Auf den Fotos im Booklet zu "Euphobia" kauern die Mitglieder von Eyevory verschüchtert in dunklen Ecken oder halten sich ostentativ die Ohren zu. Das mag man interpretieren, wie man will, aber Fakt ist, dass die vier Jungs und Mädels aus Bremen zwar überwiegend auf Grundlage süßlichster Popmusik arbeiten. Diesen Stil entwickeln sie aber mit beeindruckender Narrenfreiheit in alle möglichen Richtungen, sodass am Ende ein höchst vergnügliches Album steht.
Das weniger spektakuläre untere Ende markieren dabei noch einige Nummern im Mittelteil von "Euphobia": "On My Way To Bliss" ist eine eher simple Halbballade, aber sowas haben selbst Dream Theater noch zur Genüge gemacht. "Black Bird" erinnert mich an diverse 80er-Alben wie beispielsweise "Invisible Touch", "Torn" ist eine beschwingte Artpop-Nummer mit luftigem Arrangement, und "In My Dream" weist eine latente AOR-Tendenz auf. Aber das wäre jeweils nur die halbe Wahrheit, denn letztlich nehmen solche Stücke meistens eine interessante Wendung: So endet "In My Dream" mit einer Kakophonie à la King Crimson - "The Devil's Triangle", "Torn" kippt kurzzeitig ins Düstere (abgesehen davon, dass mich die Melodie ohnehin an das famose "Game Of Life" von Circus Maximus erinnert), und "Black Bird" setzt auf einen reichlich abgedrehten Instrumentalpart.
Und auch in den restlichen Stücken geben sich zuckrige Eingängigkeit und schräge Momente immer wieder die Klinke in die Hand. So kontrastiert sich in "I Trust In You" die kühle New-Romantic-Strophe mit einer Marillion-verdächtigen Bridge und einem ziemlich vertrackt unterlegten Mainstream-Refrain, und in "Sacrifice" rahmt Progmetal-Riffing eine Pop-Strophe und eine recht wilde Uffta-Uffta-Bridge ein. Den Vogel schießt man bei soviel Abwechslungsreichtum dann mit "Monster" und "Requiem Aeternam" ab: In ersterem gibt es nicht nur einen hübschen Jethro-Tull-Anfang (was im Übrigen auch am Martin-Barre-Gedächtnis-Riffing festzumachen wäre, damit sich nicht jeder bloß auf die Flöte stürzt), und zur süßlichen Strophe gibt es plötzlich Dance-Beats und zwischendrin einen krummtaktigen Refrain. Und im abschließenden Longtrack ertönen Raps zu melancholisch dahinfließendem Groove-Rock, ehe im Mittelteil die Reise zwischen Schwärmerei und variantenreichem Progmetal-Spektakel angetreten wird.
Zwischen diesen beiden Extremen stehen dann nochmals ein paar etwas konsistentere, aber ebenfalls hörenswerte Nummern: "1001 Nights" ist nicht nur orientalisch, sondern auch metallischer und demonstriert mit der stilvollen Mellotron(?)-Begleitung der Strophe gelungene Detailarbeit. "Good Times Are Now" ist schön nach vorne gehender Sommerprog mit latenten Yes-Tendenzen, bei dem selbst Keyboardfanfaren in jeder Hinsicht interessant klingen. Und "Euphoria" weiß man ebenfalls geschmackvoll zu inszenieren, wobei ich umso dankbarer bin, nicht auf einen der zahlreichen ESC-Reinfälle ("Fly On The Wings Of Love", uargs...) zurückgegriffen zu haben.
Was gibt's noch zu sagen? Das ziemlich wuchtige Schlagzeug hat mich anfangs etwas irritiert, der Gesang ist durchwegs gelungen (wobei mich "Requiem Aeternam" etwas an jenen von Atari Teenage Riot erinnert hat), und ansonsten habe ich einen der höheren Trümpfe von Eyevory noch gar nicht erwähnt: Die Instrumentalarbeit! Und zwar scheint es hier, dass sich der Vierer nur im Team in die weite musikalische Welt hinauswagt. Soli (im Wortsinne) gibt es also kaum, aber dafür gekonntes und geradezu sinfonisches Zusammenspiel, das immer wieder für Erheiterung sorgt.
Wie es überhaupt auch das ganze Album tut. "Euphobia" hat mir von Anfang bis Ende durchwegs gefallen, was ich insgesamt auch, um es mal auf den Punkt zu bringen, dem Gesamtbild anlaste: Eyevory reiten hier auf der Rasierklinge zwischen aalglattem Mainstream und geradezu grotesken Einfällen und liefern damit ein Album ab, das zugegebenermaßen manchmal etwas nervt, mich ansonsten aber mit seiner Freigeistigkeit die meiste Zeit zutiefst beeindruckt.
Quelle:
http://babyblaue-seiten.de/album_13442.html#21418
Punkte: 9 / 10