Sigh Scenes From Hell (2010) - ein Review von Fire Down Under

Sigh: Scenes From Hell - Cover
1
1 Review
7
7 Ratings
7.86
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Black Metal, Progressive Metal


Fire Down Under
15.02.2014 19:46

Kann man Musik eigentlich noch mächtiger, noch gigantischer, ja, noch GRÖSSER inszenieren als auf diesem Album hier?

"Scenes From Hell" ist zwar gerade einmal 4 Jahre alt, hat sich aber bereits heute auf ewig einen Platz auf dem Olymp des Heavy Metal verdient, in Gesellschaft jener weniger Meisterwerke, wie sie nur ganz selten erschaffen und so gut wie niemals wieder erreicht werden. Und genau ein solches ist "Scenes From Hell": ein Werk, das in Sachen Intensität, Kreativität, Schönheit, gepaart mit einfach nur völligem Wahnsinn seinesgleichen sucht - und wohl niemals finden wird.

Bereits 3 Jahre zuvor veröffentlichten SIGH ein mächtiges Album mit dem Titel "Hangman's Hymn - Musikalische Exequien", welches mit seinem Mix aus brutalem, räudigen Black Metal und klassischer Musik zu begeistern wusste. So wunderbar und grandios dieses Album auch war, es war noch gar nichts im Vergleich gegen das, was man hier auf "Scenes From Hell" auffahren sollte.

"Was zur Hölle war DAS denn bitte jetzt??!", so etwas in der Art fuhr mir durch den einmal quer in alle Himmelsrichtungen verteilten Schädel, nachdem ich die Scheibe zum ersten Mal gehört hab. So etwas hatte ich vorher noch nie gehört, so eine Musik gibt es nur einmal, sowas kann es nur einmal geben, auf sowas können einfach nur diese liebenswerten und sympathisch verrückten Japaner kommen.

Man kann sagen, dass der grundlegende Ansatz der beiden Alben "Hangman's Hymn" und "Scenes From Hell" der selbe ist (was bei SIGH eher selten der Fall ist, dass sich zwei Alben einander ähneln): die Mischung von extremem Metal mit Klassik. Was allerdings die Umsetzung und die daraus entstandene Atmosphäre angeht, können beide Alben unterschiedlicher nicht sein: der grundlegendste Unterschied von allen offenbart sich bei den Klassikelementen - auf "Scenes From Hell" wurde sämtliche klassische Instrumentierung von Gastmusikern, teilweise sogar unter Live-Bedingungen, eingespielt, während auf dem Vorgänger einiges aus der Konserve kam. Diesen Unterschied merkt man ganz deutlich. Und wo die klassischen Elemente auf "Hangman's Hymn" eher "Beiwerk" waren, übernehmen sie hier viele tragende und melodieführende Rollen. Auf "Scenes From Hell" wurde genauestens drauf geachtet, dass ALLE (!!) Instrumente gleichberechtigt agieren. So etwas hört man in dieser Konsequenz viel zu selten, weil es sicher nicht leicht umzusetzen ist. Für unsere japanischen Freunde ist das kein Problem, denn ihnen gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit, ihre Visionen gnadenlos in Musik umzusetzen.

Von der ersten Sekunde an, sobald das mächtige Einstiegsriff des Openers "Prelude To The Oracle" erklingt, nimmt der totale Wahnsinn seinen Lauf und ungefähr 5 Sekunden später ist dann auch schon Schluss mit Lustig, denn nun greifen die Posaunen ins Geschehen ein und es haut einem erstmal ohne Vorwarnung den Stopsel raus! Welch ein Start... Und entgegen seines Titels ist das Eröffnungsstück nicht einfach ein Intro, sondern ein richtiger Song (ja, bei SIGH läuft eben vieles einfach anders...), der als Opener einfach ideal gesetzt wurde. Rohes Geholze ohne Ende, Streicherbegleitung in den Strophen und mit den mächtigen Blechbläsern im Chorus. Nach etwas mehr als 4 Minuten ist das erste Kapitel von insgesamt acht auch schon vorüber und es geht weiter mit "L'art de mourir": Kam Lee (MASSACRE) leitet den Song mit einigen Growl-/Sprechparts ein, bevor das grandiose Geprügel beginnt. Der Song wirkt ziemlich "chaotisch", ist es aber nicht: die Fäden werden alle zusammengehalten von Bandkopf Mirai Kawashima, der wie ein irrer Dirigent nach dem Motto "Das Genie beherrscht das Chaos" diesen Song formt. Völlig unglaublich und ultimativ intensiv gespielt. Man höre sich nur mal die grandiose Streicher-Sektion an, dazu die dramatischen und absolut mächtigen Trompeten und Posaunen und ein absolut (w)irres Schlagzeugspiel. Das ist alles so dermaßen überirdisch dass man es kaum fassen kann.
Das anschließende "The Soul Grave" vermag es dann, man glaubt es kaum, noch einen draufzusetzen: hier verkommen Gitarre, Schlagzeug und Bass beinahe zu Statisten, so dominant ist das Klassik-Instrumentarium. Was hier abgeht ist mit Worten nicht zu beschreiben, das MUSS man einfach gehört haben. Diese Bläser, ey... Es scheint, als wird die Platte von Song zu Song durchgeknallter und abgefahrener. Oft frage ich mich: kann es eigentlich etwas Mächtigeres geben als diesen Song? Und: geht es noch abgefahrener?
Es geht: und wie! "The Red Funeral" ist der erste Part eines dreiteiligen Songzyklus namens "Musica In Tempora Belli" (was soviel bedeutet wie "Musik in Zeiten des Kriegs"), welcher mit einem von David Tibet (CURRENT 93) eigens für das Album verfassten und rezitierten Gedicht eingeläutet wird... Dann rollen die Panzer los! Sirenen, Blechbläser, das ganze fundiert von einem absolut intensiven Black/Thrash-Riff, die Streicher sorgen wieder für das nötige Drama... Absolut unglaublich dann wieder das völlig grandios inszenierte Outro, das dazu auch noch sehr stilvoll ausgefadet wird. Die so nur ganz kurz entstehende Ruhe wird jedoch gleich wieder durch das heftige Riff von "The Summer Funeral" zerstört. Hierbei handelt es sich um das erste (und einzige) langsame Stück des Albums. Der Rhythmus im von Mirai immer wieder gerne verwendeten 3/4-Takt ist einem Begräbnismarsch nachempfunden, dementsprechend ist auch dieses Stück wieder extrem dramatisch und pompös ausgefallen. Der Song erinnert mich immer ziemlich an "Requiem - Nostalgia" vom 2001er "Imaginary Sonicscape"-Album, nur mit mehr Klassik! Wie eigentlich fast immer bei SIGH schwingt eine Extraportion Melancholie mit. Ein Schrei beendet harsch diesen (vergleichsweise) Ruhepol des Albums, bevor das Finale der Trilogie eingeläutet wird:
Der Titelsong der Mini-Oper ist insgesamt vielleicht der wohl verrückteste Song des gesamten Albums! Allein schon der Anfang mit seinen geisterhaften Synthies und Überschalltempo bläst mal wieder so ziemlich alles weg. Was für einfach nur sagenhaft schöne Melodien hier auch wieder aus dem Hut gezaubert werden! Und genau das ist es, was SIGH zu einer absoluten Größe macht, zu etwas, was all die selbsternannten "Prog"-Bands nie sein werden: trotz aller Abgefahrenheit und schrägen Wendungen verstehen sie es, SONGS zu schreiben, die diese Bezeichnung auch verdienen, die stets nachvollziehbar bleiben und eine Seele besitzen! Sagenhaft, was die hier alles gebacken kriegen: die erwähnten Bizarro-Synthies, die einmal mehr völlig überragenden Streicherarrangements, dazu als ultimative Krönung ein Saxophon-Solo! Beendet wird dieser pure Wahn wieder von einigen beunruhigenden Rezitationen von David Tibet.
"Vanitas", seines Zeichens vorletzter Song des Albums, hielt ich anfangs erst für den schwächsten Song der Scheibe, da er im Vergleich zu Rest nicht ganz so abgefahren daherkommt, mittlerweile ist das jedoch vermutlich mein Lieblingssong des Albums! Irgendwie liegt gerade in der Simplizität das Geheimnis des Songs: er ist vor allem in der ersten Hälfte relativ straighter, schneller Black/Thrash, später wird das Tempo in einem dramatischen Mittelteil eher gedrosselt bevor wieder weitergeprügelt wird. Das abschließende Bläseroutro gibt mir dann einfach nur endgültig den Rest. Dieses Outro, ja, eigentlich der gesamte Song, ist einer der schönsten Musik-Momente die ich je erleben durfte! Die unbezahlbar schönen Melodien tragen mich, geben mir Halt und Sicherheit, spenden mir Kraft und Hoffnung, und sind tief in meinem Innersten eingeprägt. Die Musik von SIGH, und ganz besonders dieses Album, ist mittlerweile zu meinem täglichen Begleiter geworden. Eine ganz besondere Band...
Der letzte (und kürzeste) Song ist gleichzeitig der Titeltrack "Scenes From Hell“ und hier wird in der vergleichsweise kurzen Spielzeit nochmal alles aufgefahren: Bläser, Streicher, Glockenspiel und was weiß ich noch veredeln einmal mehr allerfeinstes verrücktes Black/Thrash-Geprügel. Völliger Wahn!

Und so endet es...

Ich kann eigentlich nur konstatieren, dass, je länger ich Musik im Allgemeinen und Metal im Speziellen höre, mich Bands immer mehr langweilen, die stumpf und ohne Emotionen, Seele und eigener Identität meinen, die Welt mit nichtigem 08/15-Kram zu belästigen. Wer braucht denn eigentlich WIRKLICH Bands, die "ganz okay", "ganz nett", "gutklassig" oder gar "recht amtlich" sind?
Und ich bin auch ganz sicher keiner dieser Prog-Heinis, die sich damit wichtig machen wollen, was für ach so komplizierte Musik sie hören. Das ist doch sowas von egal, dass es egaler nicht sein könnte. Ich kann sowohl bei abgefahrenem Experimentalkram, bei klassischem Speed Metal oder aber bei chaotischem, dilettantischen Alkoholiker-Gerumpel meinen Spaß haben.
Ich habe einfach festgestellt, dass mir am Meisten die Bands zusagen, die noch so etwas wie einen eigenen Stil, eine Aussage und Intention haben. Natürlich hat seit spätestens Mitte der 90er Jahre niemand mehr den Metal neu erfunden, aber dennoch gibt es auch seitdem immer Bands, die über gewisse Alleinstellungsmerkmale verfügen - und genau das unterscheidet diese Bands meiner (natürlich immer persönlichen, subjektiven) Meinung nach von einer belanglosen Allerwelts-Kapelle, die zumindest ich einfach nicht mehr brauche.

Die Jungs von SIGH haben mir all dies wieder in einer Deutlichkeit vor Augen geführt wie es nur ganz wenige Bands bisher vermochten. Zwar nicht nur mit diesem Album, aber am Stärksten doch mit "Scenes From Hell": dieses Werk hat mir neue Horizonte geöffnet, es hat mir gezeigt, was alles in der Musik möglich ist. Musikalisch ist das hier auf allerhöchstem Niveau, dass es fast schon beängstigend ist. Es ist unfassbar, was die hier alles spielen! Beeindruckend ist auch, wenn man weiß, dass Mirai bei der Komposition des Albums mehrere Hundert (!) Seiten an Partituren geschrieben hat, damit die Orchestermusiker ihre Parts spielen können. Das ist japanischer Perfektionismus in Reinkultur!
Trotzdem klingt diese Scheibe, obwohl sie bis in‘s letzte Detail ausgefeilt wurde, zu keiner Sekunde kalkuliert oder verkopft - im Gegenteil: man könnte echt fast meinen, das ganze wäre live im Studio eingespielt worden. Un-fucking-fassbar, diese Musizierkunst...

"Scenes From Hell" dürfte mittlerweile wohl mein meistgespieltes Album ever (!) sein und irgendwie habe ich, je öfter ich dieses Album höre, immer mehr das Gefühl, dass genau das die Musik ist, nach der ich immer gesucht habe, und nie geglaubt hätte, sie jemals zu finden. Nun habe ich sie endlich gefunden! Danke Mirai, danke SIGH! Ich verneige mich.

Hier müssten eigentlich 12 von 10 Punkten stehen.

Punkte: 10 / 10


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