Fear Factory The Industrialist (2012) - ein Review von DarkForrest

Fear Factory: Industrialist, The - Cover
2
2 Reviews
15
15 Ratings
7.47
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Industrial Metal


DarkForrest
30.06.2023 07:13

Nachdem Fear Factory mit "Mechanize" ein mehr als ordentliches Comeback hingelegt haben, ließ der Nachfolger nicht lange auf sich warten. Album Nummer 8 sollte "The Industrialist" heißen und Mitte 2012 erscheinen. Und um gleich am Anfang die wichtigste Frage zu klären: dieses Mal hat die Band nicht wie bei "Transgression" komplett ihr Konzept über den Haufen geschmissen und nach einem guten Comeback ein Album rausgebracht, das sich möglichst weit vom Vorgänger entfernt. Stattdessen klingt "The Industrialist" so, wie man sich eine Fortsetzung zu "Mechanize" vorstellen würde.

Das heißt natürlich nicht, dass sich in den zwei Jahren nicht auch einiges getan hätte und das fängt mal wieder direkt beim Lineup an. Zu Zeiten von "The Industrialist" sind Fear Factory mittlerweile zu einem Duo geschrumpft. Bassist Byron Strout ist nicht mehr mit dabei. Den Bass hat stattdessen Dino Cazares einfach mit übernommen. Im Vergleich zum Vorgängeralbum tritt der Bass dadurch diesmal auch stark in den Hintergrund. Gene Hoglan, der auf "Mechanize" noch einen beeindruckenden Job hingelegt hat und einen erstaunlich kompetenter Ersatz für Raymond Herrera abgegeben hat, ist hier leider auch abwesend. Stattdessen übernimmt die Drums diesmal der ebenso bekannte wie umstrittene Musiker namens Drum Computer. Obwohl ich kein großer Fan von künstlichen Drums bin, muss ich hier aber immerhin sagen, dass man merkt, dass die Band sich ganz gut mit Sampling, Programmierung und digitaler Nachbearbeitung auskennt und gleichzeitig ein leicht synthetischer Klang natürlich auch ganz gut zum Konzept von Fear Factory passt. Trotzdem hört man den Drum Computer an einigen Stellen auf eher unangenehme Art und Weise heraus, aber in diesem Fall ist das Ergebnis zumindest vergleichsweise weniger schlimm.

Obwohl "The Industrialist" wie eine Fortsetzung von "Mechanize" klingt, hat man hier zum Glück keine Kopie angestrebt. Während "Mechanize" relativ puristisch und hart daherkam, wird hier wieder ein klein wenig mehr experimentiert und auch die elektronischen Einflüsse spielen wieder eine größere Rolle. So findet sich diesmal auch der eine oder andere Song, der etwas komplexer aufgebaut ist und gerne auch mal ein paar Anläufe braucht, bis er so richtig zünden will. Und zum ersten Mal seit "Digimortal" haben wir wieder ein Konzeptalbum vor uns, das eine durchgängige Story erzählt. Außerdem wurden hier die cleanen Vocals von Sänger Burton C. Bell wieder etwas mehr ausgebaut. Teilweise erreicht er dabei dank digitaler Nachbearbeitung beeindruckende Tonhöhen wie schon lange nicht mehr. Während das auf der fertigen CD am Ende wirklich ganz interessant und abwechslungsreich klingt, frage ich mich natürlich, ob er sich damit für die Konzerte einen Gefallen getan hat, da wir natürlich alle wissen, dass er live an diesem Punkt keinen einzigen cleanen Ton mehr treffen konnte. Da ich 2012 selbst live dabei war, konnte ich mir sogar selbst ein Bild davon machen, dass ein Fear Factory Konzert mit vielen derartigen Songs ziemlich unangenehm sein kann.

Und natürlich habt ihr mal wieder die Qual der Wahl, wenn es um die richtige Version geht. Neben der normalen Edition gibt es noch eine Variante mit 2 Bonus Tracks - einem Remix und einem Cover. Die Japaner bekommen mal wieder ihre eigene Version, in welcher das Cover fehlt und stattdessen ein Song namens "Timelessness II" enthalten ist. Eine Version mit allen drei Bonus Tracks gibt es natürlich mal wieder nicht. Ich habe mich für die Version mit dem Cover entschieden, da ich einerseits finde, dass Fear Factory in der Regel erstaunlich gute Cover-Versionen machen und ich im Gegensatz zu den meisten Fans das Original "Timelessness" für eine absolute Seuche halte. Wer Bock hat, etwas mehr Geld auszugeben und dafür seltsamen Merch zu bekommen, kann sich außerdem noch eine Version organisieren, bei der die Maske auf dem Albumcover als Skulptur enthalten ist. Immerhin: dekorativer als der klobige Werkzeugkasten von "Mechanize" dürfte sie allemal sein.

"The Industrialist" fängt mit dem Titeltrack auch gleich mal ungewöhnlich an. Der Song hat ein eigenes fast 1 ½ minütiges Intro, welches ein ziemlich episches Riff einführt, das im eigentlichen Song nochmal aufgegriffen wird. Mit seinen über 6 Minuten lässt "The Industrialist" sich auch wirklich Zeit, Spannung aufzubauen und außerdem ist die ganze Nummer recht komplex geworden. Wir haben hier ziemlich viele Tempowechsel, zwischendurch deutliche Betonung der nicht so guten Drums, so gut wie gar keinen cleanen Gesang und wenig, woran man sich am Anfang orientieren kann. Live mag das eine ziemlich fette Art sein, so ein Konzert zu eröffnen, aber ich habe tatsächlich ein paar Anläufe gebraucht, um erstmal in den Song hinein zu finden, bis der Funke so richtig überspringen wollte.

Mit "Recharger" haben wir fast schon das Gegenteil: einen sehr einfach gestrickten Song, der versucht mit dem geringsten Aufwand, alle Fear Factory Punkte abzuhaken. In den Strophen dominiert Groove Metal mit einfachem Shouting und den bekannten abgehackten Riffs, während der Refrain einen direkt mit cleanem Gesang konfrontiert. Für jemanden, der noch nie einen Fear Factory Song gehört hat, mag das ganz interessant klingen, aber mir ist das ganze einerseits zu konstruiert und künstlich und andererseits zu simpel aufgebaut.

Zum Glück kommt danach direkt mit "New Messiah" ein absoluter Über-Song, der ähnlich wie "Powershifter" beim Album davor locker in jede Fear Factory Playlist gehört. Es ist immer wieder schön zu hören, wenn Dino Cazares immer noch mit kreativen und unverbrauchten Riffs daherkommt und auch bei den Vocals stimmt diesmal alles. Ein Fear Factory Song, wie man ihn haben will!

"God Eater" wäre dann der zweite etwas komplexere Song, an den ich mich erstmal gewöhnen musste: längeres Intro, Pianos, Gesamtänge von ~6 Minuten, recht langsames Tempo und viele kleine Spielereien, bei denen z.B. verschiedene Arten von Vocals übereinander gelegt wurden - das ist erstmal eine ganze Menge. Am Anfang mochte ich "God Eater" deshalb gar nicht, fand es eher lästig, dass ausgerechnet nach "New Messiah" das Tempo derart gedrosselt wurde und habe den Track auch gerne mal übersprungen. Irgendwann hat es dann allerdings klick gemacht und mittlerweile kann ich "God Eater" in seiner experimentellen Einzigartigkeit doch etwas mehr abgewinnen.

"Depraved Mind Murder" hat dagegen wahrscheinlich weniger Potential zum polarisieren. Hier stehen wieder knackige Riffs und der Kontrast zwischen cleanen Vocals und Shouts im Vordergrund. Eine Prise Kreativität gibt es durch etwas Variation in den cleanen Vocals und den Maschinen-Samples, die hier sehr kreativ verbaut wurden.

Ein heimlicher Favorit, den viele glaube ich gar nicht mal so gut fanden, ist für mich aber "Virus Of Faith". Für mich ist das ein absoluter Wohlfühl-Song. Ja, insbesondere die cleanen Vocals klingen hier poppig wie schon lange nicht mehr, aber gerade in Kombination mit Cazares, der gleichzeitig trotzdem seine Riffs in der gleichen Intensität durchhämmert, ergibt das für mich eine wunderbare Mischung.

"Difference Engine" finde ich dagegen nicht so spannend. Die erste Hälfte klingt schnell und hart, dafür aber auch etwas stumpf - so wie "New Breed", was mich damals auch nicht so gecatched hat. In der zweiten Hälfte wird der Song dann plötzlich langsam, soft und fast schon kitschig - seltsames Gesamtwerk.

Aus den letzten drei regulären Songs ergibt sich dann ein ganz merkwürdiges Gebilde. Los geht es mit "Difference Engine", dass einen ziemlich einzigartigen, wenn auch unspektakulären Refrain hat und darüber hinaus kaum im Gedächtnis bleiben will. Direkt daran knüpft dann "Religion Is Flawed Because Man Is Flawed" an. Obwohl beide Songs quasi aneinander "kleben" und "Difference Engine" abrupt enden würde, wenn man es für sich alleine hört, ist der Übergang doch recht hart. Immerhin ist "Religion Is Flawed Because Man Is Flawed" ein nettes atmosphärisches Instrumental, das mehr zu bieten hat, als "Metallic Division" auf dem Album davor. Als Brücke zwischen zwei "richtigen" Songs in der Mitte des Albums würde das auch sehr gut funktionieren. Leider wurden an diesem Punkt jedoch schon alle echten Songs verpulvert.

"Human Augmentation" ist nämlich ebenfalls ein Instrumental und zwar ein 9 minütiges Ambient-Experiment mit Maschinen-Sounds. Falls man auf diese etwas andere Art der Entspannungsmusik steht, mag das vielleicht ganz interessant sein und handwerklich ist es sicher gut gemacht, aber ich habe gleich mehrere Probleme mit "Human Augmentation". Ich bin eigentlich Fan der meisten langeren ruhigen Rausschmeißer von Fear Factory, allerdings ist mir das hier zu trocken. Selbst "A Therapy For Pain" begann als ziemlich netter Song und ist dann mit der Zeit in den Ambient-Part übergegangen. Und "Ascension" hat zumindest noch irgendwo Bezug auf das großartige "Human Shields" davor genommen. Das hier wirkt auf mich aber eher wie 9 Minuten Geräusche, welche die gesamten 9 Minuten über gleich klingen. Auch als Ausklang ist es mir nur bedingt geeignet. Während in der Regel die letzten Songs einen guten Job dabei machen, das Album langsam auszublenden, baut "Human Augmentation" eher Spannung auf und wäre geeignet, um live am Ende des Soundchecks oder so gespielt zu werden, um die Spannung zu erhöhen.

Ganz fertig sind wir aber noch nicht, denn wir haben zuerst noch "Blush Response" einen Remix von "Difference Engine". Das Ganze ist zwar insgesamt doch sehr elektronisch geworden, aber wer sich jetzt guten tanzbaren Industrial oder zumindest fette Beats erhofft, der könnte enttäuscht werden, denn die Nummer ist eher mal sehr experimentell geworden. Ich kann es mir einigermaßen anhören, aber selbst die exotischeren Sachen auf den Remix-CDs haben mir damals mehr gegeben. Dass ich das Original schon nicht so mag, macht es natürlich auch nicht besser.

Als Besitzer der europäischen Version bekomme ich zum Abschluss mit "Landfill" ein Cover von einem Pitchshifter Song. Ich kannte vorher weder Song noch Band, muss im direkten Vergleich aber sagen, dass sie das Original wunderbar eingefangen und neu interpretiert haben. Fear Factory können definitiv sehr gut covern. Sehr positiv überrascht hat mich auch, mal wieder tiefe Growls in einem modernen Fear Factory Album zu hören. Überhaupt klingt "Landfill" fast schon so, als ob man ca. 20 Jahre nach dem Debüt-Album nochmal einen Song für "Soul Of A New Machine" aufgenommen hätte. Für mich insgesamt die bessere Wahl als "Timelessness II", wobei letzteres auch ein ziemlich spannender Versuch ist, das Original neu zu interpretieren - diesmal als Ballade mit Akustikgitarre. Klingt am Ende zwar überhaupt nicht mehr nach Fear Factory, übertrifft aber locker das Original und ist ähnlich wie "Landfill" ein sehr netter Bonus. Ich hätte mich ja über eine Version ohne "Blush Response" und dafür mit "Landfill" und "Timelessness II" gefreut, aber man kann nicht alles haben.

Was man dafür aber seit einer Woche haben kann ist ein Remake von "The Industrialist" namens "Re-Industrialized". Obwohl ich es mir noch nicht angehört habe, hat es auf jeden Fall sehr viel Potential und scheint einige Schwächen des Originals zu beheben. Zuerst einmal wurden die Drums jetzt endlich von einer echten Person eingespielt - in diesem Fall vom aktuellen Drummer Mike Heller. Selbst um das merkwürdige Ende hat man sich gekümmert, indem man zwischen "Religion Is Flawed Because Man Is Flawed" und "Human Augmentation" einen neuen Track hinzugefügt hat. Für mich auf jeden Fall eine Überlegung wert, mir auch die neue Version zuzulegen.

Aber dieses Review bezieht sich auf die alte Version und die würde ich immer noch unterm Strich als gutes Album durchgehen lassen. Die Idee dahinter, erst einmal an den Stärken von "Mechanize" festzuhalten und von dort aus vorsichtig wieder neues Terrain zu erkunden, ist eigentlich klasse. Endlich haben Fear Factory eine gute Balance zwischen sicherem Album, bei dem man nichts falsch machen kann und der Experimentierfreudigkeit gefunden, die die Band in den 90'ern erst groß gemacht hat. Trotzdem kann es für mich nicht ganz mit "Mechanize" mithalten. Einerseits bin ich nicht so gut rein gekommen und musste mir die meisten Songs ein paar Mal anhören, bis der Funke übergesprungen ist. Das ist an sich nicht schlimm, wobei ich mir etwas mehr Payoff am Ende erhofft hätte. Ich erinnere mich da an Songs wie "Scumgrief", "Memory Imprints (Never End)" oder sogar "Echo Of My Scream" mit denen ich am Anfang kaum etwas anfangen konnte, die mir später dafür aber umso mehr in Erinnerung geblieben sind. In "The Industrialist" habe ich zwar am Ende gut reingefunden, hatte allerdings das Gefühl, bei "Mechanize" den gleichen Effekt schneller haben zu können. Dazu kommen natürlich noch die oben besprochenen Schwächen.

Auf der anderen Seite haben wir trotzdem ein durchgehend hohes Qualitätsniveau der Songs und "New Messiah", welches alleine schon ein fetter Pluspunkt für "The Industrialist" ist. Trotz der kleinen Unterschiede würde ich sagen, dass "Mechanize" ein guter Indikator ist, ob ihr "The Industrialist" mögen werdet. Wer den Vorgänger mochte, wird auch hier nicht viel falsch machen. Wer mit "Mechanize" nichts anfangen konnte, wird auch mit "The Industrialist" nicht bekehrt werden.

Punkte: 7 / 10


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