Fear Factory Genexus (2015) - ein Review von DarkForrest

Fear Factory: Genexus - Cover
3
3 Reviews
11
11 Ratings
8.23
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Industrial Metal, Thrash Metal


DarkForrest
17.09.2023 09:54

Nachdem Fear Factory mit "Mechanize" ein ordentliches Comeback hatten und mit "The Industrialist" auch ganz gut daran anknüpfen konnten, schienen sie in den 2010'ern erst einmal wieder ihren Rhythmus gefunden zu haben. Und so war es dann auch nur eine Frage der Zeit, bis das dritte Album nach der Wiedervereinigung folgen sollte. 2015 war es dann mit "Genexus" auch soweit und wir durften uns die Frage stellen, wie sehr die Band sich dieses Mal trauen wird, zu experimentieren und sich aus ihrer musikalischen Komfortzone zu wagen.

Mit "Digimortal" und "Transgression" haben die Kalifornier ihren Sound ja doch etwas stärker modifiziert, was bei den Fans nicht so gut ankam, während "Mechanize" ziemlich erfolgreich alles auf den Punkt gebracht hat, was die ersten drei Fear Factory Alben erfolgreich machte. Mit "The Industrialist" hat man sich dann ganz langsam und vorsichtig in Richtung Fortschritt gewagt und wieder ein paar mehr elektronische Parts und ruhigere Klänge eingeführt. Und genau da knüpft "Genexus" an, diesmal allerdings ohne dem großartig etwas hinzuzufügen. Wie schon beim Vorgänger ist "Genexus" ein Konzeptalbum, auf dem eine durchgängige Geschichte erzählt wird und wie schon so oft geht es mal wieder um künstliche Intelligenz, Maschinen, Krieg, Sterblichkeit und auch ein wenig Religionskritik ist mit dabei.

Auch musikalisch orientiert man sich sehr an "The Industrialist". So haben wir wieder eine sehr ausgewogene Mischung aus brachialen Riffs, elektronischen Spielereien, harten Shouts, cleanem Gesang und ein paar Samples. Gefühlt wurden die ruhigen und cleanen Passagen ein klein wenig runtergefahren und die Songs wieder etwas weniger komplex aufgebaut, aber im Grunde würde so ziemlich jeder Song von "Genexus" auch auf "The Industrialist" passen und umgekehrt.

Ein paar Fortschritte gibt es aber beim Sound. Der war auf den letzten beiden Alben schon mehr als ordentlich und trotzdem konnte man hier noch ein wenig mehr Qualität aus allen Instrumenten herauskitzeln. Zum Glück hat den Kampf zwischen Mensch und Maschine um die Drums dieses Mal die Menschheit gewonnen und wir haben mit Mike Heller wieder einen Drummer aus Fleisch und Blut, im Gegensatz zum Drumcomputer auf "The Industrialist".

Auch dieses Mal gibt es verschiedene Versionen zur Auswahl und wem die 10 Songs, der Standard-Version nicht ausreichen, kann zur limitierten Version mit einem Bonus-Song und einem Remix greifen. Und wie schon bei den letzten Malen werden mal wieder die Japaner bevorzugt, die obendrauf noch einen zweiten Remix bekommen. Immerhin gibt es dieses Mal mit der japanischen Version eine Variante, auf der sich wirklich alle Songs befinden, was mir die Auswahl endlich mal nicht so schwer gemacht hat.

Der Opener mit dem etwas sperrigen Namen "Autonomous Combat System" schlägt in eine sehr ähnliche Kerbe wie der Opener auf "The Industrialist": er beginnt langsam, baut nach und nach Spannung und entwickelt sich zu einem vergleichsweise komplexen Stück mit der einen oder anderen Überraschung, die erst beim wiederholten Hören so richtig zur Geltung kommt. Im Vergleich zu "The Industrialist" setzt "Autonomous Combat System" aber etwas weniger stark auf ein catchy Riff und dafür mehr auf einen catchy Refrain, was das Ganze insgesamt etwas einfacher zugänglich macht. Trotzdem ist es interessant, wie hier direkt mal der längste und komplizierteste Song direkt am Anfang auf die Hörer losgelassen wird.

Ähnlich wie auf "The Industrialist" folgt mit dem zweiten Song dann quasi das komplette Gegenteil. "Anodized" wirkt im Vergleich zum Opener sehr simpel - fast schon platt. Ich weiß, dass der Song damals recht beliebt war, aber irgendwie kann ich bis heute nicht verstehen, warum. Für mich ist das Fear Factory, welches auf die absoluten Basics heruntergebrochen wurden. Ja, wir haben die abgehackten Riffs von Cazares. Ja, wir haben Shouts in den Strophen und cleanen Gesang im Refrain. Aber mehr kann ich hier auch nicht raushören. Für jemanden, der vorher noch nie Fear Factory gehört hat, mag das ein cooler Einstieg sein, aber mich langweilt das eher.

Mit "Dielectric" haben wir die erste Single. Nett ist der Anfang, der fast schon etwas orchestral angehaucht ist, aber ziemlich schnell in einen typischen Fear Factory Song übergeht. Um ganz ehrlich zu sein, haut mich auch "Dielectric" nicht wirklich um, wobei ich aber sagen muss, dass alles hier doch deutlich kreativer und ausgereifter klingt, als bei "Anodized". Der Song hat durchaus Wiedererkennungswert, der Refrain ist nett und durch die simple Tatsache, dass diesem gegen Ende noch ein paar Shouts hinzugefügt werden, gewinnt er nochmal deutlich an Qualität dazu.

"Soul Hacker" ist die zweite Single, bei der ich am Anfang erstmal direkt "Linchpin"-Vibes bekomme. Allerdings wird bei "Soul Hacker" ziemlich schnell klar, dass die cleanen Vocals hier nur sehr sparsam eingesetzt werden und Burton C. Bell stattdessen auf harte Shouts setzt, die er mit einer ordentlichen Power vorbringt. Gefällt mir sehr gut - schön kraftvoller Song.

Mit "Protomech" haben wir dann die dritte und letzte von den drei Singles, die hier alle drei direkt hintereinander rausgeballert werden. Das Intro ist ordentlich: es beginnt schon knackig, steigert sich mit ein paar Elektroparts und entfesselt seine volle Energie nach einem kurzen Sample. Der Rest ist in Ordnung, aber auch kein absolutes Highlight. Der Refrain ist sehr melodisch und steht den eher harten Riffs und Shouts vom Rest des Tracks gegenüber. Außerdem werden hier und da mal recht unvermittelt das Tempo oder der Härtegrad verändert, was zu ein paar schönen Kontrasten führt und gegen Ende geht alles sogar ganz sanft in ein Piano-Outro über, was aus irgendwelchen Gründen auf den neuen Fear Factory Alben nicht fehlen darf.

Trotzdem bevorzuge ich im direkten Vergleich den Titeltrack "Genexus". Das Ding ist von vorne bis hinten einfach unglaublich heavy. Komplett im Midtempo angesiedelt, reißt es einem zwar nicht sofort die Birne ab, walzt aber alles mit einer unaufhaltsamen Kraft nieder, dass es einfach nur eine Freude ist. Ein paar sehr dezent eingesetzte Sprachsamples aus Blade Runner runden den Rafrain noch zusätzlich ab "That's what it is to be a slave…".

Auch "Church Of Execution" kann bei mir punkten. Für viele mag das eher ein etwas langweiliger Filler sein, aber ich feier den Song irgendwie. Es stimmt, dass er nicht die größte Abwechslung bietet, aber dafür ballert er wirklich gut. Die ganze Band heizt hier einfach mal drei Minuten ohne Pause, melodische Parts oder cleanen Gesang durch und das hat mir auf "The Industrialist" ein bisschen gefehlt. Ich bräuchte jetzt kein ganzes Album, das so klingt, aber um die Stimmung zwischen den Songs noch etwas mehr anzuheizen, wirkt es Wunder.

Auch "Regenerate" wurde damals als etwas unkreativer Filler verschrien, aber was soll ich sagen? Ich bin ein großer Fan davon. Das Tempo ist vergleichsweise schnell, der Flow ist klasse, alles ist ziemlich melodisch und hat einen recht positiven Vibe. Ziemlicher Wohlfühl-Song für mich.

Auch "Battle For Utopia" ist mehr als ordentlich. Hier treffen gegen Ende nochmal harte und melodische Parts in allen erdenklichen Formen aufeinander. Vor allem der Kontrast zwischen cleanen Vocals, die weiterhin mit sehr brachialen Riffs unterlegt sind, haben Fear Factory an diesem Punkt mittlerweile perfekt gemeistert.

Und während "Battle For Utopia" das epische Finale war, ist "Expiration Date" der stimmungsvolle Epilog. Wie nicht anders zu erwarten ist der Rausschmeißer mal wieder lang, ruhig, atmosphärisch und experimentell. Und im Vergleich zum missglückten "Human Augmentation" auf dem Vorgänger auch endlich wieder ein gelungener Abschluss. Diesmal haben wir eine erstaunlich emotionale Hymne über die eigene Sterblichkeit, die in allen Bereichen super gelungen ist und ganz langsam in ein Ambient-Outro übergeht und dem Album einen würdigen Abschluss liefert.

… Wenn da nicht die Bonustracks wären! Mit "Mandatory Sacrifice" hätten wir zuerst einen Remix von "Genexus" und meine Fresse! Nachdem etwas merkwürdigen Remix auf "The Industrialist" bin ich hier wirklich positiv überrascht. Man hat sich wirklich viel Arbeit gemacht, alle Parts des Songs nochmal anders zu arrangieren und die Betonung deutlich mehr auf Industrial zu legen, aber trotzdem bleibt man dem Original sehr treu, lässt alles schön gitarrenlastig und arbeitet weiter mit den gleichen Samples. Für mich tatsächlich genauso gut wie das Original und das obwohl das Original die Messlatte schon recht hoch gesetzt hat.

Was ich oft etwas schade finde, ist ja die Tatsache, dass Fear Factory ihre Alben immer ganz wunderbar mit ruhigen und atmosphärischen Songs langsam ausklingen lassen, nur um diesen Effekt mit den Bonus Tracks dann wieder zunichte zu machen. Dieses Mal hat man allerdings tatsächlich eine gute Lösung für das Problem gefunden: Anstatt einfach die Bonustracks mitten im Album zu platzieren, hat man mit "Enhanced Reality" einfach noch ein zweites, wunderbares, ruhiges und atmosphärisches Outro geschaffen. Und dieses steht "Expiration Date" für mich in absolut nichts nach. "Enhanced Reality" ist tatsächlich ein richtig guter Bonus-Track geworden, den ohne Probleme auch als reguläres Ende für ein Album hätte einsetzen können - kein Wunder, dass man ihn beim Remake von "The Industrialist" nochmal verwendet hat, um zwei Songs gegen Ende besser zu überbrücken.

Fast schon schade, dass man bei der japanischen Version den Remix nochmal unbedingt hinten dranhängen musste und das Album nicht mit "Enhanced Reality" beenden konnte. "Maximum Voltage Capacitor" ist ein Remix von "Dielectric" und erhält von mir das Prädikat "in Ordnung". Von den beiden Remixes für mich klar der schwächere, aber immer noch hörenswert. Auch hier wurde der Song so modifiziert, dass er deutlich elektronischer klingt, was insgesamt sehr gut passt, allerdings wirkt das ganze etwas weniger ausgereift als bei "Mandatory Sacrifice". Ein Remix, den ich gerne mitnehme, aber keiner, für den man sich ganz doll unbedingt die japanische Version holen müsste.

Gar nicht mal so einfach, ein Gesamturteil für "Genexus" zu fällen - gerade auch im Vergleich zu "The Industrialist". Einerseits fallen mir sofort zwei Nachteile gegenüber dem Vorgänger auf: 1) Wirklich kreativ war "Genexus" nicht, wenn es darum geht, neue Wege zu beschreiten. "The Industrialist" war schon recht vorsichtig darin, den Sound von "Mechanize" weit zu entwickeln, hat das aber zumindest in kleinen Schritten getan. "Genexus" wirkt dagegen wie eine ganz klare 1:1 Fortsetzung, die genau das gleiche wie der Vorgänger versucht. Und 2) fehlt es mir hier an absoluten Granaten von Songs. So ziemlich jedes Fear Factory Album hat für mich mindestens einen Über-Hit, der überhaupt nicht mehr aus der Diskographie wegzudenken ist. Auf "Mechanize" wäre das "Powershifter", auf "The Industrialist" "New Messiah". Sowas fehlt mir hier etwas. Kein Song hebt sich in Sachen Qualität für mich drastisch vom Rest des Albums ab.

Das liegt zum Teil aber auch daran, dass "Genexus" insgesamt eine sehr runde Sache geworden ist. "Anodized" und "Protomech" sind vielleicht ein wenig langweilig, aber kein Song geht komplett in die Hose. Und die Dichte an sehr guten Songs, die nur knapp daran vorbeischrappen, große Hits zu werden, ist ziemlich beeindruckend. Ich werde hier durchgängig gut unterhalten und auch wenn "Genexus" nicht unbedingt das Album ist, von welchem ich mir Songs rauspicke, wenn ich mir eine Playlist mit meinen Favoriten zusammenbasteln will, ist es eins der Alben von den Kalifornien, welches ich mir wie kaum ein zweites am Stück geben kann, ohne dass mir zwischendurch an irgendeinem Punkt langweilig wird.

Und zumindest muss man ganz klar sagen, dass "Genexus" zwar das gleiche versucht zu sein wie "The Industrialist", darin aber wesentlich erfolgreicher ist und konsistentere Qualität abliefert. Im Gegensatz zum missratenem Ende vom Vorgänger legt "Genexus" eine saubere Landung hin. Damit ist "Genexus" für mich irgendwie das, was "The Industrialist" eigentlich hätte werden sollen.

Aber natürlich ist meine Meinung höchst subjektiv. Zum Beispiel scheint die Mehrheit die erste Hälfte des Albums zu bevorzugen und die Singles zu feiern, während "Genexus" für mich nicht direkt sein volles Potenzial entfaltet, mit der zweiten Hälfte inklusive der Bonustrack aber immer besser wird. Für jeden, der mit dem modernen Fear Factory etwas anfangen kann, spricht aber überhaupt nichts dagegen, sich selbst mal einen Eindruck von "Genexus" zu machen.

Punkte: 8 / 10


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