BAP X Für 'e U (1990) - ein Review von Spike65

BAP: X Für 'e U - Cover
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1 Review
17
17 Ratings
7.62
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock: Pop-Rock


Spike65
11.09.2017 16:59

Teil 3 aus der Reihe "BAP im internationalen Sound". Nach dieser LP hatte ich irgendwie die Lust auf BAP verloren, denn der Sound wurde immer kommerzieller - wobei BAP live eigentlich noch immer überzeugte mit Konzerten von über 3 Stunden Länge, in denen so ziemlich alles gespielt wurde, was man sich als Fan gewünscht hatte. Aber im Studio war irgendwie die Luft raus: Das interne Tauziehen hatte die Band zu diesem Zeitpunkt in zwei Lager gespalten, die nicht mehr zusammenarbeiten konnten oder wollten. Wie schon auf "Da Capo" dominieren Hochglanz-Gitarren im Bon Jovi Sound auf fetten Synthi-Layern, wobei allerdings im Vergleich zur "Ahl Männer" von 1986 das Ganze mittlerweile homogener klingt. Erstmalig gibt es mit Karen Faust und Renate Otta bei BAP zusätzliche Chorsängerinnen, die im Studio und auf Tour mit dabei sind. Als weiterer Gastmusiker ist Singer/Songwriter Julian Dawson an Gitarre und Harp mit von der Partie. Produziert wurde die LP von BAP und Phil Delire in Brüssel.

Rockig geht es los mit Niedeckens Kommentar zur Deutsch-Besoffenheit der Wiedervereinigung:"Denn mer sinn widder wer" mahnt, nicht vor Wiedervereinigungsfreude nun wieder in großkotzige, deutschtümelnde Großmacht-Phantasien zu verfallen. Musikalisch wird das in radiotauglichem Hockglanzrock präsentiert, Niedecken darf auf das fertige Playback texten und es schlußendlich einsingen.

"Vis a vis" vertont den "Love-at-first-Sight"-Moment diesmal nicht als Ballade, sondern als straighten Riff-Rocker im Stil von Robert Palmer's "Addicted to Love" - vielleicht das erstemal, daß ein BAP-Schlagzeuger die Cowbell zum Einsatz bringt. Die Single für's Radio versucht erst gar nicht, irgendeine Tiefe zu erreichen, sondern kleckst mit flinkem Pinsel in zwei kurzen Strophen eine Skizze, eine Impression - das ausmalen wird der Phantasie des Hörers überlassen. Auch das ist ein Weg, um eine Allgemeingültigkeit der Aussage zu erreichen.

Mit "Bleifooss" kommt nach Jahren endlich wieder ein bluesige Farbe in die Musik von BAP. Ein Hauch von Clapton und Knopfler umgibt Major's Gitarrenarbeit bei diesem Song, der nach den zwei Rockern fast erfrischend unaufgeregt daherkommt und dem Hörer eine Auszeit, fast einen Moment der Ruhe gibt. Auch endlich mal wieder eine warme Hammond statt irgendwelcher steriler Layer, die gefühlvoll und dezent Strat und Dobro unterstützt. Textlich im Grunde eine entschleunigte Fassung des recht genervt-aufgeregten "Frau, ich freu mich" von 1981 - auch hier blendet einer auf, die Geschwindigkeit hat sich von "nüngunachzich" mittlerweile auf "schlappe hundert" gesteigert und statt der "Cassett vum Springsteen" ist es jetzt "die vum Richards" - ein schöner Closer für die Tour-Konzerte, um die Fans in den mittlerweile recht großen Hallen zum Konzert-Ende ein wenig vom Adrenalinpegel herunterzubringen, bevor man sie auf den Heimweg schickt.

"Alles em Lot" ist der versöhnliche Abschluß für die gescheiterte und mittlerweile geschiedene Ehe mit Carmen. Fast schon ein kindlich-naives "Heile heile Gänsje", das sich in den Allgemeinplätzen "Alles wird gut" und "Die Zeit heilt alle Wunden" über den Kummer hinwegtröstet und mit Romeo-und-Julia-Romantik spielt. Musikalisch verpackt BAP diese Message in jede Menge Synthi-Streicher, denen eine sehr dezente Akustik-Gitarre ab und an mit einer eingestreuten spanisch angehauchten Melodie mehr Konturen gibt - das Ganze schön tanzbar in einem 120er Beat: Eine weitere Radio-Single, die genau in das zig Jahre später als "Musik die nit stührt" besungene Genre der Fahrstuhl-Musik paßt. BAP war mit Eifer dabei, sich zu verkaufen. Das ursprünglich zu diesem Song gedrehte Video verschwand allerdings, weil zu kitschig und peinlich, bis 2006 im Giftschrank. Dann wurde es als spaßiger Bonus auf die DVD der 3 x 10 Jahre Jubiläums-CD gepackt.

"Happy End" kommt vordergründig als Abgesang auf das gute alte Kino an der Ecke, kann sich aber nicht so recht entscheiden zwischen Gesellschaftskritik und autobiografischen Erinnerungen. Der Hörer weiß nicht so recht, was ihm dieser Song nun genau sagen wollte. Vielleicht ein Problem der Beschränkung auf nur zwei Strophen, vielleicht aber auch ein Zeichen dafür, daß Niedecken in dieser Zeit die Inspiration fehlt. Die Musik ist ein weiteres Mal der radiotaugliche Mainstream-Rock: Die Zeit, als man BAP sofort an der Gitarrenarbeit erkannte, ist mittlerweile schon länger her. Major verliert sich in kopierenden Stil-Übungen.

"Freio" ist nach "Bleifooss" ein weiterer musikalischer Lichtblick: Mit Bluesharp und Dobro kommt der Sound deutlich erdiger daher als der Rest des Albums. Niedecken's Freund Julian Dawson bringt hier etwas Roots-Rock ins Sound-Gemisch. Inhaltlich geht es um das kindlich naive "Freio", mit dem man beim Fangen spielen eine Auszeit bekommt und für's erste in Sicherheit ist. Eine Sicherheit, die Kinder in vielen Teilen der Welt nie erleben werden, weil in ihren armen und/oder von Kriegen gebeutelten Ländern die Kinder arbeiten müssen, um ihr Leben fürchten oder gar selbst als Kindersoldat kämpfen - eine Thematik, die Niedecken 14 Jahre später wieder begegnen und eine lebenslanges Engagement werden wird.

"Sie määt süchtig" ist der erste von drei Songs auf der LP, bei der Niedecken kompositorisch von Effendi Büchel und Baßmann Steve Borg unter die Arme gegriffen wurde. Major Heuser hält sich hier komplett heraus - es findet sich keine Gitarre im Arrangement. Das Hauptthema spielt Steve Borg auf einem Fretless Bass und er übernimmt auch das Solo mit dem Baß auf einem dichten Teppich aus Synthi-Streichern, glockigen Pads und Layern, dem ab und an ein klavierähnlicher Sound Konturen gibt. Und so sehr sich Niedecken bemüht, hier ein Liebeslied zu singen, der Song setzt sich nicht fest im Ohr, weil die Musik nicht wirklich berührt. Hier manifestiert sich am deutlichsten die Zerissenheit der Band: Bei den Songs, an denen er kompositorisch - und damit auch von den Tantiemen her - nicht beteiligt ist, arbeitet Heuser auch bei der musikalischen Umsetzung im Studio nicht mit. Ein Hauch von Beatles-Endzeit umweht diese Phase von BAP.

Mit "Wat usser Rock'n'Roll" blickt Niedecken selbstkritisch in den Spiegel: War ihm jemals etwas auch nur annähernd so wichtig wie dieses Musiker-Leben, bei dem man monatelang von zuhause weg ist und es - zumindest in den damaligen Zeiten ohne Handy und Internet - kaum möglich ist, einer Partnerin halbwegs gerecht zu werden, geschweige denn ein Familienleben zu führen?
Sept- und Nonenakkorde bauen diese Spannung in der Strophe auf und lösen sich zum Refrain dann befreiend zur reinen Dur. Effendi liefert das musikalische Grund-Thema mit einer Synthi-Streicher-Figur vor jeder Strophe, Major Heuser setzt die verzerrte E-Gitarre in der Strophe eher spärlich ein. Zum Refrain wechselt Effendi auf die angezerrte Hammond und Major unterstützt mit Power-Chords die positivere Stimmung des Refrains, der die Situation im Konzert schildert, wenn der Sänger weitab des Alltags in seinem Element ist. Der Song ist der einzige des Albums, der sich bis heute immer wieder in den BAP-Setlisten findet.

In "Domohls", der letzten der fünf Rocknummern der LP, verarbeitet Niedecken nach dem 1986 abgelehnten "Nie met Aljebra" nun doch noch auch mit BAP seine schlimmen Erinnerungen an die Zeit im Internat in Rheinbach. Hier beschränkt er sich allerdings darauf, die in den 60ern noch allgemein geduldeten und verharmlosten handfesten autoritären Erziehungsmethoden anzuprangern - daß auch Mißbrauch in diesem Internat stattfand, wird erst viel später öffentlich. Dank dem beherzten Eingreifen von Niedeckens Vater blieb ihm selbst das schlimmste erspart. Bei der Musik ist die Aufteilung hier umgekehrt: Major dominiert mit der rockigen Gitarre die Strophen, beim Refrain setzt Effendi die Akzente mit fetten Synthi-Bläsern. Beim Zwischenstück ein neues Element bei BAP-Songs: Der Chor singt das Zwischenstück und Niedecken singt darüber seine eigene Linie.

Sehr synthetisch kommt "Griefbar noh" daher, bei dem Effendi die Möglichkeiten seines Synthesizers auszuloten scheint. Glasig, glockig, Pads, Streicher, Flöten - ein wenig Klavier zwischendurch - auch diverse Percussion-Sounds sind offensichtlich synthetisch erzeugt. Ob der Major die immer mal wieder zugemischte Gitarre spielte - oder war die am Ende vom Sampler? Zur Freude des Hörers gibt es dann aber ein amtliches Sax-Solo - auch das gab es auf einer BAP-Scheibe schon lange nicht mehr. Im Text beschreibt Niedecken die ersten Momente der Annäherung an sein gerade im Werden befindliches neues Lebensglück, kurze Szenen der Begegnung mit Tina, die 2 Jahre später seine Frau werden wird. Hier ist das alles noch verbunden mit der Frage, ob er diesen Schritt tun darf im Wissen, daß zwei Kinder bei seiner ersten Frau auf ihn warten.

Bei "Land en Sicht" wurde anscheinend gleich ein Orchester bemüht, die Sounds sind natürlicher und wärmer als auf dem Rest der Scheibe. Ein Akkordeon gibt dem Ganzen ein Flair von Seefahrer-Romantik. So fällt hier das Fehlen von Major's Gitarre auch weniger auf. Textlich zieht Niedecken hier - stark in Bildern verklausuliert - nochmals Bilanz über seine Beziehung zu Carmen, die offensichtlich nicht hochseefest war.

Mit "X für 'e U" erreicht die Band-interne Krise nach "Ahl Männer" ihren zweiten Höhepunkt, und danach ist ab Juli 1991 erst einmal über ein Jahr Pause bei BAP, in der lediglich ein paar wenige Auftritte bei "Arsch huh" und anderen Rock-gegen-Rechts-Konzerten gemacht werden. Die Pause tut der Band gut, denn bei "Pik Sibbe" 1993 gibt es wieder eine fruchtbare Zusammenarbeit - auch wenn die unterschiedlichen Auffassungen bis 1999 bestehen bleiben.

Die Remaster Bonus CD enthält diesmal 6 echte Raritäten: Outtakes, Single-B-Seiten und Songs, die Niedecken für Zeltinger's "Solo Plaat" geschrieben/übersetzt hatte. Dazu noch die zwei Live-Cover-Songs von der "Affrocke" Live CD.

Punkte: 7.5 / 10


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