Als Blutbahnen rauskam, war ich gespannt wie ein Flitzebogen, wie das neue Album klingen würde, gerade nachdem durch Theresas Weggang jetzt die Violine fehlte, die eines der Markenzeichnen von Eisregen waren. Nicht, dass sie nicht auch damals mit Zerfall ein Spitzenalbum ohne Violine rausgebracht hatten, aber mit einem Black Metal angehauchtem Album im Stile ihrer Anfangszeit war wohl kaum zu rechnen. Der instrumentale Opener und der erste Song Eisenkreuzkrieger haben schon mal sofort Lust auf mehr gemacht. Auch wenn es von Anfang an irritiert hat, dass die Blutkehle tatsächlich zur „Softkehle“ mutiert ist, fand ich die cleanen Vocals in Eisenkreuzkrieger ganz sinnvoll platziert. Ein netter Song, der gut in’s Ohr geht. Kein Klassiker, der mir bei jedem Hören eine Gänsehaut bereitet, aber wir sind ja auch erst beim ersten richtigen Song.
Schade nur, dass so ziemlich alles was danach kommt in vollkommener Belanglosigkeit untergeht. Erst „zurück in die Kolonie“ ist dann wieder einer der wenigen Songs von dem Album, die ich mir heute noch ab und an mal gebe, wenn mir danach ist. Der Rest...na ja was kann ich dazu sagen. Erst einmal nervt der Orchestrale Einheitsbrei, der offenbar den Ersatz für Theresa darstellen soll gewaltig, da er sich durch das ganze Album zieht und selbst jedes Cannibal Corpse Album plötzlich äußerst abwechslungsreich erscheinen lässt. Dann der Gesang der Blutkehle. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass M. Roth in der Lage ist guten cleanen Gesang abzuliefern, wie er gerade im aktuellem Album bewiesen hat. Hier jedoch zeigt er, wie unglaublich laaaaaangweilig und schlecht das ganze klingen kann, wenn man es nicht sinnvoll in die Songs einbaut, sondern ganze Songs über langweilige und uninspirierte Texte clean vorträllert. Und mit langweiligen und uninspirierten Texten MEINE ich auch langweilige und uninspirierte Texte. Erst einmal fällt auf, dass man sich offenbar mittlerweile vor der BPjM fürchtete. Sieht man z.B. daran, dass die Songs im Booklet in „jugendfreie“ und „nicht jugendfreie“ Songs unterteilt wurden. Die Lyrics von ersteren wurden im Booklet komplett abgedruckt, bei zweiteren beschränkte man sich auf sehr kurze Auszüge, damit nicht irgendein Elternteil, welches sich die Texte durchgelesen hat entsetzt zur BPjM rennt und dort einen Indizierungsantrag abgibt, was im übrigen trotzdem schon geschehen ist. Jedoch war dieses Album auch der BPjM eindeutig zu harmlos, der Antrag wurde abgelehnt und das aus gutem Grund: die Texte sind im Vergleich zu den Vorgängeralben äußerst zahm gehalten. Schockierende Songs á la „13“ oder „Vom Muttermord“ sucht man hier vergebens. Versteht mich nicht falsch. Ich möchte hiermit nicht zum Ausdruck bringen, dass ich die Songs von Eisregen vor allem an der Menge von Blut und Gekröse messe, die sich in den Lyrics wiederfindet. Aber was sie sich hierbei gedacht haben erscheint mir einfach nur fraglich. Nehmen wir mal „17 Kerzen am Dom“ als Beispiel. Mit diesem Song haben sich Eisregen den Amoklauf von Erfurt gewidmet und setzen sich mit der Tat kritisch auseinander. Da teilen sie zumindest schon mal meine Meinung: eine absolut inakzeptable Tat, die viele Menschenleben zerstört hat, weil ein einzelner mit dem eigenen nicht mehr klargekommen ist. Soweit so gut aber in ihrem musikalisch eher Kinderpunk-mäßig anmutendem Song wird diese Aussage erst am Ende des Songs dermaßen plump und aufgesetzt präsentiert, dass man sich fragt ob die letzte Passage nicht mal eben noch am Ende der Aufnahmen hinzugefügt wurde, um ja keine Indizierung zu riskieren. Davor macht sich die Blutkehle noch ein wenig über Robert Steinhäuser in einer Art und Weise lustig, die sich mir nicht ganz erschließen will, etwa in dem er ihn „Backsteinfresse“ nennt.
Um die Sache ein wenig abzukürzen: gerade mal 3-4 Songs konnten auf diesem Album einigermaßen bei mir zünden und sind zumindest gut genug umgesetzt, dass sie gut in’s Ohr gehen und deshalb mal so zum Headbangen für zwischendurch reichen. Aber bitte, das ist eindeutig zu wenig für Eisregen. Auf jedem anderem Album wären selbst diese Songs ganz hinten in meiner persönlichen Beliebtheitsskala gelandet. Das ist einfach nicht die Form von Eisregen Song, die ich gewohnt bin und die mir auch Jahre später noch einen angenehmen Schauer über den Rücken jagt. Der Rest ist einfach nur schlecht und variiert von belanglosem Einheitsbrei bis hin zu peinlichen Fun-Metal wie „Schneuz den Kasper“. Es hat durchaus seinen Grund, dass es außer Eisenkreuzkrieger kein Song mehr in aktuelle Live-Setlists schafft und ich bin froh, dass Eisregen diese „Phase des Umbruchs“ überwunden haben und mit ihrem aktuellem Album bewiesen haben, dass sie es immer noch draufhaben. So bleibt Blutbahnen hoffentlich das schlechteste Album in ihrer Bandgeschichte.
Punkte: 3.5 / 10