch sehr experimentell, abwechslungsreich und hat vor allem eine sehr eigene Stimmung, die so nie wieder repliziert werden konnte.

Das Album ist sicher nicht perfekt. Bei 18 Songs ist zwangsläufig der eine oder andere dabei, der mich nicht umhaut. Teilweise sind mir auch die Übergänge zwischen den Songs zu hart und unpassend. Auf der anderen Seite muss ich aber echt sagen, dass der Anteil wirklich guter Songs hier sehr hoch ist und sich ein paar absolute Highlights des gesamten Schaffens von Soko Friedhof darunter befinden. Auch als Gesamtwerk kann ich es mir super anhören. Vielleicht nicht der beste Einstieg für Leute, die die Soko zum ersten Mal hören wollen, aber für mich eines der besten Soko Friedhof Alben.

Punkte: 9 / 10


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