Hinter der Stimme von Hyperchild verbarg sich seit jeher Bosse, Axel Bosse. Bosse ist sozusagen ein Soloprojekt - na ja, eigentlich ein Hauptprojekt, denn Hyperchild gibt es mittlerweile nicht mehr. Die Frage "Wer sind denn die Bosse?" durfte ich allzu oft beantworten mit "Bosse, das ist Axel Bosse, sonst niemand." - "Aha, und was machen die so?"
Eigentlich hatte ich ja gesagt, es ist nur einer, aber wer das nicht versteht, der fragt halt nochmal nach, was "die" denn so für Musik machen.
Tja, die Axels machen auch Balladen, nur nicht ganz so viele. Neben den Balladen gibt es aber auch einiges Anderes zu hören. Eigentlich ist von Rock bis Elektropop alles dabei, was man sich so vorstellen kann, aber fangen wir mal von vorne an.
Das Album beginnt mit "Keine Panik" schonmal sehr gesellschaftskritisch: "Ich glaub die größten Silikonlippen und alle eure Liftings sind Gedenkstätten der Zeit / In der Welt, die ich besuche, stimmt alles auf den ersten Blick / Auf den zweiten bricht alles ein, doch das Styling sitzt perfekt". Musikalisch ist das Ganze in ein offensives, doch niemals aufdringliches Gewand gehüllt.
Textlich setzt sich der Widerstand gegen die heutige Gesellschaft in fast allen Songs fest, wobei in den Balladen "Niemand vermisst uns", "Diese Tage sind verloren", "Skizziert" und "Winterzeit" hauptsächlich Liebe und Verlust thematisiert werden. Vor allem "Niemand vermisst uns" geht sehr ans Herz, da es das Leben in einer Großstadt doch sehr emotional darstellt - und ja, es ist mir egal, ob es da wirklich um eine Beziehung in der Großstadt geht, ich bin so frei, es einfach mal so zu deuten.
Als besonders erwähnenswerte Ballade ist zudem "Das kleinste Glück" zu nennen, das mit einer Spiellänge von nicht weniger als sieben Minuten so manche Metal-Band übertrifft. Bei diesem Stück lässt sich Herr Bosse dann auch nicht lumpen, noch einmal ein paar Streicher ins Studio kommen zu lassen, um das Stück stimmungsvoll zu begleiten.
Apropos Begleitung: Fast jedes der 15 Stücke wird mal mehr und mal weniger subtil von elektronischen Melodien umgarnt, die dem Album insgesamt ein ganz besonderes Flair geben. Als gesangliche Begleitung gibt es bei "Novemberregen" Elke Brauweiler von der Berliner Band Paula - aufmerksamen Radiohörern vielleicht durch den Song "Als es passierte" bekannt - zu hören, die mit Axel ein wunderbares Duett singt. Der Song hat entgegen etwaigen Vermutungen übrigens nichts mit "November Rain" von Guns'n'Roses zu tun.
Als Fehltritt kann eigentlich kein Song bezeichnet werden. Was mir beim ersten Hören jedoch gleich negativ aufgefallen ist, ist die Tatsache, dass "Highspeed" leider alles andere als Highspeed ist, was aber mehr eine Formsache als ein ernstzunehmender Kritikpunkt ist.
Das sechzehnseitige Booklet ist schön bunt gehalten, alle Texte sind vorhanden, was aber sowieso als Standard anzusehen ist. Leider ist das Artwork doch etwas unübersichtlich, was das Mitlesen der Texte in Echtzeit teilweise ziemlich erschwert.
Es bleibt zu sagen, dass "Kamikazeherz" ein ernstzunehmendes Album ist, das mit kraftvollen Songs wie der ersten Single "Kraft" genauso zu überzeugen vermag wie mit Elektropop ("Stadtastronauten") oder den doch etwas überrepräsentierten, schon erwähnten Balladen.
Punkte: 7 / 10