“The Deluge“ erschien damals nur in Europa auf Black Dragon Records und wurde trotz unbestreitbarer Klasse von den Magazinen bis auf ganz wenige Ausnahmen glatt ignoriert oder, soll man sagen im besten oder schlechtesten Fall, recht ungnädig abgekanzelt. In den letzten Jahren aber scheinen sich die Vorzeichen ins Gegenteil gekehrt zu haben. Da wird dann alles blind und reflexhaft auf den höchsten Sockel gehoben, wo MANILLA ROAD draufsteht, scheinbar aus Angst, dass es sich nicht mehr ziemt, eine solche Kultband zu kritisieren. Vielleicht haben sich aber auch die Umstände und damit die Ansprüche mehr geändert als die Band selbst. Nicht mehr nur gute Songs zählen, deren Verbreitung auf digitale Weise immer leichter und schneller gelingt, sondern ein Gesamtpaket, das mehr denn je im Vordergrund zu stehen hat. Eine stimmungsvolle Optik, ein textliches Konzept - weniger bestimmte Aussagen, sondern einfach interessante und passende Themen - sowie ein eigener Sound, der sich von den Standardproduktionen abhebt und so weiter. Bands, die eine Nische besetzen, im Idealfall sogar eine, die es ohne sie gar nicht geben würde - und sich so mit dem eben genannten Drumherum gar eine eigene Identität schaffen, die werden auch durch Fanloyalität belohnt.
Klar, Gruppen mit einem ausgeprägten Image gab es auch früher schon, aber es ist wohl mittlerweile mehr, was eine Band wie MR in unsere Zeit passen lässt, die ihren Fans fast schon eine über dem Alltag stehende ideelle Heimat bietet. Ebenso wichtig wie die klassische frühkindliche Musikerziehung waren Sheltons Studien in Anthropologie und Mythologie, die ihm das notwendige Rüstzeug gaben, um mit genau der richtigen Menge an Tiefe immer wieder von einem spannenden (oder sagen wir besser “Metal-kompatiblen“) Thema zum anderen zu springen. Nicht zu oberflächlich, aber auch nicht zu starr und trocken oder gar überfordernd, sondern Raum lassend für eigene Interpretationen. Künstler sind immer auch ein Produkt ihrer Herkunft, der Ausbildung und des vorherrschenden Zeitgeists. Deshalb sei auch die Herkunft aus dem ländlichen Kansas noch erwähnt. Derart abgekapselt von allen Musikzentren oder dem, was man eine Metal-Szene nennen könnte, hatte kein Manager, Produzent, Labelboss oder Musikjournalist Gelegenheit, Mark Shelton ins Werk zu quatschen. Wer weiß, vielleicht konnte nur so der typische und einmalige MR-Sound entstehen. Dies alles gilt es zu berücksichtigen, wenn man begreifen will, wie eine Band, die ihre ersten Schritte tat, als in den meisten deutschen Haushalten noch Schwarzweiß-Fernseher standen, bis heute in der (zugegebenermaßen übersichtlichen) Epic Metal-Szenerie den Ton angeben kann.
So, jetzt habe ich noch kaum ein Wort über “The Deluge“ verloren, der Lehrer würde sagen “Themaverfehlung!“. Vielleicht hilft es, wenn man sich vorstellt, wie das Album wohl für einen totalen MR-Neuling klänge, auch das soll es ja geben. Und da muss man sagen, dass das fünfte Werk erst mal ein wenig schwer im Magen liegen dürfte. Die Songs wirken schroff, mitunter fahrig und fast schon disharmonisch. Von dem spröden, nasalen Gesang ganz zu schweigen, der erst mal nicht den gängigen Vorstellungen eines guten Sängers entspricht. Alles auf den ersten Blick wohlgemerkt, denn nach und nach brennen sich die Gesangsmelodien, die wilden Soli und der effektreiche Songaufbau, auch ohne die große Eingängigkeit des “Crystal Logic“-Albums, unaufhaltsam ins Bewusstsein ein. Dafür ist das Trommelspiel von Randy Foxe deutlich wilder und furioser als das seines Vorgängers und auch der Bass klingt auffälliger, was der Band ausgesprochen gut zu Gesicht steht. Aber zurück zu unserem Neuling, für den es sich irgendwo zwischen dem zweiten und dem zwanzigsten Versuch entscheidet, ob er in die kauzige Welt von Mark Shelton und seinem Lebensprojekt mit einsteigt oder nicht.
Denn in dieser Hinsicht scheinen MR ganz eigene Regeln zu setzten, ist es doch fast unmöglich, dass sich Fans der Band einig werden, welche Alben und Songs zu den Klassikern gehören und welche nicht. Die Space Rock-Elemente aus den unschuldigen 70ern sind auf “The Deluge“ endgültig verschwunden, eher klopft in den schnellen, furiosen Passagen schon die Thrash-Phase an die Tür. Nach meinem Dafürhalten genau die richtige Mischung, aber das gilt es für jeden selbst herauszufinden. Der Weg ist das Ziel, die Straße nach Manilla ist weit und tief, mitunter holprig, schlängelt sich aber durch eine erhabene Landschaft - es lohnt sich also.
Sgt. Kuntz
Punkte: 9.5 / 10