Seinerzeit hörte ich in Gestalt des Openers 'The Edge' nur ein einziges Hörbeispiel von TYR, das die Jungs auf ihrer Homepage zum Herunterladen anboten, und das war genug, um mich dazu zu bringen, noch in der selben Nacht beide Scheiben der Band quasi ungehört zu ordern. Selten hat mich das Hören nur eines Stückes derart in Euphorie hinsichtlich einer Gruppe versetzt, wie eben dieser geniale Einstieg von "Eric The Red". Das Stück arbeitet mit leicht doomigen Riffs, gigantischen Gitarrenharmonien, wunderschönen akustischen Motiven und Heri Joensens kristallklarem und völlig einzigartigem Gesang. Dazu treten epische Chöre im Refrain, progressive Arrangements und vielschichtige, unvergessliche Hooklines, die ihresgleichen suchen. Gesungen wird in Englisch und Färingisch, was dem Ganzen noch zusätzlichen Reiz verleiht. Besser kann man nicht in eine Scheibe einsteigen. 'Regin Smiður' erklingt dann komplett in Färingisch und gibt sich entsprechend folkloristischer. Schließlich basiert auch die Melodie auf einer alten Volksweise von den Schafsinseln. Der Text befasst sich natürlich mit dem Nibelungen-Schmid Regin. Mit 'Dreams' verlegen sich die Musiker wieder auf eigene Kompositionstalente und zelebrieren eine wunderschöne Halbballade mit sehr viel Tiefgang und unglaublicher Emotionalität in der Stimme.
Danach wird sich bei dem irischen Volkslied 'The Wild Rover' der eine oder andere verwundert die Ohren reiben, erkennt er doch darin die Melodie der unsäglichen deutschen Verballhornung 'An der Nordseeküste' wieder. Doch keine Sorge, auch dieses Stück hat bei TYR die nötige Würde und wirkt kein bisschen albern. Um eine erneut traditionelle Inselmelodie haben die Färinger sodann die Ode an den Steuermann 'Stýrisvølurin' gestrickt, die unglaublich mächtig und episch aus den Boxen klingt. Mächtigste Chöre krönen den Refrain dieses ebenfalls in der Muttersprache der Musiker verfassten Stückes. Das nächste metallisierte Volkslied 'Ólavur Riddararós' ist dann dynamischer und etwas beschwingter, ohne das epische Grundgerüst des TYR-Sounds zu sprengen.
Weiter geht es mit einer großartigen, doomigen Eigenkomposition namens 'Rainbow Warrior', bei der Heri erneut sehr viel Emotionen in den Gesang legt. Daran schließt sich mit 'Ramond Hin Unge' das letzte Volkslied an, das dieses Mal aus Dänemark stammt und folgerichtig in dänsicher Sprache gesungen wird. Toller mehrstimmiger Gesang und sehr fesselnde Akustikgitarren prägen den Anfang des Stückes, das durch das Hinzutreten der Stromgitarren eine gewaltige Dynamik entwickelt und dazu noch mit sehr anspruchsvollen Gitarrensoli glänzt. Abgeschlossen wird der reguläre Teil dieses Albums mit dem siebenminütigen Titelstück, das TYR noch einmal in ihrer ganzen Brillanz zeigt. Die wiederum in englischer Sprache gesungene Eigenkomposition ist das komplexeste und progressivste Stück der Scheibe, das sich in ausgedehnten, teils entrückten Instrumentalpassagen ergeht, dabei aber nicht auf zahlreiche eingängige Gesangsmelodien, große Chöre und fesselnde Hooks verzichtet, dazu aber auch noch richtige Tempoverschärfungen mit harten Riffs aufbieten kann.
Um es vollends kurz zu machen: "Eric The Red" ist aus meiner Sicht ein rundum perfektes Album, das auf unnachahmliche Weise die Eckpunkte Prog, Doom, Folk, Epic und Viking Metal zu einer komplett einzigartigen Synthese vereint, die ihresgleichen sucht und vermutlich niemals finden wird. Vorliegende Neuauflage bereichert ein ganz großes Werk noch um zwei der besten Stücke vom ebenfalls grandiosen Debütalbum "How Far To Asgard", so dass es für Freunde origineller und epischer Metalklänge eigentlich keine Ausrede geben kann, sich "Eric The Red" nicht zuzulegen. Muss man haben. Punkt.
Anspieltipps: Komplett alles, ohne Ausnahme.
Ursprünglich veröffentlicht unter:
http://www.powermetal.de/review/review-Tyr/Eric_The_Red__Re-Release_,7286.html
Punkte: 10 / 10