Eisbrecher Sünde (2008) - ein Review von DarkForrest

Eisbrecher: Sünde - Cover
1
1 Review
9
9 Ratings
8.56
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


DarkForrest
13.02.2021 07:47

Mit ihrem dritten Album "Sünde" kamen Eisbrecher ziemlich schnell zur Sache: ca. 1 Jahr Entwicklungszeit, 1 Single, die ca. 1 Monat vorher rauskam und auf ging's - das "Make it or Break it" Album war am Start und ist in direkte Konkurrenz zu Megaherz' Comeback-Album "Heuchler" gegangen. Während das Duell "Die Hölle Muss Warten" vs "Gœtterdæmmerung" 4 Jahre später schon wieder ganz anders aussah, ging hier der Punkt für mich noch eindeutig an Eisbrecher.

Je nach Version warten diesmal bis zu 16 Tracks auf den Hörer, die wobei mit dem einfachen Digipack schon alles abgedeckt ist. Inhaltlich scheut man sich nicht unbedingt davor, auch mal etwas zu provozieren: Romanzen mit Minderjährigen, recht schonungslose Beschreibung von Alkoholabhängigkeit, S&M versteckt hinter christlichen Metaphern und gleich zwei Songs, die eine recht positive Haltung zu Suizid vermitteln. Okay: damals hat man wirklich keinen Fick gegeben, ob man mit den Texten irgendwo anecken könnte.

Musikalisch dürfte "Sünde" so mit das härteste sein, was Eisbrecher sich getraut haben, ihren Fans zuzumuten. Ich meine, wir haben es hier ganz klar nicht mit Metal zu tun, aber es sind für NDH-Verhältnisse ein paar ziemliche Brecher dabei und selbst die langsameren Songs haben ein paar sehr kraftvolle Momente. Im Vergleich zu so ziemlich allen anderen Alben gibt es diesmal auch so ziemlich gar nichts, was eine kalte Atmosphäre vermittelt - weder musikalisch, noch textlich (auch kein Song mit "Eis" im Titel), noch bei der äußeren Gestaltung der CD. Das hat sogar die Band selbst festgestellt und einige Monate später eine Winter-Edition nachgeliefert, welche durch ein alternatives Cover in den Farben weiß und blau zumindest optisch diesen Missstand behebt. Wenn ihr es aber verkraften könnt, auf ein Cover mit zwei roten statt blauen Schlangen zu schauen und nicht unbedingt einen Glaswürfel mit eingelasertem Eisbrecher-Emblem braucht, dann bekommt ihr mit der normalen Digipack-Version schon die komplette Erfahrung.

Im Gegensatz zu den ersten beiden Alben, die jeweils einen ganzen Song haben, der extra als Intro konzipiert wurde, kommt man hier mit "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" als Opener etwas schneller zur Sache, was in der Umsetzung aber echt effizient ist. Der Song selbst hat ein kurzes Intro von etwa 30 Sekunden und legt dann direkt mit einer ordentlichen Gitarrenwand los. Nicht umsonst wurden damals für einige Zeit die Konzerte mit genau dieser Nummer eröffnet. Auch sonst gibt's an "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" von meiner Seite nichts auszusetzen oder hinzuzufügen, was ich nicht schon im Review zur Single geschrieben habe.

Der erste ganz neue Song ist "Alkohol", welcher sich von der musikalischen Seite etwas dezenter gibt und eher mal Alexx Vocals in den Vordergrund stellt, was okay ist, da die Gesangsleistung hier wirklich ordentlich ist. Interessant sind auch die Lyrics, die zwar sehr drastisch Suchtverhalten beschreiben, aber ohne den Songtitel 1:1 auf wirklich jede Sucht oder sogar toxische Beziehung zu übertragen sind. Gleichzeitig so vage und konkret zu bleiben ist auch schon eine Leistung. Alexx meinte mal in einem Interview, dass Eisbrecher ganz klar keine Depriband für Leute sind, die den ganzen Tag nur darüber nachdenken, wie sie sich am besten das Leben nehmen können. Ich will da gar nicht widersprechen, würde mich aber glaube ich auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich jetzt mal behaupte, dass "Komm Süßer Tod" genau für diese Zielgruppe geschrieben wurde. Musikalisch aber sehr interessant, da es im ersten Moment doch ziemlich nach Ballade klingt, dafür aber zwischendurch echt ganz schön brachiale Gitarren und intensive Vocals hat. Das mag ich an "Sünde" - es wird nie zu soft und vor allem nie zu glattgebügelt und die einzelnen Ecken und Kanten lassen die ruhigeren Momente in meinen Ohren noch deutlich besser wirken, als wenn alles zu einem kitschigen und poppigen Einheitsbrei verwurstet worden wäre.

"Heilig" richtet sich dann wieder etwas mehr an die Gothic-Fraktion: Tiefe Stimme, weibliche Vocals als Unterstützung, viele Metaphern mit Sex und Religion, ihr wisst schon… Im Prinzip schlägt es in eine sehr ähnliche Kerbe wie damals "Mein Blut", wobei "Heilig" der schnellere und melodischere Song ist und auch handwerklich deutlich ausgereifter wirkt. "Mein Blut" war zwar echt in Ordnung, aber auch etwas oberflächlich, während "Heilig" nicht nur gut nach vorne geht, sondern auch einen sehr eigenen Charakter hat.

Zwei rein instrumentale Stücke sind auch wieder dabei und den Anfang macht "Verdammt Sind". Vom Namen her würde ich schlussfolgern, dass das eine Art Intro für den Song danach sein soll, aber ich fand den Übergang immer so hart und unpassend, dass ich "Verdammt Sind" eher als etwas Eigenständiges gesehen habe. Das hier ist selbst für Instrumental-Verhältnisse ziemlich minimalistisch und geht eher in eine Dark-Ambient Richtung während ich das sehr mag (könnte nur etwas länger sein) dürfte es für den Großteil der Fans wahrscheinlich komplett belanglos sein und spätestens dann vergessen werden, wenn es vom anschließenden "Die Durch Die Hölle Gehen" komplett zerstört wird. Obwohl wir hier einen der härtesten Eisbrecher-Songs ever inkl. extremst männlichen Text am Start haben, haut mich das Ding entgegen aller Erwartungen nicht unbedingt um. Es ist okay, aber Eisbrecher funktionieren für mich tatsächlich am besten, wenn Band und Noel Pix' elektronische Musik sich ergänzen oder harte und zarte Momente sich abwechseln und trotzdem alles irgendwie gut zusammenpasst.

Den Beweis liefert im Anschluss direkt "Herzdieb", welches wir ja schon von der Single kennen und für eine kitschige Ballade richtig viel Power hat. "1000 Flammen" geht dagegen aber nochmal zurück auf Vollgas, funktioniert aber für mich besser als "Die Durch Die Hölle Gehen", weil es doch etwas melodischer daherkommt und ein paar sehr nette elektronische Akzente gesetzt wurden. Ein echter Klassiker der Band bleibt aber "This Is Deutsch". Ja, der Text ist glaube ich eindeutig für das internationale Publikum geschrieben, dass sich darüber freut, ein paar deutsche Wörter zu erkennen, aber zum Glück nicht so schlimm wie bei "Pussy" von Rammstein - "Bratwurst" und "Blitzkrieg" kommen jetzt nicht drin vor. Dafür haben wir hier ein paar sehr fette Beats und ein wenig von Trio hat man sich ganz offenbar auch inspirieren lassen. Ich mag "This Is Deutsch" für seine bekloppte Art und die Tatsache, dass der Song alleine schon viel Abwechslung in das Album bringt.

Damit wir aber bloß nicht zu viel Spaß haben muss natürlich direkt ein zweiter Song über Depression und Suizid her - Yay! Man kann zu der Message sicher sagen was man will, aber für mich ist "Zu Sterben" tatsächlich eins der heimlichen Highlights auf "Sünde" - hat irgendwie was sehr hypnotisches. Etwas bodenständiger gibt sich dagegen "Mehr Licht" - ein relativ klassischer NDH-Song ohne viel Brimborium, der so ungefähr auch zu Megaherz-Zeiten hätte erscheinen können. Klingt für mich okay, aber mehr auch nicht.

Mit dem Instrumental "Kuss" sind wir mehr oder weniger am Ende des regulären Albums angekommen. Hier haben wir das bislang wohl längste und aufwendigste Instrumental, welches ähnlich wie "Hoffnung" auf "Eisbrecher" für sehr entspannte Atmosphäre sorgt. Fans von Eisbrecher-Instrumentals wie ich, werden damit ihren Spaß haben, die anderen wahrscheinlich eher ihre Langeweile. Wer sich das Digipack geholt hat, bekommt mit "Blut Und Tränen" dann doch noch einen vollwertigen Bonus-Track, der sich vor dem Rest des Albums nicht verstecken muss und seine ganz eigene melancholische Stimmung verbreitet.

Ganz zum Schluss gibt es dann noch den Remix-Part. Zweimal dürfen [SITD] ran. Den Remix von" Kann Denn Liebe Sünde Sein?" kennen wir auch schon von der Single und er klingt irgendwie… okay. Mit "This Is Deutsch" wird aber natürlich die perfekte Vorlage geliefert und diesmal gelingt es [SITD] tatsächlich diese eh schon sehr elektronische Nummer noch mal ordentlich aufzumotzen und daraus endlich mal einen geilen Remix zu machen. Praktisch: auch wenn ihr nur die reguläre Version von "Sünde" habt, kommt ihr in den Genuss von diesem Remix.
Exklusiv auf der limitierten Version ist dagegen der "Alkohol"-Remix von Rotersand. Während ich das Original musikalisch nicht so spektakulär fand, gibt dieser Remix ordentlich Gas und bringt den Song in vollem Tempo auf die Tanzfläche. Interessante, aber gute Wahl und ordentliche Umsetzung. Schön, dass es zu diesem Zeitpunkt doch noch gut funktionierende Eisbrecher-Remixes gab.

Und schön, dass Eisbrecher das hohe Niveau von "Antikörper" aufrecht halten konnten. Das absolut oberkranke Album, welches alles bisherige in den Schatten stellt ist es jetzt aber nicht ganz geworden. Im Vergleich zu beiden Vorgängern ist es zwar eine etwas rundere Sache und hat tatsächlich kaum irgendwelche nennenswerte Schwachpunkte und der Fokus auf härtere Songs gefällt mir ganz gut, aber auf der anderen Seite fehlen ein paar Songs, die mich total umhauen. "Antikörper" hatte davon mehrere und mit "Kinder Der Nacht" sogar eine Ballade, die echt unter die Haut ging. Hier ist der Großteil einfach sehr gut, aber selten genial. Naja, das ist jetzt Kritik auf hohem Niveau. Insgesamt finde ich "Sünde" etwa gleich gut wie "Antikörper". Wer Classic-Eisbrecher mag, dürfte hier jedenfalls nicht enttäuscht werden.

Punkte: 8.5 / 10


Eisbrecher: Sünde

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