Egal ob Südstaatenrocker, Black Metaller oder Nerd-Rock hörender Student, allesamt haben nun musikalische Gemeinsamkeiten entdeckt. Gewaltig wabernde Klangcollagen fernab üblicher Popstrukturen sind wahrlich kein Novum, doch irgendetwas muss seit den frühen 2000ern im Trinkwasser sein, anders kann man die Unmengen von Post-Post-Irgendwas kaum erklären.
Und schon seit den 90ern fortwährend populär ist das, was man gemeinhin als Alternative Rock kennt. Alternativ mag daran gar nichts mehr sein, eher gehört es zum Inventar einer jeden Radiostation und jeder picklige Teenager kann nach 3 Wochen Musikunterricht mit seinen Freunden eine Band aufmachen und sie Alternativ Rock nennen, während sie fleißig Songs von Nirvana, Radiohead oder The Killers nachspielen, um die Pop hörende weibliche Belegschaft ihrer Schule zu begeistern und so die Chance zu erhöhen, endlich mal die pubertären Gelüste ausleben zu können. Gebt es zu, ihr habt das alle mal versucht.
Was läge also näher, diese beiden Trends zu etwas (mehr oder weniger?) Neuem zu kombinieren? Mouth Movements machen genau das – und zwar alles andere als schlecht. Immer wechselnd zwischen Pop-Appeal in Form von eingängigen Singsang und gefälligen Melodien auf der einen Seite und progressiven Strukturen, Post-Rock-Ästhetik inklusive in den Hintergrund gemischtem Gesang, sphärischen Gitarrenklängen und Crescendi auf der anderen Seite.
Schon das Intro des ersten Songs lässt erraten, dass hier Atmosphäre und Struktur dem weichgespültem Kommerz-Pop vorgezogen wird. Tatsächlich hatte ich bei diesem heavy rifflastigen Stück etwas in der Richtung von neueren Isis erwartet, auch das gelegentliche Schreien hätte gut dazu gepasst. Doch schon das darauf folgende und sanftere, irgendwie typisch amerikanische „Juxtaposition“ löst stellenweise bei mir eher Erinnerungen an High School-Rock à la Jimmy Eat World aus und somit war der Name dieses Titels scheinbar gut gewählt.
Das gewaltige „Fight to the Death“ ist nicht so martialisch, wie es der Name vermuten lässt, eher blitzen hier ab und an The Killers durch zwischen all den vertrackten Strukturen und schwebenden Klängen von Mono und God Is an Astronaut. Hinter dem vernebelten Klang unverzerrter geträufelter Gitarrenklänge stampft stoisch simpel das Schlagzeug und melodischer, leicht weinerlicher Gesang, verborgen hinter einem dichtem Schleier und mit nicht allzu großer Reichweite klagt in die weite Welt hinweg über die raumgreifenden Riffs, die treibende Schlagzeugarbeit und die sich immer mehr steigernden und wieder zusammenfallenden Crescendi. Die Beschreibung klingt langweilig? Nun, das mag dann eher an meinem Schreibstil bzw. dem Unvermögen liegen, synästhetische Eindrücke in geschriebener Form wiederzugeben, denn langweilig wird hier sicherlich nichts.
Nun will ich nicht jeden Song einzeln beschreiben, stattdessen sei eher gesagt, dass die Scheibe diverse Stilelemente recht gekonnt in sich vereint und kein Song dabei dem anderen ähnelt. Stellenweise mögen die Kompositionen vielleicht ein klein wenig holprig wirken, an anderen Stellen hätte ich mir vielleicht etwas weniger Pop gewünscht, aber insgesamt war diese Scheibe, welche mir ungefragt ins Haus flog, eine sehr angenehme Überraschung.
Hier könnten also einerseits Freunde progressiver oder postiger Klänge aufmerken bei ausladenden und radiountauglichen Stücken wie dem oben erwähnten „Fight to the Death“ oder „Make Time“; aber so ein Stück wie „The Achievers“ könnte wiederum auch als Hitsingle im Radio laufen und somit auch Fans von Mainstream-Rock ansprechen. Der Rausschmeißer „Autonomous Home“ kann schon fast als 30 Seconds to Mars mit Eiern durchgehen und mag somit auch die Ladies zu begeistern.
Insgesamt betrachtet könnte man es als Alternative zu Alternative Rock bezeichnen. Es hat Pop-Appeal, ohne in weichgespülte Pop-Gefilde zu verfallen; es enthält reichlich Momente typisch amerikanischer High School-Rockmusik; es ist aber komplexer, ohne gleich unzugänglich zu werden; es zitiert viel und gern Post-Rock, ist aber treibender und rockiger als Godspeed You! Black Emperor und Co. Die Zukunft der Rockmusik wird davon sicherlich nicht gerettet werden und einige der hiesigen Leser kennen sicherlich noch mehr Bands, die gleich oder zumindest so ähnlich klingen, aber so oder so haben wir es hier mit einem guten Album voll schöner Rockmusik zu tun. It’s only Rock’n’Roll. But I like it.
Punkte: 7.5 / 10