Wie genau das bei Eisbrecher war, kann ich natürlich nicht sagen - ob hier das Label mit reingepfuscht hat oder die Band sich tatsächlich musikalisch weiterentwickeln wollte - aber das Ergebnis spricht für sich: ab 2010 ging es qualitativ erstmal rasant bergab, während man kommerziell aber durchaus erfolgreich war. Der Tiefpunkt war dann 2012 mit “Die Hölle Muss Warten” erreicht, welches vor Kitsch nur so triefte. 2015 wurde der Kurs mit “Schock” dann ein wenig korrigiert, aber neben ein paar etwas erzwungen wirkenden Popsongs, die nach wie vor vorhanden waren, hatten wir dort auch das Problem, dass das Album nicht allzu originelles Material hervorgebracht hat. Als Schritt in die richtige Richtung war das sicherlich in Ordnung, aber für das nächste Album würden sich Alexx, Noel Pix und Co. etwas einfallen lassen müssen, um interessant zu bleiben.
2017 war es dann mit “Sturmfahrt” soweit: das mittlerweile siebte Eisbrecher-Album wurde auf die Fans losgelassen und jeder konnte sich gespannt anhören, in welche Richtung sich die kälteste Band Deutschlands entwickeln sollte. Wahlweise konnte man man den ganzen Spaß auch inklusive Live-DVD haben und wem das immer noch nicht ausreichte, der konnte sich auch noch die Fanbox holen, in der zum Beispiel eine Flagge oder eine Expeditionsbrille zu finden waren. Ich war an diesem Punkt der Band schon nicht mehr so stark zugeneigt, dass ich ein übermäßiges Bedürfnis hatte, mich in eine Eisbrecher-Flagge zu hüllen, mir die Expeditionsbrille aufzusetzen und mir dann in diesem Outfit das Konzert von der Loreley 2016 anzuschauen, weshalb ich dieses Mal auf die DVD verzichtet habe. Dafür bin ich bei einer ganz interessanten Version gelandet, auf der noch die “Wir Sind Gold”-Single von 2016 mit drauf ist.
Aber selbst die absolute Basis-Version gibt einem schon stolze 14 Tracks und über 54 Minuten Laufzeit. Den Anfang macht gleich mal die erste Single “Was Ist Hier Los?” - ein mehr als ordentlicher Start, der direkt mit sehr viel Power loslegt. Für mich zwar kein typischer Eisbrecher-Opener, aber dafür ein ordentlicher Start. Hoffen wir, dass die Band ihr Pulver nicht zu früh verschossen hat.
Mit “Besser” haben wir nämlich schon den ersten Filler am Start. Hier wirkt alles ein wenig improvisiert und so als hätte man es sich zur Aufgabe gemacht, in kürzester Zeit noch einen Song zu schreiben. Gitarren und Schlagzeug sind in dieser rockigen Nummer erstaunlich dominant, klingen aber so, als würde man einfach spontan drauf los jammen und Alexx singt dann einfach irgendeinen Text übers Schlussmachen drüber, weil man damit ja quasi nichts falsch machen kann. Noel Pix hat derweil nicht viel zu tun und schaut gelangweilt zu. In der Theorie klingt das zwar furchtbar, aber das Ergebnis lässt sich sogar noch ganz gut gut anhören. So unkreativ wie der ganze Song ist, so kompetent wurde er aber immerhin umgesetzt.
Als nächstes steht dann schon der Titeltrack an und ich bin wirklich angetan. Ein kraftvoller Song, der gut in's Ohr geht und ähnlich wie “1000 Narben” oder “Volle Kraft Voraus” ein Highlight auf jedem Konzert sein dürfte. Vor allem das schnelle Tempo macht “Sturmfahrt” aber zu etwas Besonderem. Kurze Pausen zum Luftholen sind zwar da, aber nur um anschließend mit Anlauf wieder in die Action zu springen.
Nachdem insbesondere “Die Hölle Muss Warten” mich in Sachen Balladen ziemlich vorgeschädigt hat, bin ich bei Eisbrecher etwas vorsichtig geworden, wenn es um ruhigere Stücke geht. “Sturmfahrt” hat davon eher wenige, aber “In Einem Boot” ist eines davon. Die Besonderheit hier: man hat den Theme-Song von “Das Boot” verwendet - und zwar nicht nur als kleine Hommage, sondern so dominant, dass es fast so wirkt, als hätte man den Track um diese Melodie herum konstruiert. Das sorgt dann allerdings wiederum dafür, dass sich der Soundtrack von “Das Boot” nahtlos in den Sound von Eisbrecher einfügt, was schon eine Leistung ist, da das Original derart bekannt ist, dass man damit halt sehr stark den Film verbindet, aber eben keinen NDH-Song. Tja und somit haben wir direkt eine sehr kreative Ballade, die sich auch sehr gut anhören lässt und weit weg von poppigen ruhigen Songs der letzten Alben ist.
Bei ”Automat” darf sich Noel Pix dann endlich ein wenig austoben. Wie der Name schon vermuten lässt, ist das Gimmick des Songs, das alles recht kalt, synthetisch und elektronisch klingt und das wurde hier durch einige Elektrosamples und Vodcoder-Einsatz auch ganz gut umgesetzt. Schön, dass man hier mal wieder ein bisschen zu den Anfangszeiten zurückgegangen ist, in denen man sehr darauf bedacht war, Härte nicht nur durch fette Gitarren und knackige Drums zu erzeugen, sondern auch durch fette Beats und elektronische Rhythmen.
Nach “Das Steht Dir Gut” auf “Schock”, sind Eisbrecher offenbar auf den Geschmack gekommen, NDW-Songs zu covern. Bevor ein paar Jahre später ein ganzes Cover-Album anstehen sollte, haben wir mit “Eisbär” nochmal ein Cover von Grauzone, das ganz normal in ein normales Album integriert wurde. Da ich mal einen Kumpel hatte, der aus irgendeinem Grund total auf den Song von Grauzone abgefahren ist, bin ich sehr gut mit dem Original vertraut und fand am Anfang vor allem die Vocals sehr ungewohnt. Aber wenn man sich drauf einlässt, dann merkt man, dass Eisbrecher den Spagat zwischen Synths und E-Gitarren hier sehr gut hinbekommen. Ein großer Teil der Original-Atmosphäre bleibt hier erhalten, wird aber durch den sehr klaren und wichtigen Sound von Eisbrecher ergänzt. Genauso stelle ich mir ein gutes Cover vor.
Nach den letzten drei eher experimentellen Songs steht mit “Der Wahnsinn” eher eine konventionelle, rocklastige und schnellere Nummer an und ich finde sie absolut in Ordnung. “Sturmfahrt” wird mir zwar ganz sicher nicht wegen diesem Song in Erinnerung bleiben, aber er hat genug Power, um mir die Laufzeit über gute Laune zu bereiten und wenn die durchschnittlichen Filler bei Eisbrecher immer so klingen würden, hätte ich gar nichts mehr zu meckern.
Aber mit “Herz Auf” wartet schon die nächste Ballade auf mich und es droht kitschig zu werden. Aber überraschenderweise gibt mir auch dieser Song nicht wirklich Anlass zu meckern. “Herz Auf” fährt ein gemächliches Tempo und kommt recht gefühlvoll daher, ist dabei aber angenehm kraftvoll und intensiv. Schön, dass Eisbrecher offenbar wieder gelernt haben, wie man gute Balladen schreibt.
Schade, dass der nächste Song “Krieger” mich dagegen etwas enttäuscht hat. Er beginnt schön brachial mit einer Sirene, und ordentlichen Gitarren, geht dann aber ganz schnell unter. In der Theorie haben wir einen epischen Refrain und sowohl harte als auch melodische Parts, aber irgendwie will sich das bei mir nicht alles zu einem guten Gesamtwerk zusammenfügen und wirkt auf mich im Ergebnis etwas sperrig. Um es mal vorweg zu nehmen: “Krieger” ist für mich der Tiefpunkt des Albums, aber insgesamt immernoch einigermaßen anhörbar und deutlich besser als weite Strecken von “Die Hölle Muss Warten”. Definitiv ein Zeichen dafür, dass “Sturmfahrt” ein gutes Mindestmaß an Qualität zu bieten hat.
Aber auf der anderen Seite erwarten uns hier auch Höhepunkte wie “Das Gesetz” - der zweite Song, der eine Single spendiert bekommen hat - und das völlig zu Recht. Neben einem lässigen Gitarrenriff und einem ganz wunderbaren Flow, erinnert mich “Das Gesetz” musikalisch ein bisschen an “Dreizehn” von Vorgänger-Album, nur deutlich spektakulärer umgesetzt.
Den Höhepunkt in Sachen gefühlvollen Balladen erreicht das Album dann mit “Wo Geht Der Teufel Hin” und obwohl es hier langsam bedrohlich poppig wird, lässt sich das Ganze für mich noch ganz gut aushalten. Durch den Hauch von Synthwave, der hier verarbeitet wurde, kann man dem Song nicht vorwerfen, dass er irgendwie austauschbar wäre und in dieser Dosis kann ich auf einem eher harten Album wie “Sturmfahrt” die eine oder andere Ballade verkraften.
Als nächstes auf dem Programm steht “Wir Sind Rock ‘n’ Roll”. Manchmal weiß ich bei Eisbrecher nicht, wie ernst sie ihre Lyrics meinen und so bin ich mir hier nicht sicher, ob Alexx den Text auf einem kokaininduzierten Egotrip geschrieben hat oder sich über Rockstars lustig macht, die genau soetwas tun. Solange man den Song nicht zu ernst nimmt, ist er allerdings eine ganz witzige Auflockerung des Albums.
Mit “D-Zug” haben wir dann auch noch einen Song für alle Eisenbahnliebhaber. Ich mag es, weil es konsequent hart und schnell ist - damit kann man bei mir ja schonmal wenig falsch machen. Dass man hier wirklich sehr großzügig mit Samples um sich wirft, die irgendwie mit Zügen zu tun haben, ist sicherlich Geschmackssache. Für mich persönlich hätte man gerade das Signalhorn vielleicht etwas weniger aggressiv einsetzen können, aber insgesamt mag ich die Nummer trotzdem.
Den Abschluss des regulären Albums bildet dann “Das Leben Wartet Nicht”, das sich recht durchwachsen präsentiert. Schwachpunkt sind hier die recht einseitigen und schwach vorgetragenen Vocals von Alexx. Musikalisch kann der Song aber gut bei mir Punkten. Selten haben Noel Pix und die Gitarristen bei Eisbrecher derart gut miteinander harmoniert und die etwas abgehackten Gitarrenriffst erinnern mich ganz angenehm an die Deathstars.
Für mich gibt's als netten kleinen Bonus noch die Single “Wir Sind Gold” - ursprünglich als Single im Cardsleeve erschienen, die nur auf der 2016’er Tour als Promo verteilt wurde. In diesem Kontext ist das ganze ein echt epischer Song mit vielen Anspielungen auf vergangene Eisbrecher-Hits, den man so auch ohne weiteres live bringen könnte. Neben den 14 Songs auf “Sturmfahrt”, die insgesamt auch sehr gut sind, geht “Wir Sind Gold” leider ein wenig unter und wirkt sich nicht wirklich auf den Schnitt des Albums aus, aber wenn man schon die Möglichkeit hat, sich eine Version mit diesem Song als Bonus zuzulegen - warum nicht?
Damit wären wir dann durch und ich bin sehr angenehm von “Sturmfahrt” überrascht. Nach den letzten drei eher durchwachsenen Alben, kann “Sturmfahrt” endlich wieder mit den Klassikern der Anfangszeit mithalten. Es gibt vergleichsweise wenige Filler und selbst die bieten eine gewisse Qualität, sodass man sich das Album ohne Probleme am Stück anhören kann. Obendrauf gibt es wieder ein paar große Hits wie “Das Gesetz”, “Was Ist Hier Los?” oder den Titeltrack. Balladen und emotionale Momente wurden endlich wieder ordentlich umgesetzt statt im nichtssagenden Pop erstickt zu werden und auch so zeigt die Band, dass das Konzept von Eisbrecher kreativ noch nicht komplett erschöpft ist. “Eiszeit”, “Die Hölle Muss Warten” und “Schock” bieten für Liebhaber immer noch genug ordentliches Material, dass man sich die Alben als Fan zulegen. Aber ”Sturmfahrt” ist endlich mal wieder ein Album, dass ich relativ uneingeschränkt empfehlen kann, wenn man mit Eisbrecher oder gut zugänglichen NDH generell etwas anfangen kann.
Punkte: 8.5 / 10