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Keine LC
IFPI's: 1593 (innen) / L046 (aussen)
Promo-Sheet mit folgendem Inhalt:
GRAHAM COXON
The Kiss Of Morning
Wer ist das komplizierteste Mitglied von Großbritanniens
kompliziertester Band; der coolste Mann in ganz Camden Town, Biker, stolzer junger Vater, Labelchef. Englands bester Gitarrist, heimlicher Jazzfan, und einiges mehr… ? Das kann nur Graham Coxon sein. Als Mitglied von Blur hat er in den letzten 15 Jahren einige der wichtigsten und erfolgreichsten Platten gemacht - Platten, die ihn über Nacht zum Superstar machten, was ihm gar nicht behagte. Das ist zum Teil auch der Grund warum Graham Coxon nebenher noch einen anderen Weg eingeschlagen hat, nämlich den des hochindividuellen, intensiven, humorvollen, leidenschaftlichen und betörenden Solokünstlers, der nun schon sein viertes Album vorlegt. Doch zurück zum Anfang:
Graham Coxon wurde 1969 im Military Hospital von Rinteln bei
Hannover geboren, wo sein Vater stationiert war und Saxophon und Klarinette im Royal Worcestershire and Sherwood Foresters Regiment spielte. Graham wuchs in verschiedenen Militärstutzpunkten in Deutschland auf, unter anderem bei Spandau, wo er immer Ausschau hielt ob er Rudolf Hess beim Rosenschneiden sehen könne. Natürlich ohne Erfolg. Grahams Vater Bob brachte als erster Coxon eine Platte heraus. Mit seiner Militärkapelle coverte er Songs von Burt Bacharach und den Beatles. Die musikalische Erziehung des Knaben bestand im Durchwühlen der elterlichen Platten. „Jede Menge Beatles und jede Menge Beethoven. Ich suchte immer nach dem Apple Label mit der weißen Seite des Apfels, denn ich wollte „Revolution“ hören. Statt dessen erwischte ich Mary Hopkin und war entsetzt. Und sehr verwirrt war ich von „A Boy Named Sue".
Mit zwölf schnappte er sich eine Gitarre und brachte sich selbst
„Aunties And Uncles" von The Jam bei. Das war seine Welt. Gegen Ende der Siebziger zog die Familie nach Colchester, der Vater spielte nun bei der Essex Constabulary Band. Hier traf Graham endlich jemanden, der genau wie er vom Ska-Label Two Tone begeistert war. Sein Name: Damon Albam. „Er hatte die falschen Schuhe an. Ich sagte zu ihm: „Hey. Deine Schuhe sind Meine sind die richtigen." Aber der schlechte Einstieg machte nichts. Die beiden taten sich mit dem Schulkameraden James Hibbins zusammen und spielten unter dem Namen Real Lives Ihren verblüfften Kumpels merkwürdige Epen im Stil von King Crimson vor. Nach der Schule ging Coxon an das London Goldsmith College und lebte dort wie ein Intellektueller Bohemien, er verbrachte viel Zeit mit dem Schwerenöter und Lebemann Alex James aus Bournemouth. Der Hausbesetzer Dave Rowntree, Drummer und Computertreak, komplettierte die Besetzung, die sich zunächst Seymour und später Blur nannte.
Richard Branson ist kein Vorbild für Graham Coxon, aber im Jahre 1998 überraschte der Gitarrist, der sich von allen Blur-Musikern am wenigsten um das Geschäftliche gekümmert hatte, mit der Gründung seines eigenen Plattenlabels. Transcopic, welches er mit Jamie Davis betreibt. Eigentlich sollte nur die Single und das Album von dem Chicagoer Assembly Line People Program vertrieben werden, aber bald wurden auch Singles von Coberman und Coxons eigene Soloarbeiten veröffentlicht. Momentan stehen Billy Childish And The Buff Medways, Bunsen Honeydew, Darius (von Cable) und Mower auf dem Plan, wobei der jüngste Shortplay der letztgenannten Band vom NME zur Single der Woche gekürt wurde.
„The Kiss Of Morning" ist Graham Coxons viertes Soloalbum und
sein vielleicht interessantestes Werk. In den letzten vier Jahren hat jede Veröffentlichung etwas mehr über ihren Schöpfer verraten. „The Sky's Too High“ von 1998 war verletzlich und knorrig zugleich, mit wunderschönen, rauen Songs wie das gruselige „Where'd You Go" und das mitreißende „I Wish", dem die unsterbliche Zeile „I wish I could bring Nick Drake back to life" zu verdanken ist.
Zum Jahrtausendwechsel erschien „The Golden D", eine vielfach
missverstandene Platte, auf der er seine Liebe für Skatepunk und US-Hardcore, aber auch für modernen Jazz offenbarte. Coxon hatte alle Instrumente selbst eingespielt. Für die Clubtournee trat er mit Freunden (darunter Dave Rowntree) unter dem Namen The Roxons auf. Das dritte Album, „Crow Sit On Blood Tree", erschien im Sommer 2001. Es war in einer kreativen Phase innerhalb von zwei Wochen entstanden. Auch hier spielte Coxon wieder alle Instrumente selbst, doch damit nicht genug, erledigte er in zwei Wochen die Aufnahmen, das Mixen und Mastern selbst, gestaltete das Cover und, eine weitere Neuerung, filmte und produzierte mit Helen Potter für einige Songs fünf minimalistische Low-Budget-Kurzfilme.
Nun also „The Kiss Of Morning". In gewohnter Manier überzeugt
Coxon mit seiner entspannten Unmittelbarkeit, doch die Platte ist auch seine bislang konzentrierteste. Natürlich ist sie geradezu verwegen abgemischt, dennoch ergibt sich ein recht einheitliches Bild. Das schwermütige „Bitter Tears" erinnert mit einem Hauch von Folk an Bert Jansch und Davy Graham, „Baby, You're Out Of Your Mind" nähert sich mit ähnlichen Mitteln eher einem gewissen Bob Dylan. Das fragile „Live Line" hat etwas von Syd Barretts fahriger Melancholie. Die größte Überraschung jedoch birgt der Ausflug ins Country-Genre auf dem wunderbaren „Mountain Of Regret", das mit einem Pedal Steel Solo des Meisters BJ Cole verfeinert wurde.
„The Kiss Of Morning" ist das bislang ausgefeilteste Werk eines
Mannes, der Musik mehr liebt als das Leben als Popstar, und der dann am glücklichsten zu sein scheint, wenn er die Art von Musik machen kann, wie sie nun vorliegt: freigeistig, abenteuerlich, ernst und witzig zugleich. Man kann diesem Künstler nur Erfolg in allen weiteren Unternehmen wünschen. Etwa, wenn Transcopic die West Coast Main Line Strecken betreibt, als Kreditbank tätig wird und den Wodka herstellt. Bis dahin muss man sich mit der nicht minder aufmunternden Musik zufrieden geben.
Oktober 2002