Dulce Liquido Disolucion (2000) - ein Review von DarkForrest

Dulce Liquido: Disolucion - Cover
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1 Review
2
2 Ratings
8.25
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Dark Wave / Gothic: Industrial


DarkForrest
28.12.2021 07:46

Bei mir kommt es immer mal wieder vor, dass ich nicht dazu komme, mich näher mit einem bestimmten Projekt zu beschäftigen, obwohl es höchstwahrscheinlich etwas für mich sein dürfte. Hocico ist so ein Beispiel: Genre und Stil sind eigentlich genau mein Ding und immer, wenn ich reingehört habe, hat mich das auch durchaus angesprochen, aber ich habe am Ende tatsächlich noch nie ein ganzes Album von denen am Stück gehört. Vielleicht ist die mittlerweile sehr umfangreiche Diskographie ja auch eine Hürde: ich weiß einfach nicht, wo ich anfangen soll.

Etwas niedrigschwelliger erscheint da schon Dulce Liquido - das Sideproject von Racso Agroyam, welcher bei Hocico für das Programming zuständig ist. In den frühen 2000'ern hat er unter Dulce Liquido zwei Alben veröffentlicht. 2012 wurden beide nochmal im Bundle mit ein paar zusätzlichen Songs veröffentlicht und das war's dann eigentlich auch schon mit allen größeren Veröffentlichungen, die ich zu diesem Projekt finden konnte. Jetzt kenne ich mich natürlich zu wenig mit Hocico aus, um die beiden Projekte miteinander zu vergleichen, aber ich bin trotzdem nicht ganz ohne Erwartungen an Dulce Liquido herangegangen.

Spontan musste ich, bevor ich es mir näher angehört habe, an Dioxyde und speziell deren Album "Torschlüsspanik" denken. Vielleicht eine sehr hohe Messlatte, aber das erste woran ich denken muss, wenn es um minimalistischen, instrumentalen Industrial mit Samples auf spanisch geht. Ob die mexikanischen Kollegen das abliefern können? Schauen wir doch mal auf das 2000'er Werk "Disolución".

Auch wenn Dulce Liquido klar als eigenständiges Projekt gedacht ist, konnte man sich wohl nicht verkneifen einen "Hocico Produkt"-Sticker auf die CD zu kleben. Man merkt direkt, dass Agroyam dort für die Programmierung zuständig ist, denn "Disolución" kommt fast komplett ohne Vocals aus. 8/10 Tracks sind hier reine Instrumentals. Immerhin: der Typ scheint von Keyboard über Synthesizer und Vocals bis hin zur Abmischung alles selbst in die Hand genommen zu haben und man merkt, dass er kein Neuling in der Szene ist.

Obwohl die CD die 5-Minuten-Marke locker knackt, verteilt sich die Musik auf gerade einmal 10 Tracks und einer davon ist ein kurzes Intro und der andere eine alternative Version eines anderen Songs. Der Großteil der Songs ist dabei auch nicht so komplex, dass sie innerhalb ihrer meistens deutlich über 5 minütigen Laufzeit komplett die Ausrichtung ändern oder inhaltlich so viel bieten, dass man nicht schon nach einer Minute ungefähr wüsste, wohin die Reise gehen wird. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass das Album aufgeblasen wirkt, man es auch hätte kürzen können oder die Songs mit der Zeit langweilig wirken. Im Gegenteil: die Songs sind so lang wie sie sein müssen. Jeder einzelne Track ist wie eine eigene kleine Welt, in die man abtauchen kann, ohne unbedingt genau zu wissen in welcher Minute man sich gerade befindet. Dulce Liquido-Songs erzählen weniger eine Geschichte oder regen zum Mitsingen an, als dass sie eher mal eine bestimmte Atmosphäre erzeugen, die man einfach auf sich wirken lassen kann. Das kann je nach Song wunderbar auf der Tanzfläche funktionieren oder vielleicht doch eher mit Kopfhörern zu Hause oder beim Spazieren in angemessener Lautstärke.

Aber gehen wir doch einmal alles Stück für Stück durch: das Album beginnt leider etwas ungelenk. Wir haben das kurze Intro "Ortni" - eine Spieluhr, die plötzlich durch verzerrte Elektrosounds ersetzt wird. Wenn sich aus diesen nach und nach der nächste Song formen würde, wäre das vielleicht ein bisschen cool. Stattdessen gibt es aber nach diesen Jumpscare nochmal einen harten Cut, wir hören ein kurzes auf Spanisch gesprochenes Intro und werden dann ohne Übergang mitten in den ersten Song geworfen. Da der ganze Akt weniger als 40 Sekunden dauert, stört dieser Auftakt nicht zu sehr, ist für mich aber auch alles andere als gelungen.

Der erste richtige Song "Ilusión Hecha Mentira" zeigt direkt, dass Dulce Liquido sicher nicht für jeden so leicht zugänglich sein dürfte. Der Sound hier ist relativ roh und ungeschliffen aber dennoch sehr kraftvoll. Man wird hier ordentlich mit einigen Effekten bombardiert aber auch wenn es wirklich sehr minimalistisch ist, wurde alles gut miteinander verbunden und abgemischt, dass ich mir das sehr gut anhören kann. Mit "Psicosis" wird es ein klein wenig melodischer. Das liegt vor allem an dem treibenden Beat, der den gesamten Song trägt, während sich der Rest des Songs ganz langsam und dezent immer mehr weiterentwickelt und durch zusätzliche Effekte ergänzt wird. Sehr genial umgesetzte Nummer, bei der ich jedes Mal ernsthafte Probleme habe, still zu sitzen.

"Esquizofrenia" ist vergleichsweise abwechslungsreich. Einerseits haben wir den größten Teil des Songs über ein wahres Soundgewitter, welches so klingt als ob der gerade der dritte Weltkrieg losgeht. Andererseits haben wir aber auch in unterschiedlich starken Anteilen ein paar echt atmosphärische düstere Synths, die zwischendurch auch mal kurz in den Vordergrund rücken dürfen und mit dem rechtlichen Sound überraschend gut harmonieren. "Disolución" ist einer von zwei nicht instrumentalen Songs auf diesem Album und von diesen beiden definitiv der tanzbarere. Die Vocals könnten zwar meiner Meinung nach etwas kräftiger ausfallen, klingen jetzt aber auch nicht furchtbar. Ich würde sagen: ziemliche EBM/Industrial-Standardware, wobei ich spanisch als Sprache für dieses Genre sehr mag. Davon abgesehen ist diesmal auch die Musik deutlich zugänglicher als bei den meisten anderen Songs, sodass man "Disolución" auch ohne größere Probleme im Club abspielen könnte. Ein ganzes Album in der Form wäre wahrscheinlich etwas langweilig, aber als kleine Auflockerung finde ich es sehr nett.

"Misógino" bedient dann etwas, was ich bis jetzt auf der CD etwas vermisst habe: düstere Ambient-Tracks, die gerne auch ein paar Samples haben dürfen und etwas abgefuckt sein können. Die gute Nachricht ist, dass "Misógino" genau das ist. Die schlechte Nachricht ist, dass ich die Umsetzung leider wenig gelungen finde. Vielleicht hat man mehr davon, wenn man Spanisch versteht und mit dem verwendeten Sample etwas mehr anfangen kann. Mir ist es etwas zu lang dafür, dass es so häufig verwendet wird und dominiert die Musik für meinen Geschmack auch etwas zu sehr, was das Hören für mich eher langweilig bis unangenehm macht.

"Castillo De Impurezas" ist wieder etwas mehr straight forward und gibt gute 6 Minuten lang Vollgas. Was soll ich sagen? Es ballert ordentlich, der Sound klingt gut, aber etwas mehr Abwechslung wäre mir dann doch lieber gewesen, damit es sich irgendwie abhebt. "Macabre Secrets" ist der zweite Song mit Vocals. Diese unterscheiden sich recht stark von denen bei "Disolución" und sind hier eher eine Art Sprachgesang. Ich gebe zu, dass selbst mir die komplette erste Hälfte des Songs einfach zu chaotisch und unmelodisch ist. Sobald allerdings in der zweiten Hälfte eine Melodie auftaucht, die den Song auch noch ganz gut tragen kann und sich die Intensität der Vocals steigert, bin ich wieder sofort dabei und kann mit "Macabre Secrets" doch noch einiges anfangen. So bleibt für mich zumindest ein halber Song, den ich mir gut geben kann.

Damit endet auch mehr oder weniger der offizielle Part von "Disolución". Die letzten beiden Tracks sind eher Zusatzmaterial - zumindest interpretiere ich den Hinweis "taken from the old recording Erfus, Etallac Y Etereum" auf dem Backcover so. Keine Ahnung, was das für eine Veröffentlichung ist, ob Sampler oder Demo - finden konnte ich sie jedenfalls nicht.
"Onanismo" ist eigentlich das perfekte Outro für das Album, weil es ein reiner Ambient-Track ist. Er wirkt recht kalt und düster und passt damit klanglich gut auf "Disolución". Zum Abschluss hätten wir noch die "Muted Version" von "Disolución" - also einfach den gleichen Track nochmal als Instrumental und gerade hier ergibt es wohl auch Sinn, den Song nochmal in dieser Form raus zu hauen. Meiner Meinung nach merkt man ganz gut, dass er ursprünglich dafür konzipiert wurde, Gesang zu beinhalten und ich würde dann doch das Original bevorzugen, aber ganz nett klingt auch diese Version allemal.

Damit wären wir dann durch und am Ende hat mich "Disolución" unterschiedlich stark beeindruckt. Insgesamt ist es mir sehr leicht gefallen, das Album zu mögen. Die meisten Songs hatten mich recht schnell in ihren Bann gezogen und ich habe mehr als einmal auf "Repeat" gedrückt. Auch wenn ich mit dem Album fertig war, hatte ich das eine oder andere Mal das Bedürfnis nach einer zweiten Runde - alles schonmal sehr gute Zeichen. Ich finde auch, dass Racso Agroyam das Talent besitzt aus recht minimalistisch aufgebauten Songs eine Menge zu machen. Ein paar etwas gröbere Schwächen sind mir allerdings auch aufgefallen und das hohe Niveau von Songs wie "Psicosis" oder "Esquizofrenia" konnte leider nicht das ganze Album über aufrecht gehalten werden. Die Zielgruppe für diese Art von Musik dürfte eher klein sein und ich schätze mal, dass man selbst als Fan von Hocico lieber erstmal in Dulce Liquido reinhören sollte, aber mich konnte "Disolución" insgesamt gut überzeugen.

Punkte: 7.5 / 10


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