Es ist ein halbes Jahr her. Irgendwo im Nirgendwo der Schleswig Holsteinischen Diaspora betrat ein gewisser Ryan McGarvey auf dem Dachboden eines ortsansässigen Biobäckers im Trioformat eine kleine Bühne und bestritt einen nicht zu gewinnenden Kampf mit einer Armada von Effektgeräten.
War es Blues? Rock? Fusion? Space?
Der noch vergleichsweise junge Mann wollte verdammt viel, offenbarte auch exorbitante Fähigkeiten am eigentlichen Arbeitsgerät, verlor sich jedoch in den Welten der technischen Hilfsmittel. Auf der Strecke blieben die Songs.
Ein nicht mehr ganz so junger Mann sprach Ryan McGarvey demzufolge nach dem Konzert darauf an, ob es nicht eine gute Idee wäre, die Band mit einer Taste zu bereichern.
Es folgte am nächsten Mittag zunächst mal ein Solo-Unplugged-Gig an gleicher Stätte zum Frühschoppen. Begeisterndes Saiten-Gezupfe, plötzlich erkennbare, teils wunderbare Songs, viel Emotion im Vortrag … kurz, ein McGarvey zum Nichtwiedererkennen! Der Rezensent wünschte sich umgehend für die Zukunft ein mehr akustisch eingespieltes Album.
Nun ist Ryan McGarvey kein Greenhorn mehr. Vor 12 Jahren reüssierte er mit seinem Debütalbum „Forward In Reverse“ und katapultierte sich damit zumindest in der eingefleischten Bluesrock-Szene in die Riege der hoffnungsvollen Saitenartisten-Wunder“kinder“. Von diesen gab und gibt es erstaunlich viele, in der breiten Öffentlichkeit setz(t)en sich aber nur die allerwenigsten durch. Jüngstes Beispiel hierfür ist mit Sicherheit Joe Bonamassa, ein bisschen älter als Ryan McGarvey, kommerzieller Abräumer der gesamten Szene und damit sozusagen das Maß der Szene-Dinge.
Somit sind entsprechende Vergleiche legitim und unausweichlich … und genau an der Stelle lässt sich konstatieren, dass entsprechende Mitstreiter/Konkurrenten im Zuge der Verkommerzialisierung eines Joe Bonamassa seit geraumer Zeit Alben auf den Markt werfen, welche die Saitenartistik zügeln, gefälliger, glatter und musikalisch auch mal in anderen Gefilden wildernd daherkommen. Damit soll sicherlich ein größeres Publikum angesprochen werden.
Schließt sich Ryan McGarvey mit seinem neuesten Studio-Output dem an? Immerhin waren seine drei bisherigen Studioalben allesamt gezügelter und fokussierter als seine mitunter fulminanten wie anstrengenden Live-Darbietungen. Und setzt er tatsächlich offene wie heimliche Fanwünsche um?
Nun, „Heavy Hearted“ beginnt mit einer verträumten Akustikgitarren-Einlage, sinnigerweise „Prelude“ betitelt, um dann mit klassischem Hardrock alle aufzuwecken … kurz, prägnant … und tatsächlich mit Orgel!
Aber das ist ein stilistisches Täuschungsmanöver, im Folgenden frönt Ryan McGarvey allen Facetten modernen Bluesrocks, allerdings ohne jemals ins gefällige, glattgebügelte abzugleiten. Stattdessen dürfen wir fortgesetzt fantastischen Saitenläufen lauschen, die sich hier ungezügelt austoben dürfen, ohne angenehme Songstrukturen zu zerstören. Bei aller beeindruckenden Leistungsschau, Ryan McGarvey offeriert hier hervorragende Genre-Songs und kombiniert das Ganze mit einem erstaunlich leidenschaftlichen, hochemotionalen Vortrag voll Gefühl und Seele. Hierin unterscheidet er sich schon fast eklatant vom doch sehr kalkuliert wirkenden Bonamassa oder dessen Vorgänger Gary Moore, der hier stilistisch durchaus seine Spuren hinterlassen hat, und weiß den Rezensenten nachdrücklich zu fesseln.
Daran dürfte wohl die Trauerverarbeitung ob seines verstorbenen Vaters, der auch gleichzeitig sein größter Förderer war, ihren Anteil haben.
Gitarristisch fegt Ryan McGarvey jedenfalls wie ein Orkan durch sein Album, pendelt musikalisch abwechslungsreich mit eigener Note zwischen Stevie Ray Vaughan, Gary Moore, The Brew, Joe Bonamassa, Kenny Wayne Shepherd oder ZZ Top und setzt nach Meinung des Rezensenten Genre-Maßstäbe, trotz der immens großen Konkurrenz von eben dem Joe Bonamassa, dem Wuppertaler Henrik Freischlader, Eric Gales, dem mittlerweile in Bremen ansässigen Krissy Matthews, über Dan Patlansky, Ben Poole, besagtem Kenny Wayne Shepherd oder Eric Steckel bis hin zu Mike Zito. Das hat neben einer immensen Fingerfertigkeit auch damit zu tun, dass McGarvey es gelernt hat, zwischen Hochgeschwindigkeit und Notenreduktion zu pendeln … in der Mitte des Albums packt er sogar nochmals seine fantastische Akustische aus, um das Album nach viel zu kurzen 48 Minuten mit einer akustischen „Conclusion“ zu beenden.
Fazit: Mit „Heavy Hearted“ legt Ryan McGarvey sein bisheriges Meisterstück vor … erwachsen, reif, stellenweise aber ungestüm genug, um nicht in den Verdacht der Kommerzialität zu geraten, dabei ungemein fesselnd, emotional und beseelt im Vortrag. Wird er damit doch noch zur ganz großen Genre-Nummer?
Nein, trotz einem Sentiment-Song wie „Who Would’ve Thought“, der den diesjährigen Oskargewinner „Shallow“ (Lady Gaga/Bradley Cooper) musikalisch locker in den Schatten stellt (inklusive Weltklasse-Solo).
Immerhin veröffentlicht Ryan McGarvey immer noch in Eigenregie … kein großes Label redet ihm rein, womit aber automatisch alle Mechanismen wegfallen, um einem breiteren Publikum bekannt zu werden.
Dafür erfüllt er aber tatsächlich noch offen und heimlich ausgesprochene Fanwünsche … die Bewunderung des Rezensenten ist ihm gewiss.
Punkte: 9.5 / 10