Mit verschiedenen Musikerinnen und Musikern spürt er den traditionellen orientalischen Klängen nach, nicht ohne in diese "Hommage à la Syrie" auch italienische, spanische und hebräische Motive mit einzubringen. Mit alten Saiten-, Blas- und Percussioninstrumenten sowie den häufig nach Klageliedern klingenden Stimmen von Frauen und Männern wird zwar kein gänzlich homogenes, doch sehr vielfältiges Stimmungsbild beschworen. Wenn man mag, kann man sich stellenweise auch an hiesige Mittelalterfeste erinnert fühlen; ohne die dort viel zu findenden Klamauk- und Tandaradeiaspekte. Denn hier ist der Hintergrund nicht nur ein ernster, sondern ein höchst katastrophaler: Der nicht nur drohende, sondern aktuell stattfindende Untergang einer vielfältig gewachsenen Kultur. Wir wollen ja nicht vergessen, dass sich auf dem Gebiet Syriens seit Jahren verschiedene Kämpfergruppen in unterschiedlich radikaler Gesinnung gegenseitig auszulöschen versuchen. Und die Glaubensfaschisten, die nun mehr und mehr die Oberhand in diesem nicht zu überblickenden Chaos zu gewinnen scheinen, werden von Musiktraditionen nichts übrig lassen. So etwas mag der Experte J. Savall geahnt haben, und das 430-seitige (!!) reich bebilderte Begleitbuch zur CD enthält denn auch einen mehrsprachigen Abriss der Geschichte Syriens. Kulturelle Blüte und Vernichtung wechseln sich seit mehreren Tausend Jahren ab. Es wird also wieder etwas Neues auch aus diesem Trümmer- und Blutgemisch entstehen. Ein Trost?
"Solidarische Musik und Texte gegen das Vergessen" benennt Savall seine Triebfeder für dieses hochinteressante Projekt.
"Orient-Occident II" ist in diesem Zusammenhang ein quasi in der Diaspora aufgenommenes bedeutendes musikhistorisches Tondokument, das mich auf eigentümliche Weise fesselt, ohne dass ich mich auch nur im entfernten als Hörer von Weltmusik bezeichnen würde. Und um mich über meine Musiksammlung heranzutasten, möchte ich abschließend sagen, reinhören kann sich lohnen für Leute, die Dead Can Dance, Orphaned Land, The Kordz und meinetwegen auch Nile - arg weit hergeholt - im Regal stehen haben. Kann, sagte ich. Das Interesse muss schon ein bisschen über die Musik der Genannten hinausgehen, aber das Interesse an orientalischen Einflüssen sind schon mal ein guter Ansatz. Freunde ernsthafter(er) Mittelaltermusik und Weltmusik tun sich dagegen sicher deutlich leichter. Das Al Andaluz Project käme der Sache durchaus nahe, wenn ich doch noch einen passenderen Vergleich nennen wollte.
Punkte: 8 / 10