Bevor wir uns anhören, was drauf ist, wäre es vielleicht ganz spannend, sich mal die beiden Projekte anzuschauen, die hier im Fokus stehen. Untoten waren damals ja sogar schonmal mit “Sperm Finger” auf der ersten “Dresscode Black” drauf. Seitdem hat sich dort einiges getan. 2002 hatten sie ihre Entwicklung hin zum Darkwave komplett abgeschlossen. Das heißt, dass man sich von Punk und Grindcore zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger komplett getrennt hat. Allerdings war das gleichzeitig auch noch die Zeit, bevor es Richtung schwarzer Schlager, Chanson etc. ging. Ich mochte bei den Untoten tatsächlich die Übergangsphase zwischen Grindcore und Darkwave am liebsten und dementsprechend kenne ich mich in der reinen Darkwave-Phase nicht mehr so gut aus, merke aber immer wieder, dass es sich doch mal lohnen könnte, dort rein zu hören.
David A. Lines zweites Projekt - Soko Friedhof - war damals relativ neu und hatte zum Zeitpunkt vom ersten “Dresscode Black” soweit ich weiß noch nicht mal existiert. Das dritte Album “Die Geschichte Eines Werwolfs” war zu Zeiten von “Dresscode Black II” entweder in der Mache oder gerade draußen und ansonsten war das hier noch so ziemlich die Anfangsphase der Soko, in der die Songs noch relativ simpel gestaltet waren, was man bei dieser Split manchmal gar nicht denken würde, da der eine oder andere Soko-Song für damalige Verhältnisse erstaunlich komplex daher kommt.
Das hört man zum Beispiel direkt am Opener “Soko Friedhof”. Ja, ich vergesse immer wieder, dass die Soko einen selbstbenannten Song hat und ich würde tatsächlich sagen, dass kaum ein anderer Song das Projekt derart gut auf den Punkt bringt. In den gut 6 Minuten haben wir wirklich alles: fette Beats, einfache, aber knackige Gitarrenriffs, Sprachsamples, Provokation und zwei Arten von Vocals, die beide von A. Line stammen und sich gut ergänzen: etwas tiefer und melodischer auf deutsch vs. schnell und aggressiv auf englisch. Fast schon schade, dass ein Song, der das Projekt so gut repräsentiert nur auf dieser Split erschienen ist. Die Qualität ist für damalige Verhältnisse ebenfalls recht gut und sogar ein gutes Stück besser als der durchschnittliche Song auf den ersten beiden Alben. Das wäre eher etwas, was ich auf “Blutrünstiges Mädchen” erwarten würde. Aber hey: so wird man hier wenigstens vom Opener direkt weg geballert.
Aber auch der erste Beitrag der Untoten kann sich hören lassen. Bei “Willst Du (Todesangst)” dachte ich immer, dass es damals auch auf einem Album erschienen ist, aber nein: es ist “Dresscode Black II”-exklusiv. Der Goth-Kitsch ist hier definitiv erstmal ziemlich überwältigend, aber musikalisch passt das Ding so gut, dass es mich nicht stört. Wir haben hier sehr kraftvolle Gitarren, ein ziemlich hohes Tempo und den perfekten Grad zwischen Power und Melodie, dass mir “Willst Du (Todesangst)” doch nochmal Bock macht, mich mehr mit der reinen Darkwave-Phase der Untoten zu beschäftigen.
Als nächstes haben wir wieder Soko Friedhof, diesmal mit “Perversion Bizarre” vom “Im Beichtstuhl Der Begierde”-Album. Das Ganze soll ein Remix sein, aber bis auf das minimal kürzere Intro fällt mir kein großer Unterschied auf. Vielleicht fehlt mir da irgendwie das musikalische Gehör, aber für mich bieten Original und Remix wirklich die gleiche Erfahrung. Dass hier einfach reguläre Songs auf der Split erscheinen, ist aber eh die Ausnahme und “Perversion Bizarre” ist definitiv ein Highlight der ersten Soko-Alben - quasi der große Hit, bevor “Blutrünstiges Mädchen” daherkam. Für mich ist “Perversion Bizarre” aber der Song, der besser gealtert ist, heute noch viel Spaß macht und auch gut auf “Dresscode Black II” passt.
Untoten kontern als nächstes mit einem eigenen Remix: “Die Out By The Sea”. Das Original stammt vom damals aktuellen “The Look Of Blasphemie” und klingt erstmal sehr trocken und träge. Dieser Remix ist ein gutes Stück tanzbarer als das Original und bietet auch wesentlich mehr Power. Hier wurde aus einem langweiligen Song, der mir wenig zusagt ein Remix gemacht, der sich für mich irgendwo zwischen ganz okay und ziemlich gut bewegt.
“Bluthexe” von Soko Friedhof erinnert dann doch wieder etwas mehr an die frühen Soko-Zeiten, als die Songs noch einfacher gestrickt waren. Auch hier haben wir sehr einfache Elektro-Sounds in Kombination mit fast schon eher gesprochenen Vocals, wie man es auf “Grabschönheiten” oder “Im Beichtstuhl Der Begierde” öfter zu hören bekommen hat. Interessanterweise wurden hier die gleichen gesprochenen Samples verwendet wie bei “Fliegengott”, was ungefähr um dieselbe Zeit herum erschienen ist. Und irgendwie wirkt “Bluthexe” auch wie eine Mischung unterschiedlicher verworfener Ideen für Songs der ersten drei Alben. So wie es hier zu hören ist, passt es zwar auf kein Album, klingt auf dieser Split aber gar nicht mal fehl am Platz. Dadurch, dass es so simpel ist, wird es aber schnell langweilig und mit 5 ½ Minuten geht es mir definitiv zu lange.
… ganz im Gegensatz zu “Henriette” von Untoten, welches musikalisch ebenfalls eher simpel gestrickt ist, aber auf eine charmante Art. Die schrammeligen Gitarren und der eher unsaubere Sound sind erstaunlich stimmig und auch das Tempo gefällt mir sehr gut. Leider ist allerdings nach nicht mal drei Minuten schon Feierabend.
“The Final Remorse” von Soko Friedhof überrascht dann wieder in jeder Hinsicht positiv. Die Kombination zwischen Musik und Vocals ist hier sehr interessant. David A. Lines Vocals sind hier weniger laut und chaotisch, sondern eher leise und verträumt. Musikalisch stehen dem fette Beats und und simple, aber wuchtige Elektro-Arrangements gegenüber. Man könnte meinen, dass sich das irgendwie beißt, aber nein: es ergänzt sich super.
Als nächstes hätten wir Untoten mit “Event (Evil) When I Fall”. Von dem blöden Titel mal abgesehen, steckt hier wieder ordentlich Power dahinter. Das ganze geht schon fast in eine leichte Punk- oder zumindest Goth Rock Richtung, ist dabei aber bis zum Schluss über knapp 5 Minuten ziemlich abwechslungsreich.
Dieses Mal dürfen Untoten gleich zweimal ran und legen mit “Opio Religio” direkt nach. Gesanglich ist das Ganze sehr spannend, denn neben den deutschen Lyrics, erinnern auch die Vocals stark an “Hab Keine Angst Veluzifer”-Zeiten. Musikalisch ist das Stück dagegen rein elektronisch unterwegs. Interessante Kombination, die hier aber ganz gut aufgeht.
Mit “Cannibali” von Soko Friedhof wird's dann ziemlich schräg. Hier hat man eher mal alles mögliche an Samples in den Mixer gepackt und sich daran ausgetobt, als einen Song zu schreiben. Nach 1 ½ Minuten ist der Spaß auch schon vorbei und ich muss sagen, dass es gar nicht mal unbedingt schlecht klingt, aber eher als Intro oder Interlude auf einem Album passen würde (zum Beispiel auf dem viel später erschienenen “Mondo Cannibale”) aber so ganz ohne Kontext wirkt es hier auf dem Sampler ziemlich verloren.
Richtig cool ist aber, dass Engelwerk sich hier nochmal blicken lassen. Engelwerk war für mich immer so ein Projekt, das ziemlich schwer greifbar war und bei dem man nie so wusste, was einen erwartet hat, wo die Qualität aber fast immer gestimmt hat. Da wirkt “Drones” als klassische Darkwave-Nummer fast schon konventionell. Allerdings muss ich sagen, dass ich hiervon wirklich angetan bin. Wir haben hier alles, was wir brauchen: Schrammelgitarren, eine eingängige Melodie und die passenden Vocals dazu - abgefuckt und verträumt zugleich. Irgendwie erinnert es auch an die damals langsam auslaufende Sonic Malade-Zeit mit all ihren Projekten und hätte so auch gut auf die erste “Dresscode Black” gepasst.
“Am Rande Der Raserei” ist zwar ein Song von Soko Friedhof, aber unter Beteiligung von Festival Der Geisteskranken - die perfekte Grundlage für ein absolutes Meisterwerk oder einfach nur ein großes WTF?. Es ist leider eher das zweite geworden. Vielleicht ist der Sprung zwischen dem großartigen “Drones” auch ein wenig zu groß, aber wenn einfach nur drei Minuten aggressiv scheinbar beliebige Sounds auf mich einhämmern und ich ständig die verzerrte Sprachpassage “Ich fühl mich wirklich wie’n Stück Fleisch.” in die Ohren geballert bekomme, dann ist das eher unangenehm zu hören. Vielleicht bin ich nicht High genug oder zu spießig, um diese Art von akustischer sexueller Psychose ausreichend wertschätzen zu können, aber “Am Rande Der Raserei” funktioniert für mich leider gar nicht.
Der letzte Beitrag von Soko Friedhof wäre dann das “Totenkopfmausgedicht” - so wie es auch auf “Die Geschichte Eines Werwolfs” zu hören ist. Ich sehe darin zwar überhaupt keinen Mehrwert für die Split, aber gleichzeitig tun die paar Sekunden Unterbrechung auch nicht unbedingt weh - erst recht nicht, wenn man sich gerade “Am Rande Der Raserei” gegeben hat.
Den Abschluss machen dann Untoten mit einer alternativen Version von “The Look Of Blasphemie” vom gleichnamigen Album. Obwohl der Song unglaublich poppig ist, mag ich ihn ganz gerne, da er wirklich super sanft in's Ohr geht. In dieser Version ist er noch ein wenig poppiger, tanzbarer und zugänglicher. Das wäre meiner Meinung nach zwar nicht nötig gewesen und er profitiert davon nicht so sehr wie “Die Out By The Sea”, aber es schadet auch nicht wirklich, sodass wir jetzt einfach eine zweite, ungefähr gleichwertige Version haben.
Die meiste Zeit funktioniert der Wechsel zwischen Untoten und Soko Friedhof sehr gut und beide Projekte ergänzen sich super, während sie trotz ihrer Unterschiedlichkeit immer einen roten Faden auf “Dresscode Black II” erkennen lassen. Das Ende wirkt dann mit den sehr schrägen Soko-Songs und dem poppigen “The Look Of Blasphemie” dann aber doch etwas unstimmig.
Insgesamt kann die Split aber gut bei mir punkten. Wir haben hier viel neues Material beider Projekte und einen letzten Song von Engelwerk, was auch größtenteils nicht nach B-Seiten klingt. “Dresscode Black” hatte vielleicht insgesamt mehr musikalische Vielfalt (und dafür eine erstaunlich stabile Qualität), aber Teil 2 hat dafür exklusiveres und durchdachtes Material. Für Fans der beiden Projekte ist “Dresscode Black II” mehr oder weniger ein Muss und selbst Leute, die damals weder Untoten noch Soko Friedhof kannten, hatten hier die Möglichkeit, beide Projekte auf einer CD anzuhören, welche sie beide in ihrer damaligen Form gut repräsentiert hat. Also auch für Neulinge geht die Split komplett in Ordnung. Hier und da wird mein Geschmack mal komplett verfehlt, aber insgesamt mag ich “Dresscode Black II” bis heute sehr gerne.
Punkte: 8 / 10