BAP Für Usszeschnigge! (1981) - ein Review von Spike65

BAP: Für Usszeschnigge! - Cover
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1 Review
31
31 Ratings
8.53
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock


Spike65
04.09.2017 14:36

Das 3. BAP-Album wird zum ersten Meilenstein in der Band-Historie: BAP hat es geschafft, sie sind bei der EMI unter Vertrag! Mit dieser LP kommt der bundesweite Durchbruch für die Sibbe Mann uss Kölle, als die sie promoted werden, obwohl da mittlerweile schon zwei Leverkusener den Band-Sound bestimmen. Mit Alexander "Effendi" Büchel kommt nun ein kompetenter und vielseitiger Tastenmann in die Band, der 18 Jahre bleiben wird und neben Niedecken und Heuser als dritter Komponist die ein oder andere Musik zu Niedecken's Texten beisteuern wird. Mit Wolfgang Niedecken, Klaus "Major" Heuser, Alexander "Effendi" Büchel, Steve Borg, Manfred "Schmal" Boecker und Wolfgang Boecker steht damit die von vielen Fans gern als "Originalbesetzung" bezeichnete Truppe, in der allerdings genaugenommen nur noch 3 Gründungsmitglieder dabei sind. Interessantes Detail am Rande: Der Mann am Mixer Hans "Fonz" Wollrath ist vollwertiges Bandmitglied und ist in der "Firma BAP", die als Vertragspartner mit Plattenfirma und Veranstaltern fungiert, gleichberechtigt mit den sechs Musikern bei allen Entscheidungen stimmberechtigt. Diese Form der Banddemokratie sollte noch weitreichende Folgen in den kommenden Jahren für die Band und ihre Musik haben. Aber zur Musik und den Songs:

Der erste Song ist gleich der Höhepunkt der LP: "Verdamp lang her" war eigentlich schon aus dem Tracklisting der LP gestrichen, weil bei den intensiven Proben in einem alten Bahnhofsgebäude in der Eifel zunächst einfach kein Weg gefunden wurde, dieses sechsstrophige Liedermacher-Ungetüm irgendwie zu einem Rocksong zu verarbeiten. Viel zuviel Text und nichtmal ein Refrain war da. Der zündende Gedankenblitz war eigentlich als Persiflage gedacht: Klaus Heuser alberte herum und improvisierte ein Gitarrenriff im Stil von Police, und das war der Anfangspunkt für den ersten großen Hit von BAP, den Song, den jeder kennt und mit BAP verbindet und ohne den ein BAP-Konzert fast undenkbar ist. Was jedem als Partyhit ein Begriff ist, ist aber tatsächlich ein Zwiegespräch mit dem gerade erst verstorbenen Vater an dessen Grab - die zu späte Einsicht, daß man zuviele Chancen auf ein aussöhnendes Gespräch ungenutzt verstreichen ließ. Musikalisch beginnt der Song nachdenklich mit einem moll-Akkord - zunächst für 2 Strophen nur E-Piano und Wolfgang's nachdenkliche Stimme, 3 schlichte Akkorde, die sich immer wiederholen. Dann kommt der Moment, an dem die Gitarre mit dem altbekannten "Nähmaschinen-Riff" erst leise, dann lauter werdend einsetzt und zum Strophenbeginn dann die komplette Band einsetzt und rockt. So kommen Strophe 3 und 4, bis dann nach über 3 Minuten - also wenn eine normale Single schon in der Auslaufrille ist - endlich der erste Refrain kommt. Ganz klar: Niemand hatte vor, diesen Song als Single zu veröffentlichen! Strophe 5 kommt weiter im rockigen Gewand, ein weiterer Refrain, danach wird es wieder etwas ruhiger für Strophe 6 am Grab des Vaters, um dann beim Refrain nochmal umso mehr Gas zu geben und leider wird in der Studio-Fassung das Schlußsolo viel zu schnell ausgeblendet ...
Ach ja: Ein Radiomoderator verhalf dem LP-Track durch wiederholtes Airplay zu Bekanntheit, so daß die EMI eine Single davon herausbringen mußte ... der Rest ist Geschichte ...

Das zweite Stück "Südstadt verzäll nix" beschäftigt sich mit dem Thema Altstadtsanierung und Heimat. Niedecken blickt auf das Stadtviertel seiner Kindheit und stellt fest, daß die "Schönheits-OPs" aus dem Gesicht des Viertels eine Fratze gemacht haben. Musikalisch wurde der Song ein Puzzle aus Rolling-Stones-Riff Strophen mit rockigem Refrain, die sich abwechseln mit einer Art NDW-Style Zwischenstück mit piepsigem Orgel-Riff, das ein wenig wie bei "Sommersprossen" von UKW abgekupfert wirkt. Ein wütender, ärgerlicher Song mit einem Schuß Melancholie im Zwischenstück:"Ich weiß noch wie do als ich en Kind wohr ussoochs, do hatts selvs Format, als do enn Trümmere loochs ..."

An Position drei kommt das nächste Hammer-Stück der Scheibe. Die Ballade "Jraaduss", die auch heute noch immer wieder von vorn bis hinten vom Publikums-Chor mitgesungen wird. Hier geht Wolfgang etwas versöhnlicher mit seiner Verflossenen um, als er es auf dem Vorgänger-Album im Song "Anna" tat. "Et wohr schön, et wohr joot, ahm Engk e bissje ze koot ..." ist sein Resümee. Eine tolle Klavierballade mit Sax-Solo und Ohrwurm-Refrain.

Und bevor es zu rührselig wird auf der LP, kommt nun wieder der Rock'n'Roll zum Zug: Mit Chuck-Berry-Gitarrenintro, aber beileibe nicht stur nach dem klassischen Rock'n'Roll Schema, sondern mit interessanten Tonartwechseln zwischen den Strophen wird hier eine Liebeserklärung der etwas anderen Art gemacht:"Ich jonn su unwahrscheinlich jähn met Dir enn d'r Waschsalong!". Ein humorvolles Loblied auf die Frau, die weiß, wie man diese "schweren Maschinen" bedient:"Dat dat nit weltweit övver Satellit jesendet weed ess wirklich schad, echt schad!". Eine tolle, spaßige Textidee, dazu die klass(isch)e musikalische Umsetzung von Major Heuser: Hier ist der Quoten-Rock'n'Roll alles andere als Null-acht-Fuffzehn und bringt heutzutage noch Mittfünfziger dazu, wie bekloppt mit den Armen zu wedeln und dazu laut "Wisch-wasch" zu grölen.

Den Schluß von Seite A bildet ein weiterer Kultsong aus dem BAP-Repertoire. Die haarsträubenden Erzählungen von "Jupp", dem Obdachlosen, der im Chlodwig-Eck ein Brötchen oder ein Kölsch schnorren will und mit dem Satz "Der Hund ist der beste Freund des Mannes - mir hat einer einmal in Alaska das Leben gerettet!" Niedecken zu dieser Collage von Münchhausen-Abenteuer-Geschichten inspirierte. Niedecken malt das Bild der gescheiterten Existenz, die ihr Kriegstrauma hinter protzigen Abenteuergeschichten versteckt und mit Alkohol ertränkt:"Nur vun Stalinjrad verzällt he nie - Wo litt denn Stalinjrad? In welchem Land ess dat? Stalinjrad pack he nie, irjendwie". Musikalisch wird das Ganze feinfühlig mit akustischer Gitarre und Cello untermalt. Das mehrmünitige Intro auf der Akustikgitarre ist Kult, genau wie das Pink-Floyd-Schlußsolo auf der Les Paul, das nach einem Break auf den Drums nochmal ordentlich rockt und in einen letzten Full-Band Refrain übergeht.

Seite B beginnt mit einem weiteren Rocker: "Frau, ich freu mich" ist der Song vom Tourleben, von der Heimfahrt nach dem Gig nach Hause zur Frau, und von all den nervigen Kleinigkeiten, die den sehnsüchtigen Helden auf diesem Weg ausbremsen:"Wat ahn dä Autobahn romantisch ess, do blick ich noch nit hinger, unn dä Mohnd vun Wanne-Eickel ess nu wirklich nit dä Bringer!".
Die musikalische Führungsarbeit übernimmt diesmal der Effendi mit einer Synthi-Melodie, die sich nach jedem Refrain wiederholt. Toller Rocker, den die Band zum 40-jährigen Jubiläum wieder im Original-Arrangement präsentierte.

Mit dem "Müsli-Män" wagt sich BAP erstmalig an einen Reggae - auch das ein Genre, das in Zukunft immer wieder mal besser mal schlechter auf den BAP-Alben bedient werden wird. Hier ist es noch in Verbindung mit Wolfgang's vielstrophigen witzigen Liedermacher-Texten, die nun musikalisch vielseitiger umgesetzt werden. Thematisch zieht Niedecken die damals noch in Entstehung befindliche Öko-Alternativ-Szene durch den Kakao, die ihm das offensichtlich nicht wirklich krumm nahm.

"Fuhl ahm Strand" zeichnet eine melancholische Stimmung. Kritisch blickt Niedecken zurück und stellt fest, daß die wenigsten Ideale der Jugend sich ins Erwachsenenalter halten können. Menschen verändern sich, wenn der Ernst des Lebens beginnt. Ein Dankeschön an's Vorbild, ein "Weißte noch" an die, die sich nicht mehr erinnern wollen, weil alles ganz anders kam, als man es sich mit 17 ausgemalt hatte. Musikalisch vielleicht der schwächste Song der Scheibe, und auch der, der auch nur eine Saison im Live-Repertoire blieb.

Mit "Ens em Vertraue" konkretisiert Niedecken nochmal die Aussage, die er mit "Pardong!" auf dem Vorgängeralbum andeutete: In bester Liedermacher-Manier erklärt er in diesem Song seine Unabhängigkeit und Unkorrumpierbarkeit. Er werde nicht für Geld nach irgend jemandes Pfeife tanzen oder dessen Lieder singen, sondern immer frei seine Meinung äußern. Ob er diesem Ideal tatsächlich all die Jahre seit 1981 immer treu geblieben ist, wage ich nicht zu beurteilen. Auch dieser Song wurde zu einem Geheimfavoriten in Fankreisen, obwohl so ganz und gar nicht gerockt wird, sondern der Effendi im Stil der 20er Jahre pianiert.

Den Schlußpunkt auf dem Album setzt ein eingekölschter Eddie Cochran Klassiker "Wo mer endlich Sommer hann", dessen musikalische Umsetzung sich an der Version von The Who auf der "Live at Leeds" orientiert, welche sicher auch die Inspiration war, diesen Song ins Live-Programm von BAP zu übernehmen.

Mit diesem Album, auf dem 7 von 10 Songs es geschafft haben, zu Live-Klassikern zu werden - oder zumindest auch noch über 30 Jahre nach Entstehung wieder in Live-Programmen gespielt zu werden - etablierte sich die BAP unter den Großen der deutschen Rockszene. Mit "Verdamp lang her" entstand eine Hymne, die auch nach 36 Jahren immer noch ein Begriff ist, und mit dem ein Großteil der BAP-Fangemeinde BAP für sich entdeckt hat. Zusammen mit dem Nachfolge-Album "Von drinne noh drusse" vielleicht der beste Anfang für eine BAP-Sammlung - meine Empfehlung als Einstieg wäre allerdings die Live-CD "BAP Live - bess demnähx" von 1983. Aber bei dem umfangreichen Katalog, der in 40 Jahren entstanden ist, kann jedes Studio-Album nur einen kleinen Teil der langen Bandgeschichte repräsentieren. "Für Usszeschnigge" ist der Beginn der Zeit des größten Erfolges der Band, kurz vor dem Höhepunkt der Karriere - eine Zeit der Tourneen mit 180 Konzerten pro Jahr.

Die Remaster Bonus CD enthält 6 bzw. 7 Live-Versionen der Album Tracks, wobei die erste Fassung auch hier wieder ein Interview mit Frank Laufenberg enthält, das auf der zweiten Fassung durch einen weiteren Live-Track ersetzt wird. Auch die Auswahl der Live-Tracks unterscheidet sich etwas zwischen den zwei Fassungen.

Punkte: 9 / 10


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