Bis heute ein Phänomen. Einmalig, ergreifend, schön... "Gölä" - eigentlich Marco Pfeuti - war ein einfacher Maler, der sich als "Büezer" (Schweizerdeutsch für "Arbeiter") mehr schlecht als recht durchgeschlagen hat, nebenbei für sich ein paar Liedchen schrieb die keiner ernst nahm. Abends in der Kneipe holte er jeweils seine Gitarre an den Start und gab diese "Lumpäliedli" (Lumpenliedchen) zum Besten und träumte dabei davon, wie es wäre ein Star zu sein. So wie es eben viele tun.
Irgendwann verwirklichte Gölä seinen grossen Traum und nahm diese Lieder auf; simple Melodien, simple Texte über Alltag, Sehnsüchte und Träume - eingespielt auf absoluter Low-Budget-Ebene, ohne grosses Trara...
Die CD erschien und stürmte mehr oder weniger von 0 auf 100 die Schweizer Hitparade. JEDER wollte Gölä haben, jeder erkannte sich selbst in Göläs direkten, sensiblen und von Herzen kommenden Texten - Gölä hier, Gölä da - Gölä überall... Er räumte den CH-Preis "Prix Walo" ab, war in "Benissimo" (schlechte, jedoch hoch frequentierte CH-Sendung) etc.! Niemand kam an Gölä, dem neuen Nationalhelden, vorbei...
...und genau das ging mir extrem auf die Nerven. Schon nur das lächerliche Pseudonym "Gölä" war für mich ein No-Go - und ohne auch nur einen Ton seiner Musik gehört zu haben (als Radioverweigerer trotz seiner 1999 schon extremer Popularität doch noch möglich), lehnte ich diesen Gölä ab, wollte damit nix zu tun haben und fand ihn einfach mal in's Blaue hinaus scheisse.
Ja, und dann, liebe Freunde, geschah es; das CH-Gaga-TV-DRS zeigte eine Doku über diesen Gölä, dieses Phänomen, diesen Arbeiter der zum Star wurde. Ich sollte die Sendung für einen Kumpel auf VHS - damals noch der Knüller - aufzeichnen. Ich tat das ihm zuliebe, wohlwissend, dass ich nun meinen Videorekorder mit diesem "Gölä-Dräck" vergewaltigen würde... Murrend nahm ich die Sendung auf.
Um weiterhin über Gölä schimpfen und wettern zu können, schaute ich mir händereibend diese Doku an... Doch was passierte da mit mir? Das durfte doch nicht wahr sein... Der Song "Keini Träne meh" (Keine Tränen mehr) ertönte - erinnerte mich von der Melodie her an HammerFalls "Glory to the brave" - und mir kamen eben genau diese Tränen. Der Text traf mich wie ein Blitz, die Melodie fuhr mit 180 ein. Ich konnte mich nicht wehren. Auch andere Songs wie das oberbekannte "Schwan", über das ich schon soviel gelesen habe; wunderbar, ergreifend! Ich war geschockt - schaffte es dieser Doofmann doch tatsächlich mich zu knacken? Statt der geplanten Stänker-Attacke musste ich zugeben, dass ich Gölä gut finde.
Am nächsten Tag stand ich im Laden und holte mir "Uf u dervo" (Auf und davon). Zu Hause hörte ich mir die CD an und kam davon nicht mehr weg. Die Texte hatten mich, ich war gecatcht und die simplen, jedoch schönen, stets melancholischen Melodien, rissen mich mit und nahmen mich gefangen. Ich wusste nicht wie mir geschah. Was Gölä im Song "Uf u dervo" sang, war das was ich immer gefühlt habe; diese Abneigung gegen das Scheisswetter und die kalte, arrogante No-Fun-Distanz meiner CH-Landsmänner... Was für ein schönes Land die Schweiz doch wäre - so jedoch zum davon laufen!
Auch "Schwan" beinhaltet diese naive Wahrheit, erwähntes "Keini Träne meh" war für mich damals wie die sehnsüchtige Hoffnung auf wahre Liebe, "Hingedri" (im Nachhinein) kannte ich aus vergangenen Erfahrungen und als dann noch "Es isch en Brief cho" (Ein Brief ist gekommen) aus den Boxen schoss, wusste ich; ich muss kapitulieren und nun zukünftig dazu stehen, dass ich den Typen mit seiner beschissenen Vokuhila-Frisur gut finde. Eigentlich optisch eine DAMALS absolut zur Ignoranz zu verurteilende Figur, die irgendwo in den 80ern stehen geblieben schien, die musikalisch der Welt nichts, aber wirklich gar nichts Neues zu schenken vermochte... Doch das Lebensgefühl, diese leicht pathetischen Songs, konnte JEDER nachvollziehen. Sie sind heute noch nur mässig gesungen und nicht sonderlich grossartig arrangiert oder sowas - doch "Uf u dervo" beinhaltet eine Direktheit, ein Gefühl und eine in der Erwachsenenwelt verloren gegangene Naivität - und dafür liebe ich diese CD. Dafür wertschätze ich Gölä, denn dieser "doofe Berner" brachte mir ein Stück Wahrheit und Gefühl zurück, das ich in den vielen Jahren des sich beweisen "müssen", des Kampfes gegen das erwachsen werden, den man mit 22 führt, verloren hatte. Auch ich wurde damals beinahe zu diesem Stampeltierchen, das wie ein Hamster im Rädchen zu rennen begann in der Hoffnung vom Kuchen etwas zu kriegen. Die CD änderte auf eine gewisse Weise meine Sichtweise wieder und ich musste meinen Standpunkt überdenken... Und all das wegen diesen "Lumpäliedli" von diesem Bauarbeiter. Wegen diesem Gölä... DANKE!!!
So wie mir ging es Vielen, manch einer hat wie ich diese Songs als Bote wahrgenommen, für Andere waren es eben nur schöne Lieder für den Moment. Ein gewisses Lebensgefühl jedoch war es für fast jeden.
Klar, anno 2010 ist dieses Gefühl, diese brutale Entjungferung von 1999, teilweise wieder etwas verschwunden oder abgeklungen - das Album ist für mich Soundtrack einer Zeit, in der ich fast vergessen habe zu fühlen. Und aus dem Grund ist die CD für mich etwas ganz Besonderes und kriegt von mir die volle 10! Von Herzen.
Punkte: 10 / 10