Die Bandbreite der ausgewählten Stücke frappiert: Vom früh-60er US-Crooner-Pop ("You Don't Own Me") über Bluesrock ("Politician"), Leonard Cohen's "A Thousand Kisses Deep" und David Bowie's " I'm Afraid Of Americans" hin zu Amy Winehouse (Back to Black") und Gerry Rafferty ("Baker Street"). Die Musik klingt jedoch wie aus einem Guss. Ann weiß eben, wie man mit Musik fast aller Stilrichtungen adäquat umgeht!
Interessanterweise sind es nicht immer die bekanntesten Nummern der berücksichtigten Interpreten: Von Bowie eben nicht etwa "Space Oddity" bzw. von George Michael eben nicht "Faith". Einige dieser Stücke liegen bei mir schon Jahrzehnte lang im Regal, ohne dass sie mir irgendwie aufgefallen wären. Kaum von Ann Wilson gehört, wird klar, was für geile Nummern das sind. So gings mir schon öfter, wenn ich ein Cover von den Wilson Schwestern gehört habe. ( z.B. das von Bob Dylan im Original rudimentär und langweilig klingende "Ring Them Bells" im Vergleich zu der ergreifenden "Heart"-Studioversion von 1993 oder diversen Liveversionen)
Und noch ein Wilson-Effekt stellt sich auch bei "Immortal" wieder ein: Als Mitteleuropäer war ich mit Englisch erst ab der Schulzeit konfrontiert, verstehe dennoch meist fast jedes Wort des Textes, doch wird der Sinnzusammenhang nicht unmittelbar klar. Ich müsste erst mal kurz übersetzen, was ich meist nicht tue. Wenn Ann Wilson singt, verstehe ich aber sofort den Sinn, ohne darüber nachdenken zu müssen. Beispielsweise wurde mir erst beim Hören von "Immortal" klar, wie die Eagles das "Life In The Fast Line" in den Strofen im Detail beschrieben hatten. Ann kann eben meisterhaft interpretieren wie kein(e) zweite(r). Man hat den Eindruck, sie singt nicht nur eine Melodie, sondern erzählt dabei eine Geschichte. "I'm the storyteller" - mit diesen Worten beschreibt sie selbst auch ihre Rolle als Sängerin. Wie wahr!
Der Zahn der Zeit ist leider auch an der Stimme der 68-jährigen nicht ganz spurlos vorüber gegangen. Besonders laute und oder sehr hohe Passagen werden kürzer als früher üblich gehalten oder klingen ein bisschen angestrengt. Das ist aber Meckern auf höchstem Niveau. Ann's stimmlicher Druck reicht auch im Oma-Alter noch locker aus, um nahezu alle anderen Jungspunde weg zu blasen.
Der umtriebige Warren Haynes ist bei zwei Stücken mit feiner Leadgitarre zu hören, "Heart"-Produzent Ben Mink steuert eine effektvolle Violine bei, Ann selbst packt mal wieder ihre Flöte aus (bei "I am the Highway" von Soundgarden's Chris Cornell).
"Immortal" - Ein schönes Geschenk von Ann Wilson an ihre Fans und solche, die es werden wollen. Das noch bessere Geschenk wäre allerdings ein Reunion mit ihrer Schwester Nancy, ob als "Heart" oder sonstwie.... Beide zusammen sind nämlich deutlich mehr als ihre bloße Summe!
Punkte: 9 / 10