Hans Unstern Kratz Dich Raus (2010) - ein Review von President Fruitley

Hans Unstern: Kratz Dich Raus - Cover
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10.00
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Sonstiges


President Fruitley
02.12.2010 17:23

Man denkt zwangsläufig: was für ein kauziger Typ. Sehr mager, hochgeschlossen gekleidet, prächtiger Vollbart. Er erinnert auf der Bühne, mal abgesehen von seiner Stimme, in seiner Präsens sehr an Mr. E (Eels). Kann also nur gut sein…

Soweit zu Hans Unstern leibhaftig; aber worum es eigentlich gehen soll ist sein Debütalbum Kratz dich raus, welches im April 2010 beim Label Nein, Gelassenheit von Ja, Panik erschien. Zusammen veröffentlichten sie vorher bereits eine Split-Single.

Vorab: Man kann dankenwerterweise das ganze Album gratis als Stream auf seiner Homepage anhören.

Trotzdem möchte ich zum Kauf raten, schon allein weil die Platte recht schick aufgemacht ist. Zwar keine teuren Extras, aber ein schönes Cover, Texte und stimmiges Design sprechen das Auge an.

Inhaltlich ist das ganze Album recht schwer zugänglich gestaltet. Es hat, um mal direkt einen Vergleich anzubringen, einiges von den letzten beiden Goldenen Zitronen-Alben, nur dass Unsterns Texte eher privater, weniger politischer Natur sind. Die aufgeworfenen Fragen sind zumeist existenzieller Art, und die Details kryptisch.

Das Werk muss als Ganzes betrachtet werden, denn sowas wie eine Single ist nicht zu erkennen wenn man das Album am Stück hört (auch wenn Paris mit dazugehörigem Video sehr herrlich ist). Deutlich wird das z.B. nach Endlos endlos, an das ein längeres, ruhigeres Stück mit gesummter Melodie von Flecken anschließt – dieses geht in eine instrumentale Einleitung zu dem wunderschönen Paris über, nach jenem wiederum Flecken folgt.

"Mal mir den Rat der Zeit
Radier die Wirklichkeit
Lasse den Weg nach vorn zurück
Ich finde nichts ich finde nichts
so gut wie nichts ich finde
ein scharfes Foto mit etwas Glück
Still Leben Augenblick"

(Hans Unstern – Paris)

Die Texte wirken meistens wie kleine, zusammengesammelte Fragmente, die dann aneinandergereiht doch Sinn machen. Die Ideen sind so reichhaltig – andere würden aus dem, was Unstern in einem Lied verarbeitet, ein ganzes Album machen müssen.

"Schicht um Schicht
Schattentat
Bis du am Wasser nur noch Hauch bist
Fliegen tanzen dein Hologram
Dein Spiegelbild ist blind
Die Einsicht kommt
als Wasserschwebe
entlang der Wurzelausstellung
Zurück in die Blauwiege

Zurück in die Ozeane
Der freie Fall rät deinem Wolkenbruch:
Durchfliege den Violettboden
bis dein Schatten verdampft
Vergewissere dich der orangenen Faltmöve
in deiner Tasche
Vor deinen Augen
wuerde sie dich nur wieder begeistern"

(Hans Unstern – Ein Coversong)


Was mich fasziniert ist das ganz eigene, was seine Lieder haben. Unstern arbeitet nicht mit den üblichen Versatzstücken deutscher Liedermacher à la ‘ich liebe dich, und du mich’, sondern entwickelt über weite Strecken ein eigenes Vokabluar – zusammengesetzte Wörter wie ‘Hitzesommerpolaroids’ und ‘Violettboden’. Diese eigene Sprache gibt dem Album das gewisse Etwas, was den allermeisten (deutschsprachigen) Künstlern fehlt – ein Unstern-Lied ist bereits am bloßen Text erkennbar. Deswegen ist dieses Album was besonderes, etwas wertvoller, persönliches. Man wünschte sich mehr solch wirklich kreative Künstler.

Irgendwelche Beschreibungsversuche können das hörbare nicht adäquat wiedergeben, also lauscht man am besten selbst und lässt das Album mehrmals auf sich wirken, denn diese vielen Details eröffnen sich einem erst nach und nach.

"Aussichtloses Aus
unter den Wolken
Ich habe mich entschieden
Das Rad der Zeit hat mich überrollt
also bin ich geblieben

Tief unter der Elbe
Tief unter der Elbe

Ich fühle mich fast unentbehrlich
an diesem unwichtigen Ort
Der langwierige Klang des Tunnels
will wie ich hier nicht mehr fort

Tief unter der Elbe
Tief unter der Elbe

Seine Blicke abgezählt
Seine Groschen zahlen
Er berechnet sich
Schritte hallen die Hallen entlang
Die Sekunden
lassen mich endlich wieder im Stich"

(Hans Unstern – Tief unter der Elbe)

Dieses Album ist sicherlich ein Höhepunkt der deutschsprachigen Musiklandschaft im Jahre 2010. Es klingt neu, unbekannt und macht Lust auf die empfehlenswerte Liveumsetzung, nur echt mit Kontrabass und Xylophon. Falls nichts anderes zur Hand ist geht auch eine Solodarbietung, allerdings schadet diese Reduzierung den Liedern – aber immernoch besser als 10 Konzerte von ordinären Liedermachern, die ja zur Zeit mächtig Konjunktur haben.

veröffentlicht auf http://www.tantepop.de/2011/04/hans-unstern-kratz-dich-raus.html

Punkte: 10 / 10


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