Infos
Zillo Medieval #6 (02/2012)
Der Dämonenritt auf der Küchenschabe
Der Winter bot seine weiße Pracht nur in geiziger Form dar – scheinbar dehnt sich die Wirtschaftskrise auch auf die Jahreszeiten aus. Vorrangig glänzte das kalte Quartal weitflächig mit herbstlichen Anwandlungen. Umso mehr darf man sich auf den herannahenden Frühling freuen, der hoffentlich seinem Namen alle Ehre machen und den grauen Planeten mit ein wenig Farbe betupfen wird. Um die Geister der Natur im Vorfeld milde zu stimmen, bietet Zillo Medieval abermals ein kunterbuntes Sammelsurium feinster Spielmannskünste dar.
Den Anfang machen Elisir mit einer besonderen Medieval-Abmischung ihres Liedleins "Morning Dew/Swallows Tail", das eine tiefe Verbindung zum irischen Lebensgefühl aufweist. Bei dieser sowohl wuchtigen als auch sphärischen Ouvertüre fließen die Fähigkeiten von Ex-Cultus-Feroxer Briantanus und Tec, der bereits bei Tanzwut, Corvus Corax und Atomic Avenue seine Finger im Spiel hatte, zusammen.
Den aufgebauten Schwung nehmen die drei Jungs von Nachtwindheim freudig auf und bündeln ihn gekonnt im französischen Schildkrötentanz "Valse A Sing Temps". Leider führte dieses heitere Stück zum Aussterben der mittelalterlichen Sumpfschildkröte, deren Panzer in den finsteren alten Tagen als Zahnersatz missbraucht wurden. Weitere wirre Weisheiten zur Zahnheilkunde verbreitet das Trio auf seiner gebissfetischistischen Scheibe "Unplaqued".
Wer jetzt schon im Kreise hopst, darf bei "Hucka" noch ein paar Umdrehungen zulegen. Die fünf Herren der Varius Coloribus Experience lassen ihrem Sackwahn freien Lauf und prangern in instrumentaler Form eine Welt der Raffgier und der Machtsucht an – ein wildes Tänzlein im Rumpelstilzchenstil kann der inneren Einkehr sehr zuträglich sein.
Auch die gewöhnliche "Küchenschabe" dürfte den Menschen des Mittelalters so manch freudigen Moment bereitet haben und soll als nahrhafte Speise wahre Wunder bewirken. Scharlatan widmen ihr einen ausgelassenen Reigen und erinnern mit dem humorvoll eingeflochtenen "La Cucaracha" an eine Revolution in einer ganz anderen Welt, weit hinter dem Horizont.
Danach satteln die Weltenkrieger ihre Pferde oder besser gesagt ihre Monstren, denn es geht auf zum "Dämonenritt". Die Medieval-Neo-Folker frönen mit ihrem zweiten Album, "Ritual", der Kraft des Lagerfeuers und sind Streiter für Toleranz, Ehrfurcht und Respekt.
Donner & Doria erinnern sich gerne der langen Geschichte ihrer Heimat, des lauschigen Erzgebirges. Das "zänkische Gebirgsvolk" bringt hier "Die schwarze Ulanka" dar, und das sowohl auf verträumte und sehnsuchtsvolle Weise als auch mit einem gewissen Schmiss.
"So seyd gespannt, es wird sich lohnen, den Klängen der Keltenstimme beizuwohnen." So preist sich das Sextett selbst an, und in der Tat kann ein gespitztes Ohr bei den Damen und Herren jederzeit empfohlen werden. Ihren "Schlachtruf" lassen sie für Zillo Medieval erstmals auf einem Tonträger erschallen.
Vom Kriegsschrei zum plünderwilligen Wikinger ist es nicht weit. Die Rabenbrüder setzen die Segel und lassen die "Nordmannen" als Schrecken der Meere durch unsere Gehörgänge wüten. Trotz Raub und Mord glänzen die unbezähmbaren Seefahrer mit einem niederträchtigen Refrain, der sich so schnell nicht mehr aus dem Ohr kriegen lässt.
Ähnlich erfreulich hartnäckig ist auch das in zahlreichen Varianten überlieferte "Foggy Dew". The Barley Brothers kredenzen das traditionelle Stücklein, das eigentlich gar nicht aus dem Mittelalter, sondern aus dem frühen 20. Jahrhundert stammt, in astreiner Irish-Folk-Manier. Der Tanz auf den Tischen ist hier Pflicht.
Gleich einer Gewitterwolke ziehen Cumulo Nimbus hernach mit markigem Folk-Rock auf. Zu verspielten Flöten gesellen sich schwere Gitarrenriffs – die "Figura Obscura" singt von Freiheit und der Enge einer festgebundenen Existenz, denn Fesseln zerschneiden nur den eigenen Leib.
Gegen Schranken, spießige Dogmen und eine verlogene Gesellschaft lehnen sich in besonderer Weise Mr. Irish Bastard auf. Die Irish-Folker haben sich doch glatt der englischen Punk-Urvätern von den Sex Pistols angenommen und deren komplette "Bollocks"-Scheibe in ein fetziges Folkmäntelchen gehüllt. Ihre geniale Version von "God Save The Queen" lässt selbst Folk-Punks wie die Pogues, Flogging Molly oder Dropkick Murphys alt aussehen.
Satolstelamanderfanz haben nicht nur einen nahezu unaussprechlichen Namen, sondern auch ein unschlagbares Gespür für mittelalterliches Liedgut – und das alles mit einer ganzen Menge Lebensfreude und Humor vermengt. Ihr irisches "Tir Nan Og" kocht schier über vor Energie und gehört zu jenen Stücken, zu denen sich das Bäuchlein stilvoll schwenken lässt.
Meister und Schüler finden bei "Spielmann spiel!" in besonderer Art zusammen. Denn für dieses Lied haben sich Vagantenpionier Fried Wandel (nicht nur bekannt durch Tippelklimper) und die Herren von Fabula zusammengetan, um gemeinsam zu musizieren. Mehr zu diesem "alten Pfad" erfahrt ihr an anderer Stelle im Heft.
Die zwei Spielmänner von Wildwuchs lassen Walther von der Vogelweides "Owe" neu auferstehen und stellen sich – seinen Versen folgend – eine tiefsinnige Daseinsfrage: "Owê war sint verswunden alliu mîniu jâr?" (zu Neuhochdeutsch: "O weh, wohin sind all meine Jahre entschwunden?)
Für den musikalischen Ausklang sorgen Exoriente, die Spielleute des Ostens. Sie legen mit ihrem "Beated" eine fantasievolle Variante der "Skudrinka" vor und spielen damit zu einem ganz besonderen Tanz auf.
Danach gilt es den Körper auszuruhen und der Erzählung "Der dunkle Thron" von Rebecca Gablé zu lauschen, die hier sehr stilvoll von Detlef Bierstedt vorgetragen wird. Der historische Roman ist ebenso empfehlenswert wie das hier vorgestellte Hörbuch, das natürlich nur als kleiner Ausschnitt vorliegt.
Facettenreiche Klänge aus aller Herren Länder für Herz und Seele also – und für einen baldigen Frühlingsanfang.