tja was soll ich sagen...
Der Vegetarier-Parole des zweiten Smiths-Albums (1985) sind bis heute viele Fans der britischen Kultband gefolgt. Zum Zeitpunkt seines Erscheinens allerdings fand MEAT IS MURDER nicht nur Freunde. Nicht wenige rieben sich am von Sänger Morrissey im Titelstück humorlosen Verdikt, jedweder Fleischverzehr sei "sinnloser Tod, und das ist Mord". Scharfzüngige Kritiker hielten entgegen, auch Hitler sei Vegetarier gewesen. Nichtsdestotrotz schaffte es das Werk als einziges der vier Smiths-Alben auf Platz 1 der britischen Albumcharts.
Bis heute werden Morrissey und Gitarrist Johnny Marr für ihre zeitlosen Popsongs verehrt. Wer von MIM allerdings schwärmerische Melodien, introspektiv-poetische Texte und reiche Instrumentierungen erwartet, wird leicht enttäuscht. Nicht, dass die genannten Trademarks der Band hier fehlen würden, klingen doch melancholische Halbballaden wie die wunderbar arrangierten That Joke Isn't Funny Anymore" und Well I Wonder" der Band wie auf den Leib geschneidert. Der epische Sechsminüter How Soon Is Now" ist der wohl bekannteste Song der Band. Der damalige Boss des US-Plattenlabels Sire verglich ihn seinerzeit gar mit Led Zeppelins Stairway To Heaven". Heute kennt jedes Kind den Song - der TV- Serie Charmed" sei Dank (?).
Die Essenz von MIM ist freilich eine andere. Sie findet sich in sparsamen, lockeren Akustikarrangements, in Lyrics, die Themen umkreisen, ohne sich allzu sehr auf Melodien einzulassen, und in Morrisseys Stimme, die in ihrem bisweilen recht windschiefen Jaulen noch weit vom samtigen Wohlklang heutiger Produktionen entfernt ist. Inhaltlich steht der im abschließenden dramatischen Titelstück gebrandmarkte Fleischverzehr fast symbolisch für eine breite Palette an sozialer Gewalt und deren Keimzellen, die zur Zielscheibe von Morrisseys so scharfzüngiger wie eloquenter Kritik gerieten: die Schule als Institution der gewaltsamen Anwendung autoritärer Erziehungsmethoden; die Familie als Ort der Unterdrückung von Kommunikation durch Gewalt; der Rummelplatz als Keimzelle von Gewalt unter Jugendlichen, sozialer Ausgrenzung und Außenseitertum.
Musikalisch wirkt MIM zunächst unspektakulärer und schmuckloser als vieles andere aus dem Band-Oevre. Erst nach mehreren Hördurchgängen erschließen sich seine Besonderheiten: der Fifties-Rockabilly und sein zackiger Beat, haufenweise Folk-Akustikgitarren, der Funk in "Barbarism Begins At Home", die kreischende Gitarrenfigur von "What She Said". Auf eine bestimmte Weise sind diese Songs jedenfalls typisch Smiths: Sie sind Rock'n Roll, ohne im herkömmlichen Sinn zu rocken. Der resignierten Weltsicht entsprechen die häufig um sich selbst kreisenden Songs, die wie in "Rusholme Ruffians" ein einziges Motiv achselzuckend in Endlosschleife wiederholen. Ohne Variation - ähnlich wie 20 Jahre vor ihnen Velvet Underground. An MIM stört im Rückblick nur die bisweilen bleierne Produktion: Gitarren im Hintergrund, überproduzierte Drums, steriler Sound. Das ersehnte makellose Meisterwerk sollte erst mit dem Nachfolgewerk THE QUEEN IS DEAD glücken.
Punkte: 9.5 / 10