”Over & Over“ ist ein kraftvoller Opener mit den meisten Trademarks, die Christian Mistress auszeichnen: ein Drumming, das auch von Bill ward stammen könnte, Twin-Guitars in bester 70er-Manier und der Gesang von Frontröhre Christine Davis, die für meine Begriffe ziemlich unverwechselbar klingt und hervorragend zum pulsierenden Spiel der Instrumentalisten passt.
Der Anfang von ”Pentagram and Crucifix“ zieht einen sofort in seinen Bann. So simpel die Gitarrenspielerein ab dem neunten Tack auch sein mögen, ich kann gar nicht genug davon haben. Die Nummer entwickelt sich zu einem starken Galopp mit Priest-Anleihen, wobei der Gesang davon ausgenommen ist. Davis klingt eher rauchig und hat eine sehr eigene Aggressivität in ihrer Stimme. Die letzte Zutat sind Maiden-Leads und fertig ist ein starker Song wie er auch in den späten 70ern hätte geschrieben sein können.
”Conviction“ erfindet das Rad des ohnehin eng gesteckten Soundkonzepts der Band nicht neu. Ein bisschen mehr Blues in den Klampfen, das war aber auch schon der deutlichste Unterschied zum Vorgänger. Die Zwischenspiele in der letzten Songhälfte schmecken kräftig nach Sabbath, was uns aber nicht weiter überrascht.
Abwechslung kommt schließlich mit dem Akustikgitarren-Intro zu ”The Way Beyond“. Interessante Harmonieführung, an der auch Mikael Akerfeldt seine Freude haben dürfte. Abgelöst wird das Gezupfe von einem weiteren Intro der Saitenfraktion, welches nicht nur nach Black Sabbath duftet. Schwefelgeruch ist hier quasi allgegenwärtig. Mit vielen Breaks rumpeln sich Christian Mistress durch den Song, der wieder durch die tolle Gitarrenarbeit glänzt.
Wenn ich es nicht beim recherchieren gelesen hätte, wäre mir ”Possession“ als Cover nicht unbedingt aufgefallen. Denn die fast eins-zu-eins nachgespielte Nummer der schwedischen Doomer Faith passt zu Christian Mistress wie der Arsch auf den Eimer auch wenn Doom (geschwindigkeitstechnisch) ansonsten keine größere Rolle spielt. Sollte vor allem Live eine gute Figur abgeben.
Also wieder weiter im Retro-Biotop mit ”Black to Gold“. Ich hätte beinahe Retorte anstatt Retro geschrieben, ein Freud‘scher Verschreiber wohl. Denn Track Nr. 6 beinhaltet leider nichts, was auf ”Possession“ nicht schon abgefeiert wurde. Kein schlechter Song, aber einen Innovationspreis gewinnen Christian Mistress damit auch nicht.
”There Is Nowhere“ haut zum Glück in eine andere Kerbe, mutet ziemlich balladesque an und hat auch noch ein paar andere Gewürze anzubieten. Auch auf einer Platte, die sich in der Schnittmenge von Hard Rock und NWoBHM verorten lässt, müssen Gitarren nicht immer nach Maiden klingen. Dieser Song entwickelt sich von der Ballade zum Uptempo-Brecher und ist mit Abstand der eigenständigste Track auf dem Album.
”Haunted Haunted“ ist auch in gewisser progressiv und bringt die Stärken des Gesangs voll zur Geltung. Ein wenig beschwörend singt sich Christine Davis durch die Landschaft und auch die Twin-Guitars vom Anfang des Albums treten immer wieder in Erscheinung. Charakteristisch für die Band sind auch die Songstrukturen, die eigentlich keine sind. Es gibt selten monotone Wechsel von Chorus und Vers sondern viele verschiedene Teile, die die songs fast allesamt interessant halten. Im Prinzip eine gute Sache wenn nicht die Catchyness etwas darunter leiden würde. Man braucht schon mehrere Anläufe, damit sich Songs wie ”Haunted Haunted“ in die Platine einbrennen.
Akustisches Intro die Zweite. ”All Abandon“ ist die letzte Nummer des Albums. Nach gut anderthalb Minuten geht die Post ab und Christian Mistress tischen noch einmal alles auf: Hymnische Gitarren, treibendes Rhythmus-Bollwerk und die beste Gesangsleistung auf ”Possession“.
Ziemlich schade ist die Tatsache, dass nach dem letzten Fade-Out die Zeitreise nach nur 41 Minuten schon wieder vorbei ist. Tröstend: der CD-Player spielt die Scheibe geduldig wieder von vorne ab. Was Christian Mistress hier mit ihrem zweiten Longplayer abliefern, ist richtig gute, handgemachte und authentische Mucke. Zusätzlich zum Songmaterial ist die analoge Produktion zu loben. Da wird einem wieder bewusst, dass nicht jedes Album den gleichen Pro-Tools-Sound haben muss und dass ein Schlagzeug durchaus rumpeln darf ohne dass man alles durch Trigger glattbügelt. Wenn sich diese Band ihrer Stärken noch mehr bewusst wird und die nächsten Songs etwas abwechslungsreicher werden, dürfte mit dem dritten Album ein richtiges Highlight folgen. So gibt es 8 Punkte für eine Platte, die ich seit dem ersten Mal immer wieder hören muss. Kleine Abzüge für eine wohlklingende Monotonie ein einigen Bereichen machen ”Possession“ aber keineswegs schwach.
(8/10 Punkte)
geschrieben von mir und erschienen auf rockandrollcircus.de (http://www.rockandrollcircus.de/christian-mistress-possession/053334)
Punkte: 8 / 10