Mayfair Schlage Mein Herz, Schlage... (2013) - ein Review von noiseagain

Mayfair: Schlage Mein Herz, Schlage... - Cover
1
1 Review
7
7 Ratings
8.36
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Progressive Metal



03.01.2014 23:21

Wie fängt man ein Review an, wenn die Platte, die es zu besprechen gilt, diejenige ist, der man schon seit Jahren am meisten entgegen fiebert? Wie begegnet man dem Gefallensdruck, bis sich die Scheibe dann endlich, endlich im Player dreht? Wie findet man den richtigen Moment für den ersten Spin, der ja ein besonderer Moment, an den man sich auch später noch erinnern will, sein soll? Solche Fragen kann wohl nur ein Musikverrückter verstehen und nur ein solcher wird wissen, was die richtige Lösung dafür ist.

Hören wir also gemeinsam hinein in "Schlage mein Herz, schlage". Ein deutscher Titel. Das sagt schon einiges. MAYFAIR hat schon immer englisch und deutsch gemischt, was sogar ein Trademark der Band geworden ist. Die erste erfreuliche Feststellung bei Hören ist, dass sich dies nicht geändert hat. Im Gegenteil, sieben Stücke haben deutsche Textestücke, fünf davon (Der Titelsong, 'Abendporno', 'Drei Jahre zurück', 'Du allein' und 'Der Abschied') sind sogar komplett auf deutsch gesungen. Dazu später mehr.

Wer MAYFAIR kennt, wird wissen, dass ihre Musik extrem eigenständig klingt und mit gängigen Rezensenten-Floskeln niemals komplett eingegrenzt werden kann. "Behind..." war eine total durchgeknallte, komplizierte Prog-Metal-Achterbahnfahrt, auf "Die Flucht" wurde dies um psychedelische Elemente mit hypnotischen Beats und Gesängen erweitert und "Fastest Trip To Cybertown" war eine futuristische Geisteswanderung in die Welt der Loops, Samples und Soundeffekte. "Schlage mein Herz, schlage" jedoch ist nichts von alledem. Es ist weder Prog noch Metal, weder Electronica noch Psychedelia, oder ist es vielleicht alles auf einmal? Es ist jedenfalls vom ersten Schlag an typisch und unverkennbar MAYFAIR. Und warum? Weil der Gesang von Mario so charakteristisch, unverkennbar und leidenschaftlich wie eh und je ist. Weil der Gitarrenstil von Réné, den er sich von klein auf selber angeeignet hat, so einzig- wie eigenartig ist, dass man ihn unter Tausenden heraushören kann. Weil MAYFAIR es geschafft hat, die kreative Atmosphäre, die Anfang der Neunziger im Proberaum herrschte, in der Gegenwart wieder aufleben und in faszinierenden Songs einfangen zu lassen.

Warum MAYFAIR dennoch so anders klingt als früher, ist am einfachsten durch die Neuzugänge zu erklären. Das alte, geniale Gebrüder-Rhythmusdoppel Mötle (Bass) und Little (Schlagzeug) wurde durch den langen Weggefährten Jolly (Drums) und Neuling Hannes (Bass) ersetzt, und diese beiden bringen ein komplett anderes Feeling in die Band ein. Man agiert wesentlich straighter und grooviger, geerdeter und in sich selbst ruhender. Wuselige Drumloops und vertrackte Breaks sind Vergangenheit, tanzbare, supertighte und oft geradeaus rockende Rhythmen bestimmen die Gegenwart. Wer jetzt denkt, dass die Musik dadurch einfacher zu erfassen ist, sieht sich allerdings arglistig getäuscht. Der Verzicht auf die Rhythmusfokussierung vergangener Tage schafft ungeahnte Freiräume für die Gitarren und den Gesang. Was Réné und Mario hier wieder an bizarren und verdrehten Ideen und Tönen auf die Hörerschaft loslassen, ist wie immer unfassbar, unbeschreiblich, großartig, genial, MAYFAIR. Vor allem Mario hat sein stilistisches Repertoire erneut um ein paar Facetten erweitert, wobei die prägnanteste Neuerung der Einsatz von fiesen, beinahe schwarzmetallischen Schreien ist.

Steigen wir also anhand von Songbeispielen tiefer in die Materie ein:

Der treibende Opener und Titelsong 'Schlage mein Herz, schlage' erinnert vom Beat her ein wenig an HAWKWIND, wo spacige Gitarren gegen einen treibenden Bass spielen, der hypnotische Drumbeats unterstützt. Der Gesang ist sehr eindringlich, die hohen(!) Growls fahren einem ins Mark und diabolisches Gelächter entfacht eine gespenstische Stimmung, während beim Refrain sicher live alle Kehlen lauthals mitbrüllen werden. Im diesem Song gehts es darum, sich im Leben Ziele zu definieren und einen Weg zu finden, das Leben zu lieben. Beim Versuch, dabei Spuren zu hinterlassen, stösst man allerdings auf Widerstände. Auch 'Firestorm' ist eingängig, erinnert anfangs sogar an die RED HOT CHILI PEPPERS gepaart mit ein wenig 80iger-Flair. 'Firestorm' symbolisiert die Punkte im Leben, an denen man anfängt, sich zu hinterfragen, Werte in Frage zu stellen und alles umzukrempeln.

'Abendporno' ist ein sehr roher, agressiver Song mit Garagenflair und provokativem Text. Hier kommt die Vorliebe der Band für Tarantino-Filme zum Tragen und es ist geplant, dies auch optisch entsprechend zu untermalen. 'Du allein' ist ein Song, bei dem den Verlust einer Person thematisiert wird, allerdings nicht in trauernder, sondern in vorwursvoller Form. Ein stoischer Beat unterlegt den anklagenden Gesang und im Hintergrund jaulen psychedelische Gitarren durch Armeen von Effektgeräten. Im Zentrum der Scheibe steht 'Island'. Dieser Song spielte eine große Rolle für die Wiederbelebung der Band und war der erste gemeinsam ausgearbeitete Song nach der Reunion. Es handelt sich um eine Emotionsbombe vergleichbar mit 'Waterproof' von der "Fastest Trip To Cybertown"-CD, und wirkt auf mich ebenso berührend und tief unter die Haut gehend. 'Bitter And Sweet' ist dann ein zähflüssiger Doom-Metal-Song mit einem etwas trägen Grundriff, wird aber duch Marios unnachahmliche Phrasierung beim Gesang ebenfalls über die MAYFAIR-Qualitäts-Grundlinie befördert. Auch alle anderen Songs und Texte sind individuelle Perlen, die jede für sich allein stehen und unbedingt gehört und gelesen werden wollen.

Fazit: MAYFAIR gelingt es auch mit dem vierten Album, weit jenseits aller musikalischen Standards zu musizieren und legt einmal mehr einen Meilenstein progressiver Musik hin. Dabei sind die Vorarlberger weiterhin stilistisch alleinstehend, denn sie orientieren sich zu keiner Minute an Standards, Trademarks oder Modeerscheinungen, die landläufig als "progressiv" gelten. Das macht MAYFAIRs Musik schwierig aber auch total großartig. Ich freue mich wie der Schneekönig, diese zehn Goldstücke immer und immer wieder zu hören.

Review erschienen bei powermetal.de am 9.11.2013

Punkte: 9.5 / 10


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