Warum das so clever ist?
Weil somit bereits am Tag der Longplayer-Veröffentlichung die Fronten geklärt sind und man sich voll und ganz auf die anderen zehn Songs konzentrieren kann. "Ausverkauf!" hieß es von vielen Seiten, als mit "Bettina" eine Single auf den Markt geschmissen wurde, die nach "Emanuela" erneut mit einem Mädchennamen kokettiert und erneut in die Party-Richtung geht. "Klingt wie Deichkind", hörte man viele sagen. "Klingt ganz anders!", kann man heute sagen. Der Song wächst mit jedem Hören. Das restliche Album kickt – salopp gesagt – bereits beim ersten Hören gewaltig Ärsche.
Der neue Sound der Brote ist dabei allerdings ziemlich gewöhnungsbedürftig. Dass dieser eine ähnliche Entwicklung wie bei Deichkind angenommen hat, ist zugegebenermaßen nicht von der Hand zu weisen. Der Titel "Strom und Drang" spricht dabei für sich. Fettes Brot klingen elektrisch wie nie und vermitteln mit jedem Song eine ungeheure Dringlichkeit, die es jetzt und wirklich genau jetzt auszusprechen gibt.
Die Hamburger verzichten fast komplett auf lange Instrumental-Parts, die Songs haben meist gerade nur die Länge, die unbedingt nötig ist, um den Text darin zu verpacken. Refrains werden so oft wie eben nötig wiederholt. Auch das ist ungewohnt, spielten die drei Mitdreißiger bislang doch gerne mal mit musikalischen Unnötigkeiten und Facetten.
Dafür gibt es jede Menge Gastmusiker. "Das traurigste Mädchen der Stadt" wird von Mieze von Mia. dargestellt, die – auch hier wieder einmal eine Ungewohntheit – in diesem Song erstmals rappt. Mieze macht ihre Sache aber überraschend gut, ihr Part darf durchaus als Highlight des Songs angesehen werden. Weiter geht es mit dem ultra-tanzbaren "Erdbeben", das nicht nur den weitläufig verbreiteten Schlankheitswahn in ironischster Weise an die Wand spielt, sondern mit der Zeile "Im Sommer gibt er Schatten und im Winter hält er warm" auch noch die ärzte zitiert.
Einen weiteren weiblichen Gast gibt es in "Das allererste Mal" zu hören. Bernadette La Hengst turtelt hier heftigst mit Dokter Renz, während im Hintergrund nach einem etwas holprigen Beginn ein schöner, aber musikalisch nicht sehr ausgefeilter Rocksong begleitet. Ein Sommerhit für Verliebte könnte der Song aufgrund seiner Simplizität allerdings durchaus werden. An Sommerhits mangelt es "Strom und Drang" nach "Bettina", "Erdbeben" und "Das allererste Mal" schon nach etwas mehr als der Hälfte des Albums nicht mehr.
Dem gegenüber stehen aber auch einige sehr erdrückende Songs wie "Ich lass dich nicht los", in der Björn Beton die Position eines aggressiven Internet-Stalkers annimmt, der seiner virtuellen Liebe auflauert und es zum schlimmsten kommen lässt. Sprachlosigkeit ist ein nicht selten gesehenes Phänomen während und nach dem Hören dieses Songs, dessen Text so realitätsfremd klingt, aber jeden Tag genau so passieren könnte.
Fast ebenso erdrückend ist der Schlusspunkt des Albums, "Hörst du mich?", das in drei Strophen drei mehr oder weniger bedeutenden Menschen einen Nachruf widmet: Marvin Gaye, Sophie Scholl und Herbert, ein verschollener Obdachloser aus Hamburg. Vor allem die Strophe über Sophie Scholl erzeugt jedes Mal aufs neue eine markdurchdringende Gänsehaut.
Natürlich bietet "Strom und Drang" aber auch den typischen Brote-Quatsch. "Der beste Rapper Deutschlands ist offensichtlich ich" mit seinem provokativen Wink an andere Eidgenossen und "Schieb es auf die Brote" sollte man, wenn überhaupt, nur partiell ernst nehmen. Letzteres klingt sehr nach alten Aufnahmen der Band und wird vom langjährigen Wegbegleiter Knauf Kinski von Skunk Funk jäh beendet.
"Strom und Drang" ist das kürzeste Album der Bandgeschichte, aber wieder einmal eines mit großer Hitdichte – wenn nicht sogar das mit der größten Dichte jemals. 2008 jedenfalls ist "Strom und Drang" von der Konkurrenz bislang kaum schlagbar.
Punkte: 9.5 / 10