BAP Sonx (2004) - ein Review von Spike65

BAP: Sonx - Cover
1
1 Review
7
7 Ratings
8.07
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


Spike65
14.08.2018 16:48

Ein weiteres Schlüsselalbum der BAP-Historie ist "SONX". Nach dem Tod von Sheryl Hackett und dem Wechsel von Jens Streifling zur Karnevalsband Höhner ist das Band-Lineup auf nur noch 5 Musiker reduziert. Dementsprechend gibt es auch eine musikalische Neu-Orientierung weg von den komplexen Arrangements zurück zu den Rockwurzeln der Band: Gitarre, Tasten, Baß und Schlagzeug - keine Saxophone, keine Percussion, auch keine Gastmusiker bei diesem Album. Für mich persönlich - so traurig die Umstände auch waren - musikalisch eine positive Entwicklung zurück zur straighten Rockmusik. Auch Wolfgang Niedecken äußerte sich später einmal, daß mit der Reduzierung des Band-Line-ups die Notwendigkeit für überladene "Vollbeschäftigungs-Arrangements" entfiel.

"Wie, wo un wann?" ist so etwas wie der Titelsong des Albums, denn er nimmt die Symbolik der auf dem Cover abgebildeten Brosche auf, die mit Kreuz, Herz und Anker die drei Leitthemen Glaube, Liebe und Hoffnung versinnbildlicht. Eine ruhig beginnende Gitarren-Nummer, die sich stetig aufbaut und dabei in ihrer Schlichtheit etwas hypnotisierendes entwickelt.

Mit "Jedenfalls vermess" kommt der ideale Konzert-Opener: Direkte Ansprache der Fans in Verbindung mit einem knackigen Stones-Gitarrenriff, solides Songwriting aus der Feder von Helmut Krumminga, das bei den Live-Auftritten seine Wirkung nicht verfehlt.

Baßmann Werner Kopal komponiert die Musik zum wohl härtesten Brett der BAP-Historie: "Rövver noh Tanger" schwelgt in grungiger Gitarrenarbeit und verzerrter Hammond auf Basis einer stampfenden Baßlinie und wuchtigen Drums. Niedeckens Text schildert seine Gedanken auf der Autofahrt durch Spanien in sein Sehnsuchtsland Marokko. Das ganze kulminiert in einem Klangrausch von Schlußsolo. Einer der Fan-Favourites auf diesem Album, der leider nach 2009 nicht mehr oft zum Zug kam in den Live-Sets. Zum Live-Prozedere bei diesem Song gehörte auch, daß bei der Zeile "vun Real Madrid ne Schal" auch ein solcher aus den vorderen Reihen auf die Bühne geworfen und von Wolfgang umgehängt wurde.

"Für Maria" ist Teil 2 der von Niedecken scherzhaft als "Marien-Trilogie" bezeichneten drei Songs mit Maria im Titel, wobei Maria - wie auch schon Lena und andere Frauennamen - nur ein weiterer "Deckname" für Niedeckens Frau Tina ist, und der Text erzählt die Geschichte vom Kennenlernen derselben. Krumminga's E-Gitarre schrummt unterstützt von Niedeckens Akustischer im schlichten Vier-Vierteltakt die Akkorde auf einem etwas stampfenden Drum-Beat von Jürgen Zöller, was dem ganzen einen Touch von Neil Young gibt.

Daß er auch anders kann, zeigt Krumminga bei "Ich wünsch mir, du wöhrs he", wo er mit flinken Fingern auf der Akustischen zum Rhumba-Rhythmus seine Fills und Licks zupft. Vermutlich der einzige BAP-Song, der tatsächlich auch in einer Tanzschule bei Tanzkursen zum Einsatz kam. Niedeckens Text erzählt ein weiteres Mal Urlaubseindrücke aus Marokko.

"Wann immer du nit wiggerweiß" erinnert vom Arrangement her ein wenig an frühe elektrische Dylan-Nummern von 1965/66: Ein kraftvoller Mitsing-Refrain, die Strophen etwas zurückgenommen, solides Handwerk. Es ist der Song an die nun flügge gewordenen Söhne, die sich vom Elternhaus abnabeln, mit der Versicherung, daß der "alte Herr" nicht nur Vater, sondern auch ein stets hilfsbereiter Freund ist, den man jederzeit mal anrufen darf.

"Et ess vorbei" ist der Song vom "sich vom Acker machen, bevor es ernst wird": Romeo verpißt sich, bevor er in der Falle steckt, denn der Rumtreiber ist nicht geschaffen für Heim und Herd und Familienleben. Tja, "Romeo" Niedecken ist da allerdings schon 10 Jahre mit seiner "Julia" verheiratet und hat zwei Kinder zuhause - insofern ist dieser Song vielleicht eher eine Art Entschuldigung oder ein "Du hast es ja so haben wollen ..." an seine Frau, die zuhause bei den kleinen Töchtern bleibt, während der Rockstar das halbe Jahr auf Tour ist. Jens Streifling sorgte bei diesem Song für die rockige Musik.

"Wie schön dat wöhr" findet sich - zu Recht - nur auf der LP-Version, denn Niedecken war selbst nicht wirklich überzeugt von der Qualität des Songs. Der "Gib mir noch ne Chance"-Text war mehr eine Pflichtübung, um eine radiotaugliche Ballade zu haben, und daher wurde der Song auch auf der CD-Version weggelassen. Auf der DVD und der 2CD-Remaster findet sich dann unter den Outtakes eine "Isis & Jojo"-Version dieses Songs, die Papa Niedecken für seine Töchter, die im Grundschulalter waren, mit starker Anlehnung an "Imagine" geschrieben hatte - und diese Textversion wurde bei späteren Touren auf den Live-Auftritten gespielt.

"Unger Krahnebäume" ist ein weiteres Highlight der Scheibe: Schnörkelloser Gitarrenrock, knackige Licks auf der cleanen Strat, die Nummer geht gnadenlos nach vorne und hat sich schnell unter den BAP-Klassikern eingereiht, die auf jeder Tour im Set sind. Vom Text her etwas, das unter Rocksongs eher rar ist, denn der von Heinrich Böll und dem Fotografen Chargesheimer inspirierte Song schildert den Niedergang der Kölner Altstadt, deren verwinkelte Gassen breiten Stadtautobahnen weichen mußten. Krumminga's Harmoniegesang rundet Niedeckens sonore Stimme perfekt ab in den schnellen Refrains.

Mit "Jedanke im Treibsand" geht es vom Vollgas gleich wieder hart auf die Bremse: Eine leise Gitarrenballade mit einem Liebeskummer-getränkten Text voller Selbsterkenntnis. Er hat's verschissen, die letzte Chance ist vertan. Diese Stimmung ist minimalistisch und doch perfekt in der Musik umgesetzt. Auch dieser Song ein Highlight.

Zurück zu den krachenden Gitarren mit "Ein für Allemohle". Einer der vielen BAP-Songs, in denen Niedecken ein Schicksal beschreibt, das er aus Erzählungen und Erinnerungen von Personen aus seinem Umfeld zusammenwebt. Das Beispiel einer als Kind bei einem Bombenangriff verschütteten, traumatisierten Frau soll dem Hörer die Schrecken eines Krieges vermitteln. Die passende Musik für diesen Horror-Trip liefert einmal mehr Gitarrenheld Helmut Krumminga.

Deutlich ruhiger wird es wieder mit "Unger Linde, enn Berlin". Auf die Musik von Michael Nass erzählt Niedecken die Geschichte der geplatzten DDR-Tour 1984, die bei Veröffentlichung des Albums 20 Jahre her ist, und sinniert darüber, wie sehr sich seit damals Deutschland verändert hat. Die DDR erscheint aus heutiger Sicht tatsächlich wie eine fremde, andere Welt. Ein entspannter melodischer Song, der später auch in einer Bigband-Version live gespielt wurde.

"Absolut ziellos", ein weiterer Gitarrenrocker mit einem Text, der sich in der Rückschau auf eine wilde Vergangenheit in vagen Andeutungen verliert und so im Allgemeinplatz der Mahnung stecken bleibt, daß Träume oft von einer ganz anderen Realität überholt werden. Da hätte man textlich mehr draus machen können - schade um die gute rockige Musik, die Niedecken selbst geschrieben hat.

Mit "Einfach ussortiert" kommt ein weiterer Rocksong mit einem gesellschaftlichen Mini-Drama als Text. Niedecken schildert den morgendlichen Arbeitsweg und die damit verbundene Gedankenwelt eines zum nächsten Ersten Freigestellten. Das Ende eines Lebens für die Firma, das zu Wirtschaftswunder-Zeiten und bis in die 80er das Ideal der deutschen Wirtschaft war, aber nun von Globalisierung, Rationalisierung und Gewinnmaximierung zur Ausnahme für den Arbeitnehmer wird. " Wieso? Wofür? Weshalv? Wa' 'ss falsch met mir?" fragt sich der Entlassene, und wartet vergeblich auf eine Antwort. Die eingängige Melodie für den Mitsing-Refrain stammt aus Jens Streifling's Feder.

In "Die Welt ess jrausam" zeichnet Niedecken mit bitterem Sarkasmus und durchaus auch Häme das Portrait des gescheiterten Musikers, der sein Dasein in der Kulturredaktion eines Kleinstadt-Käseblattes fristet und noch nicht zur Selbsterkenntnis gekommen ist, daß er einfach nicht wirklich talentiert war. Tastenmann Michael Nass komponierte den passenden Soundtrack mit viel Melancholie und einem Touch von Blues.

"Sulang du spills" ist Niedecken's Blick in den Spiegel: Der Mann mit der Klampfe, der den anderen einen schönen Abend beschert mit seinen Liedern von Glück und Leid, von Angst, Not und Freude, der Schicksale erzählt zur Unterhaltung des Publikums. "Die Welt steht für uns still, sulang du spills ...". Ganz leise endet die LP-Version von "SONX" mit diesem Song. Die CD-Fassung endet schon mit "Die Welt ess jrausam".

Fazit: Eine gelungene Mischung aus Rockern, Balladen und ein, zwei Exoten dazwischen läßt bei dieser Scheibe keine Langeweile aufkommen. Eine der besten, wenn nicht die beste BAP-Scheibe aus der Krumminga-Ära. Für mich damals der richtige Schritt zurück zum straighten Rock in der klassischen 5er-Besetzung.

Die Remaster-Bonus-CD ist mit 15 Songs wirklich vollgepackt. Es finden sich darauf die zwei LP-only Stücke, diverse alternative Versionen, Outtakes und Live-Versionen, ein Stück von einer Reinhard-Mey-Hommage-CD und die 3 neuen Songs vom 2006er Jubiläums-Album "Dreimal zehn Jahre".

Punkte: 9 / 10


Weitere Angebote:

Warum sind die Cover-Bilder verpixelt?

Bedankt euch bei deutschen Abmahn-Anwälten

Leider passiert es immer wieder, dass Abmahnungen für angebliche Copyright-Verletzungen ins Haus flattern. Ganz häufig ist es der Fall, dass auf dem Frontcover ein Foto oder eine Grafik eines Fotografen oder Künstlers genutzt wird, was dann nur mit dem Namen der Band und dem Titel des Albums versehen wurde. Das ursprüngliche Foto/Kunstwerk ist somit immer noch sehr prominent zu sehen. Die Abmahner nutzen zumeist automatisierte Prozesse, die das Netz nach unlizensierten Nutzungen der Werke ihrer Mandanten durchsuchen und dabei Abweichungen bis zu einem gewissen Prozentgrad ignorieren. Somit gibt es also häufig angebliche Treffer. Obwohl das Foto/Kunstwerk von den Plattenfirmen oder Bands ganz legal für die Veröffentlichung lizensiert wurde, ist dies den Abmahnern egal, ganz oft wissen die ja nicht einmal, was für eine einzelne Veröffentlichung abgemacht wurde. Die sehen nur die angebliche Copyright-Verletzung und fordern die dicke Kohle.

Da Musik-Sammler.de nachwievor von privater Hand administriert, betrieben und bezahlt wird, ist jede Abmahnung ein existenzbedrohendes Risiko. Nach der letzten Abmahnung, die einen 5-stelligen(!) Betrag forderte, sehe ich mich nun gezwungen drastische Maßnahmen zu ergreifen oder die Seite komplett aufzugeben. Daher werden jetzt alle hochgeladenen Bilder der Veröffentlichungen für NICHT-EINGELOGGTE Nutzer verpixelt. Wer einen Musik-Sammler.de Nutzeraccount hat, braucht sich also einfach nur einmal anmelden und sieht wieder alles wie gewohnt.