Als Dylan Ende Mai kollabierte, kurz nach seinem 56. Geburtstag, und danach tagelang so schwer an diesem obskuren Herzbeutelinfekt laborierte, dass er schon damit rechnen musste, vor Elvis zu treten, war „Time“ längst im Kasten. Der dröstliche Gedanke, diese Songs bar jeder Hoffnung könnten Ausfluß einer beinahe letalen Fieberkurve sein, entbehrt also jeder Grundlage. Kein Virus trieb diesen Weltschmerz aus, nur Einsamkeit und Isolation zeitigen Zeilen wie „I got no place left to turn / I got nothing left to burn“.
Ein Fremder in seiner Zeit gibt da Laut, einer, für den Zeit überhaupt kein Faktor zu sein scheint in seinem eng und wirr gesponnen Kokon aus verletztem Stolz und verschmähter Liebe. Es ist ohnehin alles zu spät, der seelische Notstand so intolerabel wie inkurabel. Ob das reale Bob-Leben en detail Pate stand für das hier ausgebreitete Unglück und ob seine inzwischen erfolgte halbherzige Distanzierung nicht nur ein weiterer Hilferuf ist, bleibt dahingestellt. Unzweifelhaft ist das Künstlers Haltung angesichts des grimmigen Liebesverzichts sowie dessen rigider musikalischer Umsetzung. Identität angeknackst, Dekor ganz unverkünstelt.
Dylanaologen haben wenig Freude an „Time“. Dylans beste und wichtigste Platte seit 22 Jahren gilt manchem Bob-Spinner als Ausrutscher. Übler noch, man diskutiert seine geistige Präsenz bei der Genese des Werkes, taugt doch nicht einer der elf Songs, die erstens aus des Meisters Feder seit immerhin sieben Jahren, zur zünftigen Exegese. Nichts scheint dylanesk. Kein Hirnfick, kein Schwurbel, kein Literatenleatein, keine Mystik, überhaupt keine Beflissenheit. Etymisch gibt es da tatsächlich wenig zu holen. Die Botschaft ist brutal: „I`m sick of love.“
Kein Raum für Interpretation, allenfalls für Ursachenforschung. Verzagt seine Bobness an der Perspektivlosigkeit der Never Ending Tour, daran, dass er stets nur am epochalen Frühwerk gemessen wird, oder am ramponierten Ruf? Der Mann lässt ja wahrhaftig keine Peinlichkeit aus: das zomboide Geröchel beim Bob-Fest im Madison Square Garden, der Auftritt in der Militärakademie West Point, das Zukreuzekriechen bei seiner Scheinheiligkeit dem Popen.
Geht ihn der Sinn für Maß und Moral völlig ab? Der Verdacht liegt nahe. „I think one thing today“, faselt er freimütig, „ and I think another thing tomorrow.“ Was seiner Klage über die Defizite der Neuzeit in Sachen Loyalität und Opferbereitschaft in ein Zwielicht taucht, die Intensität dieser Klage freilich nicht mindert.
Auch Bob-Fans kritteln an „Time“ herum. Sein Gesang wird beanstandet. Er sei „pathetically weak and weedy now“, märkelt das Bobzine „Isis“. Dabei singt Dylan für seine Verhältnisse ausgesprochen promoniert. Kein Nuscheln, kein Nölen, keine verschluckten Endsilben. Der krächzige Lapidarton passt zu der Kunstlosigkeit und der zuweilen lachhaften Simplizität dieser Texte. „I`m strumming on my gay guitar / Smokin a cheap cigar.“ Eines Dichterfürsten unwürdig? Unsinn. Auch Robert Johnson hat Schabernack getrieben mit der Schwermut. Woody Guthrie hat sich selbst verhöhnt.
Und auch die Musik hat bei aller Lakonik einen burlesken Dreh, einen ironischen Kick, besonders im farfisagschulten Orgel-Trash von Augie Meyers und in Jim Dickinson Wurlitzer-Verruchtheit. So organisch, so wenig organisiert und doch kein bißchen dispers. „Dirt Road Blues“ etwa, ein schludriger und schlieriger Rockabilly, oder der gewagte, mehr als 16-minütige instrumentale Stoizismus von „Highlands“, melodisch ausgesprochen variationsarm und mit einem rudimentären Gitarrenmotiv wie von Charlie Patton, aber perfekt für eine Feier des Faktischen, eine Geschichte ohne Pointe. „I said ´´Tell me what i want.´ / Seh say, `You probaly want hard-boiled eggs.` / I say, `That`s richt, bring me some.` She says,We ain`t got anay, you picked the wrong time to come.`“
Eingeschneit in Minnesota hat Bob Dylan diese unversöhnlichen Gongs verfaßt, diese grapgebeugten Strophen, zwei Jahre vor Erscheinung des Albums bereits. In elf Tagen wurden sie dann im Studio gebannt, von bis zu drei Bands gleichzeitig, unter nicht selten tumultuarischen Umständen. Daniel Lanois, dessen unseliger Hang zu klanglicher Schönfärberei und zum vollintergrierten Mix Dylans „Oh Mercy“ über Gebühr gestriegelt hatte, wuchs entweder über sich selbst hinaus oder wurde kaltgestellt. Streit soll es gegeben haben im Studio, die Arbeitsteilung wohl nur nominell die übliche zwischen Artist und Producer. Die Musiker sollen von Dylan gar ermuntert worden sein, die Instrumente zu tauschen. Lanois haben da sicher schon Wettkämpfe geschüttelt. Könnte gut sein, dass der kanadische Produzent gar nicht zum Föhnen kam, weil ihm Dylan die Sänger mit den ROURGH MIXES wegnahm.
„That`s good enough for now“, hat er vielleicht verfügt. Das ist auch die Zeile, die er singt vor dem letzten Fadeout. SYMPATHY FOR THE OLD DEVIL.
Punkte: 9 / 10