Wortgewaltige Texte mit zig Strophen dominieren auf der LP, die - wenn sie nicht auf Kölsch wären - durchaus auch von einem spitzzüngigen Ulrich Roski, Reinhard Mey oder von Schobert & Black stammen könnten in ihrer kabarettistischen Art. Niedecken läßt schon erahnen, welche Qualität er textlich erreichen kann, und daß er auch etwas zu sagen hat. Und auch die Vorlagen von Niedecken's Held Bob Dylan sind unverkennbar zu identifizieren, sei es der "Motorpsycho Nightmare", der Pate für den "Alptraum eines Opportunisten" stand oder der "Talkin' Bear Mountain Picnic Massacre Disaster Blues" aus Gaslight-Zeiten, der eindeutig zu "Sinnflut" inspirierte ... sechs der acht Titel sind solche Kabarett-Nummern, die teils bissige Gesellschaftskritik in witzigem Gewand präsentieren, dazu das poetische "Liebesleed", bei dem der gelernte Kunstmaler Niedecken den besungenen Frauen bildhaft Städte zuordnet, die deren Eigenschaften widerspiegeln - der leidgeprüften Dorothea das zerbombte und wiederaufgebaute Dresden, der umworbenen, Männer verschleißenden Vera das im Grabenkrieg umkämpfte Verdun, der noch unbekannten Maria das Sehnsuchtsland Marokko: Hier zeigt Niedecken, daß er nicht nur bissig und witzig sein kann, sondern was er mit Worten an Stimmung und Poesie zaubern kann. Den Abschluß bildet ein Cover-Medley aus zwei Spaßnummern, wahren Schnaps-Ideen, deren erste die eben noch beim "Liebesleed" gezeigte Dichtkunst schon fast wieder karrikiert mit der Spielerei, jede Strophe an den Zeilenenden auf einen der 5 Vokale zu reimen - exakt in Reihenfolge A E I O U.
Musikalisch wirkt das Ganze noch relativ unausgegoren: Es fehlt ein versierter Arrangeur, Hans Heres an der Gitarre fehlt es an Gespür für die passenden Gitarrensounds (oder vielleicht ja auch an den nötigen Effektgeräten?), die Arrangements wissen nicht so recht, wo es mit dem Song hingehen soll, es fehlt an Spannungskurven etc. Auffällig auch die vielen akustischen Gimmicks, die den Textinhalt unterstützen sollen, wie z.B. die Tagesschau-Fanfare gleich zu Beginn des Albums. Der einzige Song, bei dem die Band tatsächlich rockt, ist die Kölsche Version eines Zwitters aus "Wild thing" und "Get off of my cloud" mit dem Titel "Wahnsinn" ... nein, da sind noch keine Profis am Werk, die den Markt mit ihren Kölschen Songs erobern wollen: Hier ist eine lokale Band, die den Kern ihres Repertoires bei einem kleinen Plattenlabel aufnimmt, um bei den Auftritten den Zuschauern eine LP verkaufen zu können.
Nach dieser LP kam für BAP die Stunde der Wahrheit, an dem sich die Bandmitglieder entscheiden mußten, ob sie diesen Weg weiter gehen wollten. Schon bei der nächsten LP "Affjetaut" waren neue, bessere Musiker an Leadgitarre, Baß und Keyboards. Gitarrist Hans "Honce" Heres stieg im väterlichen Betrieb ein und wurde durch Klaus Major Heuser ersetzt, der aus BAP eine echte Rockband machte - der Rest ist Geschichte ...
Insofern ist diese LP ein Dokument der Anfänge und unterscheidet sich musikalisch stark von den darauf folgenden Erfolgsalben von BAP, die der ersten Hälfte der 80er ihren Kölschrock-Stempel aufdrücken sollten ...
Die Remaster-Bonus CD bietet im Vergleich zu anderen BAP Remasters durchaus beachtlichen Mehrwert, denn mit der ersten BAP-Single mit Major Heuser "Chauvi Rock" und dem Outtake "Aachterbahn" gibt es immerhin 2 Songs, die noch nicht bzw. nicht auf CD erhältlich waren, dazu noch frühe Versionen von "Jraaduss", "Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg" und dem erst 1987 auf dem Complizen-Album erschienenen "Neuleed". Dazu gibt es noch weitere bis dahin unveröffentlichte Live-Versionen und die Crossover Version von "Wahnsinn" vom '95er Greatest Hits Album. Glücklich, wer die erste Remaster Edition ergattern konnte, auf der auch noch ein Interview von Frank Laufenberg mit Wolfgang Niedecken enthalten ist, gegen dessen Veröffentlichung Ex-Bandmitglieder erfolgreich klagten. Auch die kurzen Einleitungen zu den Outtakes fehlen leider auf zweiten Remaster-Fassung, auf der auch die Live-Bonustracks durch 3 Live-Versionen vom '83er Live Album ersetzt wurden.
Punkte: 7.5 / 10