Sepultura Roots (1996) - ein Review von Probatologist

Sepultura: Roots - Cover
3
3 Reviews
76
76 Ratings
6.38
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Nu Metal, Thrash Metal


Probatologist
30.01.2010 06:53

Über die klassischen Sepultura viele Worte zu verlieren hieße Tukane nach Brasilien zu tragen. Doch zwecks Einleitung ist es manchmal praktisch… leider wird das hier ein viel zu langes Essay darüber, warum „Roots“ der faulste Apfel am Sepultura-Baum ist.

Damals, als der Thrash die Metal-Szene begeisterte, spielten bzw. rumpelten ein paar junge Männer aus Brasilien anfangs mehr schlecht als recht den Sound ihrer Helden aus Nordamerika und Europa nach und wurden dafür belächelt. Doch jede Band fängt klein an und Sepultura spielten Alben wie „Bestial Devastation“ nur aus Hingabe und Leidenschaft für die harte Musik. Das technische und kompositorische Können jedoch verbesserte sich ungemein mit der Aufnahme von Gitarrist Andreas Kisser und bald gehörte man zur Speerspitze einer Bewegung, die gerade ihren Höhepunkt erreichte – und daraufhin vom Ende des kalten Krieges zum Schweigen gebracht wurde.

Was hat jetzt Politik damit zu tun? Nun, Thrash Metal (besonders der amerikanische) war in all seiner apokalyptischen Symbolik (lies: peinliche Texte über Satan und Nuklearwaffen) ein Kind seiner Zeit. Die westliche Welt fühlte sich ein letztes Mal bedroht vom atomaren Holocaust und diese Bedrohung war einer der Einflüsse, den die noch junge Thrash Metal-Szene gern in ihren Sound einbaute. Die endzeitlichen Klänge von „Fight With Fire“, „Darkness Descends“ oder „Chemical Warfare“ definierten den Thrash Metal in seiner härtesten, rifflastigsten und fiesesten Schattierung. Und an dieser Stelle kommen die alten Sepultura ins Spiel. Das war ihr Sound: Riffs, Tod, Zerstörung und noch mehr Riffs. Das machte sie groß, das konnten sie am besten, das katapultiere sie nach ganz vorne.

Und all das endete mit dem Fall des eisernen Vorhangs. Die neuen politischen Umstände beeinflussten die Gesellschaft und den zwar bunten, aber immer im Schatten des Kalten Kriegs liegenden 80ern folgten die grellbunten 90er, in denen die nun ziellose Jugend nicht mehr über Politik nachdenken musste, sondern sich mit sich selbst beschäftigen konnte. Nun konnten weiße, reiche Vorstadtkinder endlich mal rumheulen, wie schlecht es ihnen doch geht und dass niemand sie versteht. Beziehungsdramen ersetzten das Bedürfnis, die einst ständige nukleare Bedrohung mittels Spaß zu vergessen und die negativen Aspekte musikalisch zu verarbeiten.

Damit standen natürlich den Jammerlappen in Flanellhemden und Schreihälsen mit Dreadlocks Tür und Tor weit offen. Und Thrash Metal schien urplötzlich von heute auf morgen ausgestorben. Die letzten Klassiker erschienen noch 1991 bis 1992 (darunter natürlich „Arise“), doch Thrash Metal war nicht mehr in Mode. Die meisten Bands lösten sich auf und einige veränderten ihren Sound. Testament, Metallica und Megadeth gingen den Weg des geringsten Widerstands und spielten Popmusik, Kreator experimentierten wild mit allerlei verschiedenen Genres und auch die wenigen alten Bands, die weiterhin Thrash Metal spielten (Overkill, Sodom, die letzte Demolition Hammer), konnten sich moderner Einflüsse nicht erwehren.

Der alte Thrash konnte nur im Mainstream gefallen finden, wenn er sich den neuen Gepflogenheiten der Headbanger anpasste. Exhorder, Pantera und Machine Head kreierten somit aus dem Thrash ein neues Genre, welches heutzutage gemeinhin als Groove Metal bezeichnet wird. Seinerzeit nannte man es auch Thrash Metal, aber mit zeitlichem Abstand wird klar, dass besagter Groove Metal ebenso wie Death Metal zwar dem Thrash entsprang, aber ein völlig eigenständiges Genre verkörpert.

Und hier kommen wir langsam zu „Chaos A.D.“, dem Vorgänger von „Roots“. Sepultura biederten sich mit dicken Dollarzeichen in den Augen an den neuen Trend an. Groove war angesagt, Kompositionen bestanden nur noch aus stumpfen Geprügel, simplen Powerchords, sinnlosem Gebrülle und Unmengen von dem Hardcore entlehnten Breaks, die die Jugend zum Rumhüpfen animieren sollte. Der finanzielle Erfolg gab der Band recht und mit der neu gefundenen künstlerischen Integrität – vergleichbar mit der von Milli Vanilli, Dieter Bohlen oder den Spice Girls – machten sich Sepultura daran, ihr Opus Magnum zu schaffen. „Roots“ sollte alles in den Schatten stellen, was die Band vorher gemacht hatte – und in gewisser Weise tut es das sicherlich.

Um ihrer brasilianischen Identität Ausdruck zu verleihen borgten sich Sepultura also ein paar Indios und jammten unter Drogen wirres Zeug zusammen, welches stellenweise die schlimmsten Momente des Vorgängers emuliert. Und diese Stellen sind noch das Beste am Album. Ist „Roots Bloody Roots“ als Kopie von „Refuse/Resist“ mit viel Wohlwollen noch halbwegs erträglich, verliert sich das Album alsbald in sinnbefreiten Krachorgien, willkürlich unterbrochen durch Volksmusik. Nichts folgt irgendwelchen Regeln; Strukturen, technisches Können oder feine Nuancen gibt es keine; es gibt nur Groove und aggressiven Gesang verpackt in bekiffte Jamsessions.

Wozu sich Mühe machen und Songs komponieren, wenn die Zielgruppe eh nur eins möchte: wild herumspringen und dabei ihren pubertären Frust ablassen. Das machte Nu Metal groß und Nu Metal findet sich auf dieser Platte reichlich. Wenn simpelst gestrickter Aggrorock mit eingebautem Pop-Appeal und gerappten Vocals bei Korn und Limp Bizkit funktioniert, dann können Sepultura das gleich doppelt so gut… oder schlecht. Und siehe da, der Sänger von Korn und der DJ von Limp Bizkit spielen auf der Platte auch mit! So ein Zufall aber auch!

In welchen Sphären Texter (hust) und Sänger (räusper) Max Cavalera so schwebte, weiß bestenfalls sein Haschisch-Dealer. Und die sind es auch, die für dieses Album und die dazugehörige Zielgruppe das perfekte Mittel haben. Simpel gestrickte Stoner, welche Insane Clown Posse, Pantera und (hed)P.E. in der Sammlung stehen haben, werden sich ein Pfeifchen anzünden, tief inhalieren, diese Platte auflegen und keinen Makel daran finden. Weil sie entweder ihren Frust abreagieren beim Brüllen tiefsinniger und gut durchdachter Hooklines wie „Straighthate! Straighthate! Straighthaaaaaaaaate“, „When You Go Down Motherfucker!” oder „Cut-throat! Cut-throat! Cut-throooaaaaaat!“ oder bereits geistig in obig genannte Sphären abdriften.

Über die einzelnen Stücke konkretere Worte zu verlieren wäre müßig. Die „Songs“ (und das Wort benutze ich großzügig) sind nur mit Mühe als solche zu erkennen und die Instrumentalstücke sind schnell vergessen. Amateurhafter hat die Band ihre Instrumente bestenfalls auf „Morbid Visions“ gespielt. Weil sie es damals halt nicht besser konnten. Aber sie spielten aus Liebe zur Musik. Auf „Roots“ hört man nur die Liebe zum Geld heraus. Kaum zu glauben, dass ausgerechnet Andreas Kisser, der die Band von Garagen-Niveau in den Thrash-Olymp hob, sich nun damit begnügt, nur noch einmal alle paar Takte die gefühlte 10 Halbtöne tiefer gestimmte E-Saite zu zupfen. Doch Geldgier kann das scheinbar vielen Künstlern antun. Mache deine Musik dümmer und die Massen fressen dir aus der Hand. „Roots“ ist unsagbar dumm. Und die Massen machten daraufhin Sepultura zu Superstars, deren aufgeblasene Egos die Band endgültig zerstörten. Und angesichts dieses Albums ist das vielleicht auch besser so.

Punkte: 0.5 / 10


Warum sind die Cover-Bilder verpixelt?

Bedankt euch bei deutschen Abmahn-Anwälten

Leider passiert es immer wieder, dass Abmahnungen für angebliche Copyright-Verletzungen ins Haus flattern. Ganz häufig ist es der Fall, dass auf dem Frontcover ein Foto oder eine Grafik eines Fotografen oder Künstlers genutzt wird, was dann nur mit dem Namen der Band und dem Titel des Albums versehen wurde. Das ursprüngliche Foto/Kunstwerk ist somit immer noch sehr prominent zu sehen. Die Abmahner nutzen zumeist automatisierte Prozesse, die das Netz nach unlizensierten Nutzungen der Werke ihrer Mandanten durchsuchen und dabei Abweichungen bis zu einem gewissen Prozentgrad ignorieren. Somit gibt es also häufig angebliche Treffer. Obwohl das Foto/Kunstwerk von den Plattenfirmen oder Bands ganz legal für die Veröffentlichung lizensiert wurde, ist dies den Abmahnern egal, ganz oft wissen die ja nicht einmal, was für eine einzelne Veröffentlichung abgemacht wurde. Die sehen nur die angebliche Copyright-Verletzung und fordern die dicke Kohle.

Da Musik-Sammler.de nachwievor von privater Hand administriert, betrieben und bezahlt wird, ist jede Abmahnung ein existenzbedrohendes Risiko. Nach der letzten Abmahnung, die einen 5-stelligen(!) Betrag forderte, sehe ich mich nun gezwungen drastische Maßnahmen zu ergreifen oder die Seite komplett aufzugeben. Daher werden jetzt alle hochgeladenen Bilder der Veröffentlichungen für NICHT-EINGELOGGTE Nutzer verpixelt. Wer einen Musik-Sammler.de Nutzeraccount hat, braucht sich also einfach nur einmal anmelden und sieht wieder alles wie gewohnt.