Die Chöre in „The Ninth Wave“ leiten bombastisch in das Werk ein, die Freude ist groß, doch während der folgenden Minuten stellt sich Ernüchterung ein. Keine völlige, aber ausreichend, um das Stück auch nach dem gefühlt 50. Mal nicht gut finden zu können.
Offensichtlich ein klarer Fall von „Zu viel gewollt, und das dann nicht umsetzen können“.
Jetzt schon eine solche Kritik? Ja! Bei so einem Anfangstrack.
Im aktuellen Deaf Forever widmen sie dem Album ‘ne ganze Seite mit mehreren Rezensionen, Enttäuschung und Ernüchterung bestimmen die Meinungen. Auch Lob gibt‘s. Wenn man das liest und das Album schon viele Male gehört hat – ganz oder in Teilen –, bleibt festzustellen: Irgendwie haben alle Rezensenten auf ihre Weise Recht. Und irgendwie auch nicht. Den Lobeshymnen im Rock Hard kann ich mich so jedoch nicht anschließen, wobei hier das Gleiche gilt. Irgendwie haben sie wohl alle Recht.
Ein sonderbares Album: BLIND GUARDIAN legen ein äußerst ambitioniertes Werk vor. Doch dafür ist das Ergebnis dann tatsächlich unglaublich durchwachsen. Jeder Song bietet große Momente, wunderbare kraftvolle Melodien für mindestens neun Punkte, gelungene Refrains, ordentlich Bombast. Das ist wahrscheinlich unbestritten. Das wär ja was, wenn ein BG-Song nicht seine großen Momente hätte, nicht vorstellbar.
„The Ninth Wave“ ist durchaus eine Zumutung für so manchen Fan! So viele Ideen und (zu moderne) Effekte, Spuren, unglaublich. Aber leider kommt alles andere als ein schlüssiger Song dabei heraus. Vielmehr Stückwerk. Mein erster und bleibender Eindruck. Ein vernichtendes Wort (und zum Glück verwendet auch einer dieser o.g. Profi-Metaller dieses Wort). Stückwerk auf hohem sehr hohem Niveau allerdings, aber macht das die Sache besser? Kaum. Vielleicht im Gegenteil sogar noch schlimmer. Wie können diese Perfektionisten ernsthaft ihr Werk mit einem derart missglückten Song beginnen lassen? Alles so undifferenziert, die Orchesterinstrumente verschwimmen irgendwo im Hintergrund der verwaschenen Produktion. Unfassbar. Und ich hab‘ doch eine gute Anlage daheim. Hier wird der Hörgenuss schon gewaltig getrübt. Ich hör jetzt direkt noch mal „Sacred Worlds“, den Opener von „At The Edge Of Time“: Was für ein Unterschied! Alles schlüssig, ein famoser Song, in dem Metal-Band und Orchester harmonieren.
Es geht mit „Twilight Of The Gods“ zunächst durchwachsen weiter, doch es wird besser. Gott sei Dank sind alle übrigen Nummern stärker, ich wär ja auch vom Glauben abgefallen, wenn es so weitergegangen wäre. Wenn nur die Instrumente nicht so eigentümlich klingen würden. Meinen Lieblingssong dagegen hab‘ ich noch nicht gefunden, „At The Egde Of Time" hat gute Chancen. Ich möchte jetzt nicht jeden Song analysieren. Insgesamt sind Orchester und Chor nur mittelmäßig in das Album eingebunden, was fraglos auch an der sonderbaren Produktion liegt. (Das kann der ehemalige Rage/LMO-Arrangeur Smolski besser.)
Hier ist so ungeheuer viel gewollt, dass sich die einzelnen Elemente gegenseitig im Wege stehen. Die Männer von BLIND GUARDIAN sind doch Könner, denke ich, das muss also so gewollt sein. Aber warum, um Himmels willen?!? Die Perfektion in Arrangements, die man von der Band irgendwie erwartet, ist häufig nicht auszumachen bei all der Überfrachtung. Und ja, auch der Schlagzeug-Sound trägt seinen Teil zum zwiespältigen Gesamtbild bei. Ich denke, wir haben es hier zunächst einmal mit ausschließlich klasse Songs zu tun, die aber von der Band in ihrem Übereifer kaputt gemacht worden sind, Musterbeispiel wie genannt ist „The Ninth Wave“. Mal schaun, wie sie das Album in ein paar Jahren beurteilen werden, und was für Lehren sie daraus ziehen werden. Grad eben läuft "The Throne" mit den Streichern irgendwo im Hintergrund. Eigenartig, und trotzdem geil! Ist das das Fazit? Möglich.
Andererseits: Um das Werk in seiner Gesamtheit als schlecht o.Ä. zu bewerten, muss man schon Hardliner sein, denn das ist es nicht. Es ist auch keine riesen Enttäuschung, denn „Beyond The Red Mirror“ vermag durchaus zu fesseln. Ich weiß nicht, wie oft ich es schon ganz oder in Teilen angehört habe. Aber oft genug, um jedes Mal über die tollen Songs in so mäßigem Klangbild zu staunen. Mit Sachen wie "Sacred Mind" und gerade auch der Pianoballade "Miracle Machine" sind auch Songs aus der zweiten Liga mit dabei.
Das textliche Konzept mit diesen Charakteren kommt mir zwar auch etwas aufgesetzt vor, und es interessiert mich eher wenig, was der Fantasyleser Kürsch sich da ausgedacht hat. (Da versuch ich lieber, bei Cornelia Funkes drittem „Reckless“-Band nicht den Faden zu verlieren. Da ist auch etwas zu viel los.) Die Illustrationen gefallen mir nur mäßig. Aus Sammelgründen hätte ich mir zum Digibook ja auch noch die LP mit dem blauen/eigentlichen Cover gekauft, aber in Betrachtung des Gesamtwerks reicht mir nun doch eine Version. (Welche Vinyl-Version? Schwarz selbstverständlich, was denn sonst?)
Irgendwie geht es mir mit dieser Rezension so wie der Band selbst, hab ich das Gefühl. Immer wieder fallen mir mehr oder weniger druckreife Sätze ein, wenn ich grad weit weg vom Computer bin. Später bekommt man die nur noch vage hin, und versucht, die Gedanken und Fomrulierungen möglichst toll zusammenzubasteln. Ich hätte es auch einfacher angehen können. Eine überambitionierte Kritik, Stückwerk gar? Wunderbar, dann passt sie ja auf ihre Weise zum Album.
Und was nun?
Sieben Punkte. Mehr ist für mich nicht drin, allzuviel weniger sollten es aber auch nicht sein. Und ab jetzt wieder etwas häufiger "At The Edge Of Time" und auch "A Twist In The Myth" ahören. Ein Meisterwerk ist "Beyond The Red Mirror" nicht, und es wird auch nie, nie dazu werden.
Und nächstes Mal bitte wieder etwas weniger Materialschlacht. Wir sind schon jetzt gespannt!
Punkte: 7 / 10