BAP Pik Sibbe (1993) - ein Review von Spike65

BAP: Pik Sibbe - Cover
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1 Review
10
10 Ratings
7.55
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


Spike65
18.09.2017 17:09

Fast zwei Jahre vergingen zwischen dem Vorgänger "X für 'e U" und "Pik Sibbe" - und offensichtlich hat diese Pause der Band gut getan, denn man hat wieder Lust auf die Zusammenarbeit im Studio. Als Methode zur Erabeitung der Songs hat es sich etabliert, daß die Bandmitglieder - hautpsächlich Klaus Heuser - Niedecken vorab Demobänder mit Musiken schicken, die Niedecken dann z.T. auch auf Urlaubsreisen betextet. Die Plattenaufnahmen finden dann wieder gemeinsam statt und das Ergebnis ist entsprechend homogen und gelungen. Auf "Pik Sibbe" ist eine lange nicht mehr gehabte Vielfalt an Stilen vertreten vom harten straighten Rock über Akustik-Balladen, Liedermacher-Songs und Rock'n'Roll bis zum Blues. Wie schon bei "X für 'e U" gibt Toningenieur Phil Delire dem Sound den letzten Schliff. "Pik Sibbe" wird das vorerst letzte BAP-Album, das auf Vinyl veröffentlicht wird. Erstmalig gab es auch eine computer-fähige Dual-Disc mit Videos, Interview, einem Quiz und einem Kartenspiel: BAP geht mit der Zeit.

Wie "X für 'e U" und "Ahl Männer" beginnt auch "Pik Sibbe" mit einem Polit-Rocker: Nach den Brandanschlägen auf Asylantenheime im Osten Deutschlands wettert Niedecken über die Scheinheiligkeit in den Trauergesten der deutschen Polit-Prominenz. "Ihr sitt widderlich!" müssen sich Kohl und Konsorten vorwerfen lassen, die sich aus Niedeckens Sicht nicht klar genug vom rechten Gedankengut distanzieren, das hinter diesen Anschlägen steckt, sondern auf die Stimmen dieser Wähler schielen. Musikalisch verpackt Heuser das Ganze in eine Rocknummer, die sich auch perfekt ins da schon 9 Jahre alte "Perfect Strangers"-Album von Deep Purple eingefügt hätte.

"Jipsmann" ist wie "Globus" wieder ein von einem Urlaubs-Souvenir inspirierter Song: Eine Jesus-Büste läßt Niedeckens Gedanken schweifen und aufzählen, was alles schon in dessen Namen auf der Welt vor sich gegangen ist. Von der Musik her ein wenig gegen den Strich besetzt, denn der kritische, nachdenkliche Text kommt auf eine groovende, tanzbare Uptempo-Gitarrenrock-Musik.

Eine Tropennacht-Stimmung wird in "Wie die Sichel vum Mohnd" beschrieben - einem der besten Songs der LP, der im Grunde genau die Situation beschreibt, in der er geschrieben wurde. Eine verregnete Urlaubsnacht auf den Philippinen mit der Muße, ein Buch zu lesen - oder eben die Cassette mit der Musik vom Major einlegen und sie betexten, bis der Generator stottert und das Licht ausgeht. Sehr stimmungsvoll Major's Strophenbegleitung auf der akustischen Gitarre, zum Refrain kommt die E-Gitarre und die Hammond dazu und gibt der Sache das rockige Etwas und eine gewisse Erhabenheit. Auch sehr hörenswert ist die Akustik-Version, die auf der zum Album als Maxi-Single erschienenen 4-Balladen-CD enthalten ist. Live einer der heimlichen Fan-Favourites.

"Paar Daach fröher" entsteht in Marokko und ist ein erster "amtlicher" Song für Niedeckens frisch angetraute zweite Frau Tina. Eine zarte Akustik-Ballade, die über Zugvögel und Sehnsuchtsland den Bogen schlägt zu dem, was die neue Herzdame Niedecken bedeutet:"Do, wo du bess, ess dä Nabel der Welt, weiß jetz wat mir all die Johre jefählt." Niedecken ist angekommen, fühlt sich zuhause, der Streuner hat jetzt ein Heim zu dem er immer wieder gerne zurückkehrt. Klaus Heuser an der Akustischen und Effendi am Piano setzen das alles sehr gefühlvoll um. Neben "Do kanns zaubere" die Stütze im "Liebeslieder im Sitzen"-Block der Live-Konzerte.

"Nöher zo mir" ist ein düsteres Stück, das sich mit dem alltäglichen Medien-Wahnsinn von Schreckensmeldungen und Zukunftsangst auseinandersetzt. Jürgen Zöllers Trommelrythmus auf den tiefen Tomtoms zusammen mit Schmal, der einen Gong bearbeitet und Major's Power-Chords malt die bedrohliche Stimmung der Strophen, als Lichtblick der Refrain untermalt von warmen Synthi-Sounds von Effendi.

Bei "Om naasse Asphalt" macht Major Heuser konsequent da weiter, wo er mit "Bleifooß" auf der letzten Scheibe begonnen hat: E.C. läßt grüßen. Ein weiteres bluesiges Highlight, in dem Major auf der Strat zeigt, was er an Blues-Feeling drauf hat. Textlich übt sich Niedecken in einer Mileu-Schilderung, Regenstimmung in einem typischen Bahnhofsviertel - Musik und Text fügen sich perfekt zusammen.

"Blonde Mohikaner" sind die nach der Wiedervereinigung über die ganze Republik verstreuten Ex-DDR-Bürger, die sich wie Reliquien aus einer alten Zeit vorkommen, als seien sie in einem Reservat aufgewachsen und müssen nun mit dem rauhen Wind klarkommen, der in der harten Realität des Kapitalismus weht - die letzten ihrer Art in einer sich verändernden Welt: geplatzte Träume von der großen Freiheit, enttäuschte Hoffnungen. Ein Hauch von Great Plains weht musikalisch, wenn Major in die Saiten des Dobro und der Akustischen greift, Effendi unterstützt einfühlsam mit dem Piano.

Mit "Hoffnungslos hin" sind wir wieder beim Zwischenmenschlichen. Keine wirklich tiefschürfenden Erkenntnisse tun sich auf, wenn Niedecken seine Verfassung schildert, nachdem ihm die neue Herzdame gründlichst den Kopf verdreht hat. Das ganze verpackt Major Heuser in ein locker-flockiges Rock-Arrangement in tanzbarem Tempo. Einer der wenigen BAP-Songs, der nie live vor Publikum gespielt wurde.

"Wofür?" ist wieder einmal ein Song aus der Kategorie der Weltverbesserer-Songs, der die grundlegende Frage stellt, wofür eigentlich all die Kriege geführt werden, die nichts als unsägliches Leid in die Welt bringen. Und diese einfache und grundlegende Message packt Niedecken dann auch konsequent in das musikalische Gewand des Lagerfeuer-Klampfen-Songs. Einer von drei Songs auf dem Album, bei denen Effendi Büchel kompositorisch mitgearbeitet hat.

Mit "Naachtijall" wird nach langer Zeit auch wieder mal ein neuer Quoten-Rock'n'Roll ins BAP-Repertoire gebracht:"Häng de Fahn eruss" wurde nach der Tour '88/'89 in Rente geschickt, und nachdem man auf der '91er Tour zu Fremdmaterial wie "Rockin' all over the World" im Zugabeblock greifen mußte, war es an der Zeit, diesen Setlisten-Slot wieder mit einer Eigenkomposition zu besetzen. Dazu vertont Niedecken hier mit zig Beispielen den Kölner Grundsatz "Jede Jeck ess anders", um am Ende die eigentlichen Messages zu bringen:"Dat Zauberwoot heiß Toleranz" und "Et jitt kei jrößer Leid, als wat der Minsch sich selvs ahndeit.".

Kurz vor Ende der LP kommt mit "Met Wolke schwaade" nochmal eine starke Rocknummer. Niedecken sinniert darüber, was der Rhein, die Ufersteine und die Wolken, die er von der Südbrücke aus betrachtet, ihm wohl alles erzählen könnten - und warum die Menschen sehenden Auges nichts tun, um schon absehbares Unheil zu verhindern. Einer der fünf Songs vom Pik Sibbe Album, die sich auch nach der Major-Ära immer mal wieder in BAP-Setlisten finden - unter anderem auch bei den diversen Niedecken-Bigband-Projekten der Jahre 2004-2017/18.

Den Abschluß des Albums bildet eine Piano-Blues-Nummer, die durchaus auch an das Projekt "The Piano has been Drinking" von Köster & Hocker erinnert. Niedecken besingt die "Queen vun dä Ihrestrooß", die sich immer wieder neuen solventen Lovern an den Hals wirft und ihn den letzten Nerv kostet, so daß er sich fragt, was er eigentlich an dieser nur auf Äußerlichkeiten fixierten Barbiepuppe findet. Der Song könnte von Tom Waits sein, aber die bluesig-entspannte Musik stammt tatsächlich aus der Feder von Niedecken's griechischem Freund Nick Nikitakis, der auch schon die Musik zur Kölner Anti-Rechts-Hymne "Arsch huh, Zäng ussenander!" lieferte.

BAP hat sich nach Jahren der internen Querelen wieder zusammengerauft und gefunden. Das '93er Album bietet eine stilistische Vielfalt wie schon lange nicht mehr. Und auch im Sound hat man wieder eine Eigenständigkeit gefunden, und die wenigen musikalischen Anleihen werden nicht mehr nur mit dem Auge auf die Charts gemacht. Niedecken und Heuser ziehen wieder am selben Strang, haben wieder Spaß am gemeinsamen musizieren und gehen 1994 wieder auf große Deutschland-Tour. Im Anschluß an diese Tour nimmt Niedecken eine zweite Auszeit für ein Projekt, das er von sich aus der Band BAP nicht zumuten will: Er stellt sich eine Band zusammen, um ein Solo-Album nur mit seinen eingekölschten Fassungen von Dylan-Songs aufzunehmen. Das Leopardefell-Projekt wird Niedecken das ganze Jahr 1995 mit Beschlag belegen. Danach folgt mit dem "Amerika"-Album 1996 ein weiterer Meilenstein in der Geschichte von BAP.

Die Remaster Bonus CD enthält 11 Songs, darunter nur 3 Live-Versionen. Der Rest sind Demo-Versionen und alternative Versionen von den Album-Tracks, dazu die Urversion des Anti-Rechts-Songs "Arsch huh, Zäng ussenander" und die zwei nur auf der 4-Balladen-CD enthaltenen Songs "Endlich ens Ruh" und "Jelenowski". Da kann man nicht meckern.

Punkte: 8 / 10


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