Der Mann hat Großes vor. Ein Musical ist gar in Planung, aber - heute kennt man das von Mr. Gabriel nur zu gut - bereits im Ansatz wieder verworfen. Außerdem steht der ehemalige Frontmann von Genesis davor eine Art neues Art-Pop-Genre zu entwerfen und sich vom "The Lamb Lies Down On Broadway"-Fiasko (aus damaliger Sicht) frei zu strampeln.
Entsprechend bunt ist der Stilmix. Man mag in der Musik eine gewisse Unentschlossenheit erkennen können. Langeweile wegen zu wenig Abwechslung kommt aber keinesfalls auf. "Moribund The Burgermeister" ist der perfekte Opener. Das Stück erschließt sich nicht sofort, das liegt an dem auf Tiefe ausgerichteten Arrangement und am Sound des Stücks. "Moribund" klingt erst einmal... na ja, komisch im Sinne von merkwürdig... wenn man sich aber reinhört, dann zeigt bereits diese Nummer, Track 1 auf dem ersten Solo-Album Gabriels, wohin die Reise auf den folgenden Platten noch gehen wird.
Und dann geht's los: "Solsbury Hill", der "Hit", noch heute Crowd-Pleaser bei Live-Konzerten, weil man den Song so schön mitklatschen kann - auf der Eins, dann kommt man bei dem zwischen 7/8 und 8/8 wechselnden Takt auch nicht durcheinander. Gabriel halt. Der war mal in 'ner Prog-Band!
"Modern Love", meiner Meinung nach Füller Nummer 1 auf dem Album. Gabriel gibt den Rocker, will scheinbar dem 1977 übermächtigen Punk die Stirn bieten, gestaltet seinen Drei-Akkorde-Trick aber zu kompliziert. Außerdem erinnert gerade "Modern Love" noch gewaltig an "The Lamb", das er ja eigentlich hinter sich lassen wollte.
Apropos "The Lamb": es folgt "Excuse Me", ein kleines Vaudeville-Stückchen mit Barbershop-Acapella-Intro, Banjo, Slide-Gitarre, Tuba-Solo und (gewollt) schrägen Gesang. Der Ausreißer im Schaffen des Mr. G? ...Weit gefehlt! Erinnern wir uns an "Counting Out Time" von "The Lamb Lies Down On Broadway"; das war ähnlich schräg. "Excuse Me" ist schräg, aber lustig, und spricht für den ober schon erwähnten Stil-Mix.
Das wunderschöne "Humdrum" schließt die erste LP-Seite (früher mal), ein dreiteiliger, erst ruhiger E-Piano-Song mit Rumba-Zwischenspiel und bombastischem Abschluss. Der zweite große zukunftsweisende Song auf dem Album.
Seite B, beziehungsweise der Rest der CD, beginnt mit "Slowburn", einem ebenfalls unentschlossenen Rock-Song. Schwurbeliger Art-Rock, der noch einmal an Gabriels Ex-Band erinnert. Schlecht ist die Nummer nicht, lässt den Hörer aber ein bisschen ratlos zurück. Vor allem die "Aaaaahs" a la Queen (sic!) überraschen.
Dann folgt der Tiefpunkt des Albums: Gabriel macht auf Lounge-Pianist mit "Waiting For The Big One". Der Text ist geil, die Nummer leider aber zu langatmig. Da helfen auch die Bombast-Ausbrüche nach den Strophen nix.
Der Abschluss der Platte ist wiederum grandios. Es folgt ein Double; zwei Stücke, die angeblich für das verworfene Musical ("Mozo" übrigens, was für ein bescheuerter Titel!) geschrieben wurden: "Down The Dolce Vita" und "Here Comes The Flood". Bei ersterem begleitet das London Symphony Orchestra die Band, was die Nummer entsprechend wuchtig daher kommen lässt. "Dolce Vita" ist ein komplexer Rock-Song, der ein bisschen auf dem Album untergeht. Ein Füller, ja, aber ein sehr starker. Und die perfekte Ein- beziehungsweise Überleitung zum krönenden Abschluss.
"Here Comes The Flood", meiner Meinung nach neben "Moribund" und "Solsbury Hill" der beste Song auf der Platte. Im Grunde eine Piano-Ballade, die Gabriel später ja immer wieder mit extrem abgespeckten Arrangement zum Besten gibt, mit voluminösem Chorus und einer wuchtigen Coda, eine Art Gitarrensolo inklusive. Zusammen mit dem Endzeit-Text (am Ende ist alles zerstört, kaum einer mehr am Leben, alle Hoffnung dahin) eine der schönsten, wenn auch pathetischsten Gabriel-Songs aller Zeiten.
Fazit: Peter Gabriel ist auf der Suche ...und haut uns auf seinem Debut-Album dabei mal alles um die Ohren, was er so drauf hat. Insgesamt ist's ein Rock-Album, das die Herkunft seines Schöpfers nicht leugnet und schon ahnen lässt, wo die Reise musikalisch einmal hingeht. (Noch mehr ahnen lässt übrigens das ungeliebte zweite Album - "Scatch".) Für die leicht überkandidelte Produktion zeigte sich Bob Ezrin verantwortlich, der später auch Pink Floyds "The Wall" fast bis zum Platzen aufblasen sollte. Aber ganz ehrlich: Ich mag überkandidelte Produktionen. Und dafür steht im Grunde auch der Name Gabriel (mit Ausnahme des ungeliebten zweiten Albums - "Scratch"). Und mit Tony Levin, Robert Fripp, Larry Fast, Alan Schwartzberg, Steve Hunter und all den anderen Musikern scharen sich wie gewohnt nur die Besten um Peter Gabriel.
Ein (fast rundum) gelungenes Debut - zwischen Genesis und Gabriels späteren, eigenen Identität. Bewertung: 7,5 - den aufrundenden halben Punkt extra gebe ich, weil ich nichts von dem, was Peter Gabriel bis Ende der Neunzigerjahre veröffentlicht hat, nicht gut finden kann.
Danke allen, die bis hierher gelesen haben, für die geschätzte Aufmerksamkeit!
(Das waren fast fünfeinhalbtausend Zeichen. Ups!)
Punkte: 8 / 10