Yes Close To The Edge (1972) - ein Review von MLSnick

Yes: Close To The Edge - Cover
2
2 Reviews
47
47 Ratings
9.06
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock: Progressive Rock, Psychedelic Rock


MLSnick
17.07.2012 20:32

Ich zähle mich zu denen, für die Musik eine Art Religion ist. So ziemlich alles kann ich mir irgendwie in dieser Welt mit Hilfe der aktuellen Wissenschaft erklären, oder zumindest glaube ich das oder erliege dieser Illusion. Bei Musik jedoch stoße ich an die Grenzen meines Verstandes, denn ich kann mir absolut nicht vorstellen, warum sie so funktioniert, wie sie funktioniert. Jeder der Musik liebt, weiß um den Zauber der Töne und kann vielleicht verstehen, wie viel einem dieses Erlebnis bedeuten kann.

Nur von wenigen Alben kann ich behaupten, das sie mich über die ganze Länge hindurch begeistern. Meistens handelt es sich dabei um Werke, die ich eher als düster, dunkel, melancholisch oder gar hasserfüllt bezeichnen würde. Ganz selten strahlt Licht aus den Lautsprechern und streichelt mir mit hoffnungsvollen, positiven Klängen die Seele. In diesen Momenten fühle ich mich wie ein ausgetrockneter Schwamm, der sich endlich wieder mit Wasser vollsaugen kann. Leider kenne ich nur wenig positive Musik, die mir nicht zuwider ist.

Bis vor ein paar Jahren war mir die Gruppierung YES nur wegen ihres 80er-Hit "Owner Of A Lonely Heart" bekannt, was sich allerdings änderte, als das RockHard ein Special zu Prog-Rock/Metal machte. Die Redaktion listete "Close To The Edg"e auf Platz 2 der besten ProgRock-Alben und im Gegensatz zu Platz 1, GENESIS: "Foxtrot", gefiel mir jene Scheibe von YES sofort. Neben "Oxygene" von JEAN MICHEL JARRE und dem Götterwerk "Wish You Were Her"e von PINK FLOYD zähle ich am heutigen Tage "Close To The Edge" zu meinen absoluten Lieblingsalben.

Die Platte ist in meinem Leben als Musikliebhaber aber trotzdem ein Unikum. Egal ob ich dieses Album im Auto, per MP3-Player bei der Arbeit oder auf CD oder LP daheim über die Anlage anhöre, es scheint immer ein Erlebnis, ein Fest zu bleiben. Niemals verkommen die drei überlangen Stücke der Platte zum Hintergrund, sondern vermischen in jenen Minuten meine Realität mit der eigenen Fantasiewelt dieser Klänge.

Alleine schon wie "Close To The Edge" anfängt. Der Vorhang lüftet sich, das Grau des Alltags verschwindet und man erblickt eine saftiggrüne, sommerliche Natur mit allerlei Getier, Vogelgesang und einem Bachlauf. Scheinbar wild und wirr sprenkelt die Band dort in kurzen aufflackernden Tönen ihre Lebendigkeit improvisierend ins Chaos hinein, bevor sich das Gezupfe, Geplinke und Geklopfe sammelt und eine seltsame Struktur eintritt.

YES scheinen anschließend in einer komplett anderen Dimension herumzutänzeln und tupfen in fremdartigen Mustern Altbekanntes neu an. Das Arrangement lässt mich jedesmal vergessen den Mund zu schließen. Ich kann mir nicht im Geringsten vorstellen, wie inspiriert man sein muss, um solch ein in sich stimmiges Geflecht an Tönen hinzubekommen.

Das die Scheibe 1972 erschien macht mir noch mehr Kopfzerbrechen, denn ich persönlich kenne keine Referenz, die zu "Close To The Edg"e hätte führen können. "Sgt. Pepper", "Pet Sounds" oder "In The Court Of The Crimson Kin"g sind wohl spürbar nahe, doch in meinem Verständnis absurd anders.

YES funktionieren hier als Einheit, als wirkliche 'Bande' und lassen die Töne umherspringen, erwecken eine unglaubliche Lebendigkeit und scheinen den Hörer eher ins Grüne treiben zu wollen, als ihn im Kopf gefangen zu halten.


Die teils bombastische Instrumentierung ist auch so eine wunderliche Sache, denn wo sonst trifft z.B. eine Kirchenorgel auf einen Moog-Synthesizer. Rick Wakeman fliegt auf seinen Tasteninstrumenten umher und pinselt in den aufregendsten Farben, füllt Lücken und lässt doch Freiräume.

Das Schlagzeug ist angenehm ins Geschehen eingebettet und hält die Band auch in den schwierigsten Momenten ohne jede Mühe zusammen. Vor allem gegen Ende der Platte setzt Drummer Bill Bruford gekonnt dramatische Akzente.

Der Gesang von Jon Anderson funktioniert bestens in den Chören, schmeichelt aber auch im Alleingang mit märchenhafter Unschuld und transportiert die Worte direkt ins Herz hinein. Eine ganz leicht reibeisige Note verhindert den Übergang zum Kitsch. Ähnlich wie bei Robert Plant in "Stairway To Heaven" bekommt man das Gefühl nicht los von einem Fabelwesen besungen zu werden.

Mein Liebling auf der Platte ist allerdings der Bassist Chris Squire, welcher mal den Rhythmus unterstützt, sich dann wieder aus dem Korsett löst, gegen's Fell bürstet, pulsierend um Melodien tänzelt, sich wie Kaugummi aus dem Standard wegzieht, den Rahmen voll auskostet und es dennoch schafft nicht deplatziert zu sein, sondern die Kulisse mit seiner eigenen Lebendigkeit zu füllen weiß.
Alleine schon wenn es um das Arrangement und Spiel des Viersaiters geht, ist "Close To The Edge" mein absoluter Favorit. Hinzu kommt noch dieser spezielle, ungezügelte, kleinmonströse, sich durchbeißende und trotzdem unterstützende Sound des Basses, welcher mich persönlich an den Tieftöner von "Üdü Wüdü" von MAGMA erinnert. Eine nicht zu unterschätzende Komponente in der prachtvollen Klangwelt des Albums.

Fast geht da schon die die Gitarre von Steve Howe etwas unter, welcher sich im Gegensatz zu den meisten seiner Sechssaiterkollegen nicht mit übergroßem Ego in den Vordergrund spielt. Er arrangiert sein Spiel fantasievoll, glänzt mit elfengleichem Spiel bei Akustikpassagen und tut auch sonst alles dafür, mit seinem Instrument die magische Welt von "Close To The Edge" mit Detailreichtum zu füllen.


Alle drei Titel des Albums gehören für mich zum besten was ich in der Musik kennengelernt habe. Sei es das fast 19 minütige Titelstück mit all seinen Facetten und unvergesslichen Momenten, das impulsive und höchst dynamische "And You And I" mit seiner tollen Akustikgitarre und den Tränenwegdrückaugenblicken, oder das vor Leben sprühende "Siberian Khatru", welches das Überwerk dramatisch und mehr als würdig abzuschliessen weiß. Zu jeder Sekunde ist "Close To The Edge" anders, besser und interessanter als das meiste was ich kenne. Leider bleibt es in Sachen YES auch dabei, denn sowohl die Vorgänger, als auch die Nachfolger dieser Scheibe bieten mir persönlich nicht annähernd ein solch intensives Erlebnis.



"Close To The Edge" habe ich in drei verschiedenen Versionen:

Einmal als CD [EAN-Nr. 07567-82666-21], auf deren Hülle "Newly Digitally Remastered From The Original Master Tapes" steht. Diese Wiederveröffentlichung gibt es auch mit Bonustracks, welche mich allerdings mehr stören, als bereichern würden. Den Klang der CD empfinde ich als sehr gut. Ich kann ohne Reibepunkte in die Musik eintauchen und vollends genießen.

Dann habe ich mir mal auf einem Flohmarkt für 10€ eine LP ohne Klappcover gekauft. Die Katalognummer ist ATL50012 und diese Pressung klingt schrecklich. Viel zu dumpf und ohne Dynamik, als wäre die Musik unter Schlamm begraben. Positiv ist nur der hübsch anzusehende Silberdruck im Schriftbild auf dem Cover, aber das war es auch schon.

Meine letzte Version von Close To The Edge wird besonders aufbewahrt. Es handelt sich dabei um eine 180 Gramm Wiederveröffentlichung im Klappcover. Auf dem Aufkleber, der auf der Folie klebte, steht geschrieben "Cut From The Original Analog Master Tapes, Packaging Replicated To The Finest Detail, Pressed With More Care Than Ever". Diese LP [EAN-Nr. 0-81227-97157-1] macht mir dann auch dementsprechend viel Spaß und ermöglicht, ähnlich wie die CD, ein ungestörtes Eintauchen in die Musik. Für meine Begriffe und Bedürfnisse ist die Pressung perfekt und stellt mir nichts in den Weg, was mich daran hindern könnte, sie abgöttisch zu lieben. Einzige Kritikpunkte wären die ungefütterte Innenhülle und das Fehlen des glänzenden Silberdrucks in der Schrift auf dem Cover. Das ist in meinen Augen allerdings Meckern auf schwindelerregend hohem Niveau.


Zum Abschluß brauche ich wohl nicht mehr zu erläutern, wie sehr ich "Close To The Edg"e liebe. Sollte es noch Musikliebende geben, die das Album nicht kennen, so hoffe ich sie dementsprechend neugierig gemacht zu haben. Alle anderen sollten die Platte mal wieder auskramen, sich zurücklegen, die Augen schließen und sich für knapp 40 Minuten in eine andere Welt begeben.

Fahr mal wieder ins Grüne!

Punkte: 10 / 10


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