Dass Megaherz sich im Laufe der Jahre stark gewandelt haben ist ja ziemlich offensichtlich und das auch schon unter dem ersten Sänger Alexx. Während „Wer bist du“ noch ziemlich roh, einfach und durch Sprachgesang dominiert war wurden Megaherz mit „Himmelfahrt“ und „Herzwerk II“ melodischer, tanzbarer und auch etwas poppiger. „Kopfschuss“ bewegt sich als zweites Album und direkter Nachfolger von „Wer bist du“ irgendwo dazwischen mit leichter Tendenz zum Debut. Denn obwohl die Band hier vor allem im elektronischen Bereich etwas experimentierfreudiger geworden ist und man hier schon erahnen kann, in welche Richtung die weiteren Alben verlaufen sollten, könnten viele Songs auf „Kopfschuss“ noch vom direkten Vorgänger stammen. Textlich setzen Megaherz ja im Vergleich zur Konkurrenz eher auf konkrete und weniger abstrakte Texte und Alltagsthemen und scheuen dabei auch vor etwas derberer Sprache nicht zurück. Das wird auch auf „Kopfschuss“ sehr deutlich. Vor allem Liebeskummer („Teufel“, „Miststück“, „Liebestöter“) und Drogen („Kopfschuss“, „Freiflug“, „Meine Sünde“) sind hier dominante Themen, allerdings deutlich weniger kitschig interpretiert als man es von den neueren Alben mit Lex kennt.
Positiv aufgefallen sind mir auch heutzutage direkt wieder die Songs, die auch damals meine Favoriten waren. Über „Miststück“ muss man ja nicht viele Worte verlieren. Der Song gilt ja als der Megaherz Klassiker schlechthin und ist auch heute noch das Highlight auf jedem Megaherz UND Eisbrecher Konzert und irgendwie auch das beste Beispiel wie ein typischer klassischer Megaherz Song auszusehen hat. Müsste ich Megaherz mit einem Song beschreiben wäre das wohl „Miststück“. Auch „Liebestöter“ geht gut nach vorne. Hier zeigt sich die Band experimentierfreudig mit einer schnelleren tanzbaren Nummer, die richtig und in’s Ohr geht und sich daher auch perfekt für Remixe anbietet, weshalb sich auch gleich mal einer am Ende des Albums findet. Der Rock-Club Remix (der sich so auch auf der entsprechenden Single finden lässt) ist im Refrain etwas elektronischer dafür aber ruhiger, ansonsten wurde nicht besonders viel verändert. Ganz ehrlich: besonders spektakulär ist das nicht. Als Bonusdreingabe sicherlich ganz nett, aber ich bevorzuge das Original. Mit „Freiflug“ zeigen Megaherz dann, dass sie auch 1A-alladen auf die Beine stellen können. Wo der Vorgänger mit der depri-Ballade „Müde“ etwas geschwächelt hat, kann „Kopfschuss“ mit dem wesentlich ausgereifteren „Freiflug“ nun endlich punkten. Alexx beweist hier, dass er in den Strophen auch die leisen Töne ganz gut treffen kann und spätestens im Refrain hört man, dass das Genre auch bei den Balladen nichts an seiner Power verlieren muss und das alles ohne übermäßig pathetischen Kitsch. Etwas, was bei Megaherz nur Alexx so richtig als Sänger gelingen mochte. Ich habe nicht unbedingt was gegen Lex als neuen Sänger und er hat auch klare Vorzüge, aber Songs wie „Freiflug“ waren wohl nur mit Alexx am Mikro möglich.
Der Titeltrack setzt dagegen stark auf den Sprechgesang des Vorgängers, was sich wunderbar in der Gesamtbild des Albums fügt. Der einfache „Bang Bang – Kopfschuss!“ – Refrain macht mir heute ebenfalls noch richtig viel Spaß. In eine ganz ähnliche Richtung geht die Nummer „Schizophren“, welche sich eher mal mit der umgangssprachlichen Bedeutung als mit der psychotischen Erkrankung auseinandersetzt: guter harter Sprechgesang in den Strophen der sich langsam zum explosiven Refrain steigert. Viel mehr hat es damals für einen guten Megaherz Song nicht gebraucht. Einen Ohrwurm von „Schizophren“ habe ich seit gestern trotzdem die ganze Zeit. Was natürlich auch auf den älteren Megaherz-Alben nicht fehlen darf sind die Märchenreferenzen. Diesmal mit dem Song Rappunzel, welcher mit dem düsteren Intro „Burn“ eingeleitet wird. Für genau solche Spielereien wie „Burn“ mag ich die älteren Megaherz Alben übrigens sehr. Der Song an sich wirkt dann wieder überraschend modern, kann ich mir mit Lex auch ganz gut vorstellen. A pro pos: Mit „Herz aus Stein“ ist auch einer der Songs auf „Kopfschuss“, die Megaherz mit Lex nochmal neu aufgenommen haben. Beide Versionen sind für mich absolut solide Megaherz Songs, die weder in positiver noch negativer Hinsicht großartig auffallen.
Dann haben wir mit „Rock Me Amadeus“ noch ein Falco-Cover, welches sogar ziemlich gelungen ist. „Teufel“ fängt klasse an und ist an sich voll von großartigen Riffs, aber irgendwie will mir der Gesang von Alexx nicht so wirklich gefallen. Einer der Songs, den der Rest der Band in meinen Augen besser performed als der Sänger.
Im eher unspektakulären Bereich hätten wir dann noch „Jordan“ „Blender“ und „Meine Sünde“. Ich weiß, dass „Jordan“ wohl ziemlich beliebt ist und es auch auf die eine oder andere Best Of geschafft hat. Für mich dagegen zählt „Jordan“ überhaupt nicht zu den Songs, die „Kopfschuss“ zu einem guten Album machen. Ja: es ist hart und schnell aber mehr das alleine reicht natürlich nicht und mehr hervorstechende Merkmale finde ich daran einfach nicht (außer vielleicht das Intro und das nervt mich eher). „Meine Sünde“ plätschert so dahin ohne wirklich gut oder schlecht zu sein. Der einzige Song des Albums bei dem auch nach mehrmaligen hören kaum was bei mir hängen bleibt, außer dass hier manches für mich ziemlich nach „Herzeleid“ oder „Sehnsucht“ von Rammstein klingt – hier kann ich den Vergleich wirklich verstehen. Bleibt nur noch „Blender“ übrig - ein Song, der eigentlich ganz gut abgeht, mir aber etwas monoton ist. Für Freunde der härteren Megaherz-Songs aber vielleicht ganz interessant. „Blender“ scheint außerdem ziemlich viel Ausgangmaterial für das spätere „Heuchler“ geliefert zu haben, insbesondere wenn man bedenkt, wie gerne sich Megaherz bei sich selbst bedienen und eigene Songs entweder offensichtlich (also durch Neuinterpretationen) oder indirekt durch sehr ähnliche Songs (siehe alleine Himmelfahrt vs Himmelsstürmer) kopieren.
Unterm Strich bleibt ein ziemlich gutes Album, welches mir auch heute noch viel Spaß beim hören macht. Viele richtig gute und Best Of würde Songs gehen aus „Kopfschuss“ hervor. Die Band hat sich hier eindeutig weiterentwickelt und liefert hier insgesamt ausgereiftere Stücke als der Vorgänger „Wer Bist Du“. An Quantität soll es mit 14 Tracks auch nicht scheitern, wenn man den Remix und das Interlude „Burn“ mitzählt. Gleichzeitig kann ich „Kopfschuss“ nicht nur an den Highlights bewerten. Manche Songs wollen bei mir nicht ganz so zünden und damals wie heue fand ich manche Songs klar besser als andere. Ein perfektes Album ist „Kopfschuss“ für mich leider nicht. Als Fan der Band sollte man „Kopfschuss“ aber natürlich kennen, denn immerhin sind hier einige Songs drauf, die die Band erst richtig groß gemacht haben.
Punkte: 8 / 10