:Wumpscut: Totmacher (1999) - ein Review von DarkForrest

:Wumpscut:: Totmacher - Cover
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8.50
∅-Bew.
Aka: Deadmaker
Typ: Single/EP
Genre(s): Dark Wave / Gothic: EBM, Industrial


DarkForrest
14.12.2020 13:43

Normalerweise ist es ja kein besonders großer Akt, so eine Single-CD auf den Markt zu werfen. Entweder hat man ein kommendes Album und haut schon mal vorab einen Track raus oder hat einen ziemlich Hit und lagert den nochmal aus - ein zwei Bonustracks, Remixes oder Liveaufnahmen dazu und der Fisch ist geputzt. Dieses Konzept ist bei :Wumpscut: definitiv die Ausnahme, aber bevor Rudy Ratzinger irgendwann einfach dazu übergegangen ist, jedes Jahr eine "DJ Dwarf"-Single zu veröffentlichen, hat er zumindest mit verschiedenen Ideen experimentiert. Eines der etwas wilderen Experimente dürfte "Totmacher" sein.

Als 1999 "Boeses Junges Fleisch" erschien, gab es dazu zwei mir bekannte Singles - einmal "Ich Will Dich", welche eher dem klassischen Konzept einer Single entspricht und einmal "Totmacher", welches sich über 2 CDs erstreckt, die beide jeweils die 50-Minuten-Marke knacken. Trotzdem sei nochmal erwähnt, dass wir es hier mit lediglich einem einzigen Song zu tun haben - nur eben in sehr vielen Versionen. 17 Remixes sind es an der Zahl. Falls ihr also mit dieser Single liebäugelt, solltet ihr besser Bock auf "Totmacher" haben, denn das werdet ihr hier mehr oder weniger gut 100 Minuten lang zu hören bekommen.

Der Song, der sich hier auch im Original befindet, trifft zum Glück meinen Geschmack. Nachdem deutsche Songs damals die absolute Ausnahme bei :Wumpscut: waren, gibt es mit "Boeses Junges Fleisch" plötzlich ein ganzes Album in deutscher Sprache, sodass "Totmacher" gleich mal eine interessante Eigenschaft aufweist. Ansonsten geht der Song sehr gut nach vorne und zählt eindeutig zu dem aggressiven Teil aus Rudys Repertoire. Als großer Fan von Serienmördern spricht mich das ganze auch inhaltlich ziemlich an. Die Inspiration scheint von dem Film "Totmacher" zu stammen, welcher sich um niemand geringeren als Fritz Haarmann dreht. Was mich aber beim durchlesen des Textes der Innenseite vom Digipack sehr überrascht hat war: "nearly all Versions feature a sample taken from Sabrina Setlur's "Glaubst Du Mir". May Moses P. and his team look favourably on this use.". Gleich mal in "Glaubst Du Mir" reingehört und tatsächlich: eines der größten Wiedererkungsmerkmale von "Totmacher" stammt ursprünglich von Sabrina Setlur - wieder was dazu gelernt!

Nach dem Original geht es aber nicht gleich zum ersten Remix - oh nein - es folgt erst einmal ein Sample aus dem "Totmacher"-Film. Das klingt erst einmal nach einer netten Idee, bis klar wird, dass genau dieses Sample nach jedem Song zu hören ist. Ja, richtig gehört: nach. jedem. verdammten. Song. Inhaltlich mag das stimmig sein: Haarmann fragt den Psychiater Ernst Schultze "Sie kommen doch nochmal, bevor ich geköpft werde?" und erhält die Antwort "Ja, ich komme nochmal.", was als Parallele zu dem immer gleichen Song in anderen Versionen sicher gut funktioniert, aber eben dazu führt, dass man sich den Scheiß zwischen jedem Song für 42 Sekunden anhören muss. Wenn ihr euch das in digitaler Form anhört wird es eh zwangsläufig darauf hinauslaufen, dass ihr euch eine Playlist ohne die Samples erstellt oder diese zumindest immer überspringt. Wenn ihr es euch aber direkt von der CD anhören wollt (was 1999 sicher die verbreitetere Variante war): viel Spaß! 2000 kam sogar eine neue 1-CD "Slim Edition" ohne die Samples raus - allerdings auch nur noch mit 10 Remixes statt 17. Wer also den totalen Overkill vermeiden will, kann zu dieser greifen, verpasst aber wiederum den einen oder anderen guten Remix.

Da ich die klassische Version habe, gibt es für mich eine ganze Menge Remixes, deren Qualität erwartungsgemäß ziemlich schwankt. Allerdings muss ich zu meiner Überraschung sagen: jeder einzelne ist mindestens akzeptabel. Absoluter Dreck ist also nicht dabei. Und wir bekommen hier einiges an Abwechslung geboten. Die Künstler, die sich an "Totmacher" ausgetobt haben bedienen ein recht breites Spektrum an Genres und vom gemütlichen Elektrugedudel bis hin zum abgefuckten Death Industrial ist alles dabei, was das Herz begehrt.

Den Anfang machen drei eher konventionelle Remixes, die euch ganz sachte in die CD einführen. Alle drei sind gut zugänglich, nicht zu hart und verzichten auf wilde Experimente. Den Anfang machen Forma Tadre. Nett ist, dass die Intensität des Songs sich hier über 5 Minuten ganz langsam steigert. Ansonsten haben wir es hier aber mit einem vergleichsweise ziemlich langweiligen Remix zu tun, der von allen Vertretern auf "Totmacher" mit am wenigsten Eindruck bei mir hinterlassen hat. Covenant sind da schon etwas origineller und machen alles etwas technolastiger. Während die ganze CD entsprechend des Songs ziemlich düster ist, bringen Covenant hier ausnahmsweise mal eine etwas unbeschwerte Leichtigkeit in den Song. Haujobb haben von den 3 Remixes den wahrscheinlich anspruchsvollsten. Das ganze wirkt fast eher wie ein eigener Song, welcher Samples aus "Totmacher" verwendet.

Soweit erst einmal zu den drei Remixes, die sich erstaunlich gut als gemütliche Hintergrundmusik eignen. Der Ansatz von Cleen beeindruckt mich dann aber zum ersten Mal so richtig. Eigentlich recht minimalistisch gehalten, verbreitet er mit seinem langsamen Tempo eine wahnsinnige Schwere und unheimliche Stimmung. Ebenfalls ziemlich experimentell ist der erste Notstandskomitee-Remix (ja, es gibt zwei). Ich finde ihn eher interessant als gut genießbar, denn er wehrt sich mit seiner eigenwilligen Melodie und dem eingesorochenem Text schon sehr dagegen, irgendwie melodisch zu klingen. Ich mag ihn aber trotzdem, da durchaus Stimmung erzeugen kann und wirklich interessant zusammengestellt wurde.

Als nächstes dürfen Suicide Commando ran und man merkt sofort, dass wir es hier mit erfahrenen Remixern zu tun haben. Inhaltlich bekommt gibt es zwar einen eher den durchschnittlichen Elektro-Remix für die Tanzfläche im Gothic-Club, aber handwerklich ist er allemal gut gemacht. Auch Infact darf/dürfen? zweimal ran. Und der erste Versuch trifft bei mir direkt voll in's schwarze. Dieser Remix gibt den Song für mich einen eher melancholischen Anstrich, der aber so dermaßen angenehm zu hören ist, dass meine Ohren mir jedes Mal für diese Streicheleinheit danken. Den Abschluss für CD 1 machen VNV Nation und meine Fresse: ich bin positiv überrascht. Ich habe die eigentlich eher als so eine Art Synthpop Projekt im Kopf, aber mit diesem Remix zerlegen sie in bestem EBM-/Industrial-Style die Bude. Genau mein Geschmack!

Damit wären wir zur Hälfte durch. CD 2 beginnt mit dem Originalsong… Moment… Nochmal? Okay…
Der erste Remix stammt dann von F/A/V - ein an sich etwas merkwürdiges Projekt und auch dieser etwas härtere Remix bewegt sich eher an der Grenze zwischen gerade noch tanzbar und experimenteller Lärm. Ich mag sowas eigentlich sehr gerne, aber gerade CD 2, welche tendenziell die etwas spezielleren Geschmäcker befriedigt, dürfte nicht unbedingt für jeden sein. Der B-Ton-K Remix ist in sofern interessant, dass der die Vocals mehr in den Vordergrund rückt und die Melodie auf ein Minimum zurückfährt, was das ganze zu einer dreckig-düsteren Erfahrung macht. So richtig eskalieren tut es dann aber mit dem Jugend Staat/Death Industry Remix, der sich eher an Fans von Death Industrial- und Noise-Lärm richtet. Geht eigentlich auch an meinem Musikgeschmack vorbei, trotzdem kann ich mir das irgendwie anhören und Spaß daran haben, was irgendwie sehr für den Remix spricht.

Der zweite Remix von Infact kommt deutlich aggressiver daher als der erste. Stellt es euch ein wenig wie den Jugend Staat/Death Industry Remix vor, der doch noch zwischendurch versucht, etwas Melodie und Struktur in den ganzen Krach zu bekommen und auch wenn mir der erste Infact-Remix besser gefällt, kann ich auch mit diesem Ding hier einiges anfangen. Auch auf eine sehr eigenwillige Art cool ist der Puls/KK Remix. Ähnlich wie der Cleen Remix ist er sehr langsam und schwer und verströmt dabei einiges an passender Atmosphäre.

Der zweite Anlauf von Notstandskomitee ist dann etwas für alle, denen der erste nicht experimentell genug war - absolutes Minimum an Musik und erneut ein recht monoton eingesorochener Text. Auch wenn mich das Ergebnis nicht umhaut, bin ich doch erstaunt, dass es überhaupt in der Form noch ganz gut funktioniert. Mit dem Dr. Mabuse Remix wird es dann wieder etwas zugänglicher. Stellt euch einen etwas schnelleren und härteren Bruder vom Covenant Remix vor und ihr habt den Dr. Mabuse Remix, der mit dieser Formel eigentlich nichts falsch machen kann. Auch Aghast View dürfen öfter mal für Rudy remixen und so war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis der Name irgendwann in der Tracklist auftaucht und diesmal haben sie sich richtig ausgetobt und alles reingehauen, was man in so einen Remix einbauen kann. Den Abschluss macht schließlich der Noyce-Remix, der fast schon eher ein Cover ist. Interessant ist, wie hier das Original auf den Kopf gestellt wird: die Musik ist etwas härter und chaotischer, während die Vocals diesmal cleaner sind. Das gibt dem Song nochmal eine ganz neue Richtung, die ebenfalls gut passt.

Nach sage und staune 17 Remixes bin ich von "Totmacher" echt positiv überrascht. Das ganze Konzept der Single klingt extrem gewagt. Eigentlich hätte ich erwartet, dass ich mir 1-2 gute Remixes rauspicke und den Rest ignoriere oder den Song danach sowas über habe, dass ich ihn mir nicht mehr anhören kann - oder beides. Stattdessen ist das Maß an Qualität und Abwechslung der Remixes so hoch, dass das Konzept voll aufgeht und ich mir beide CDs nicht nur wunderbar komplett anhören kann, sondern auch freiwillig für mehr zurück komme. Die meisten Bonus-CDs oder DJ Dwarfs, die immerhin eine größere Auswahl an Songs für Remixes haben, erreichen dieses Niveau nicht. Vielleicht bin aber auch nur ich das, weil ich a) den Song "Totmacher" sehr mag und b) doch sehr offen auch für die etwas speziellen Subgenres bin, die hier teilweise bedient werden, aber ich kann bis auf die nervigen Samples und ein paar eher durchschnittliche Remixes hier kaum was negatives finden. Wenn euch der Song gefällt, bekommt ihr hier auf jeden Fall eine riesige Auswahl an Versionen, in denen ihr ihn hören könnt.

Punkte: 8.5 / 10


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