Eisbrecher Schock (2015) - ein Review von DarkForrest

Eisbrecher: Schock - Cover
1
1 Review
8
8 Ratings
8.12
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Metal: Industrial Metal


DarkForrest
13.03.2022 07:08

2015 haben Eisbrecher mit "Schock" mittlerweile zum sechsten Mal die Eiszeit eingeleitet und nachdem mich "Die Hölle Muss Warten" drei Jahre zuvor ziemlich kalt (Höhö) gelassen hat, war "Schock" das erste Album, welches ich mir nicht blind zum Release gekauft habe. Ja, ich weiß: etwas unfair, dass das arme "Schock" von mir dafür abgestraft wurde, dass die Band meiner Meinung nach seit "Eiszeit" ziemlich abgebaut hat - und das Teilweise sogar zu Unrecht, denn von den etwas nervigen Entwicklungen, die auf den beiden Alben davor in Gang gesetzt wurden bzw. ziemlich stark präsent waren, ist auf "Schock" nicht mehr viel zu hören.

Was meine ich damit? Die beiden Vorgänger waren zunehmend poppig ausgerichtet. Vor allem "Die Hölle Muss Warten" hatte eine sehr begrenzte Auswahl an wirklich guten Songs und war ansonsten bestenfalls mit Fillern gespickt, schlimmstenfalls mit schmalzigen Pop-/Schlager Tracks, die mitunter schon wirklich unangenehm zu hören waren - man denke da nur an Titel wie "Die Engel", "Rette Mich" oder "Ein Leben Lang Unsterblich". Ich will da jetzt auch nicht zu sehr drüber pissen und es mag ja auch genau dafür eine Zielgruppe geben - den Verkaufszahlen nach zu urteilen sogar eine sehr breite. Aber mein Geschmack wurde damit leider um Längen verfehlt und statt einer Eiszeit habe ich mir erstmal eine längere Auszeit von der Band gegönnt, um dann drei Jahre später doch nochmal "Schock" eine Chance zu geben.

Auch hier hat sich mir gleich mal wieder die Frage nach der Version gestellt. Immerhin gibt es neben der langweiligen normalen Version unter anderem noch die 2016'er Tour Edition um die Fans zu ärgern, die sich das Album zum Release gekauft haben oder natürlich diverse Fanboy-Versionen mit Mütze oder Plüscheisbären, falls man sowas gebrauchen kann. Mir hat damals eine simple Digipack-Version gereicht, die aber immerhin einen Bonustrack beinhaltet und so wohl nur bei Media Markt oder Saturn zu kaufen gab (gut, dass es eBay gibt). Aber auch in der Basis-Version bekommt ihr 14 Tracks und eine Laufzeit von über 50 Minuten, was ganz ordentlich ist.

Schon beim ersten Hören fällt direkt auf: Soft ist "Schock" nicht gerade. Klar gibt es auch hier die eine oder andere poppige Nummer, aber insgesamt erreichen wir hier ähnliche Härtegrade wie damals auf "Sünde", was für NDH-Verhältnisse schon ziemlich Arsch tritt. Textlich schocken Eisbrecher hier aber niemanden. Im Gegenteil: bis auf wenige Ausnahmen ist alles nicht nur erstaunlich platt, sondern auch sehr harmlos und wenig originell. Immerhin muss man "Schock" zu Gute halten, dass es eine insgesamt positive und hoffnungsvolle Message verbreitet und gefühlt 50% der Songs drehen sich darum, dass es sich lohnt trotz Schwierigkeiten immer weiter zu kämpfen, zu seinen Schwächen zu stehen und nicht entmutigen zu lassen. Das ist ganz nett, aber weder aufsehenerregend noch etwas, was länger im Gedächtnis bleibt.

Den Anfang macht "Volle Kraft Voraus" und nicht nur der Titel klingt wie ein absolut typischer Eisbrecher-Opener. Vom Midtempo über das einfache aber eingängige Riff bis hin zu den etwas belanglosen Strophen, weil eh alles auf den hymnenhaften Refrain hinausläuft, ist im Prinzip alles dabei. Das ist soweit okay. Nicht so spannend wie "Kann Denn Liebe Sünde Sein" aber auch nicht so langweilig wie "Böse Mädchen" und sicherlich damals eine coole Art gewesen, Konzerte zu eröffnen. Ungünstigerweise kommt direkt danach "1000 Narben" - den Song, den wir schon von der Single kennen - ebenfalls Midtempo und mit sehr ähnlichen Eigenschaften ausgestattet wie "Volle Kraft Voraus", inklusive der besonders hohen Livetauglichkeit. Nicht unbedingt elegant, die beiden Songs gleich hintereinander zu platzieren, aber okay.

Beim Titeltrack gibt's dann wenigstens etwas mehr Einzigartigkeit zu bestaunen. "Schock" ist angenehm unkonventionell und düster. Nicht unbedingt schnell oder hart, insgesamt sogar recht melodisch, aber trotzdem kommt eine recht dunkle Atmosphäre rüber. Dazu kommt, dass der ganze Aufbau recht unerwartet ist. Die klassische Struktur aus Strophen und Refrain wird über Bord geworfen und der Song bricht unvermittelt ab. So ist "Schock" einer der wenigen Songs, die auf dem Album ein wenig hervorstechen können. "Zwischen Uns" wäre dann auch direkt das andere Highlight, welches mit einem ordentlichen Duett zwischen männlichen und weiblichen Vocals aufwarten kann und völlig zurecht eine eigene Single spendiert bekommen hat.

Die zweite Single wäre dann "Rot Wie Die Liebe" - ebenfalls ganz ordentlich. Auf den letzten beiden Alben waren Balladen eher mal ein kitschig-poppiger Alptraum, aber diese hier kann sich einigermaßen hören lassen, was vor allem daran liegt, dass sie relativ konsequent mit tiefer Stimme vorgetragen wird und musikalisch nicht ganz so schmalzig umgesetzt wurde wie der Titel vermuten lässt. Mit "Himmel, Arsch Und Zwirn" dürfen Eisbrecher dann ein wenig auf die Kacke hauen und ihre härtesten Riffs auspacken. Das Problem hierbei: die härtesten Songs von Eisbrecher sind oft eine etwas öde und trockene Angelegenheit. Härte alleine liegt der Truppe irgendwie nicht so ganz, wenn die Songs nicht zumindest ein bisschen melodisch sind. Ähnlich wie bei "Die Durch Die Hölle Gehen" oder "Amok" fehlt bei "Himmel, Arsch Und Zwirn" ein wenig der Flow, so dass das ganze etwas sperrig wird.

"Schlachtbank" dagegen finde ich besser als ich es eigentlich sollte. Eine rockige Powerballade, die wirklich ganz einfach gestrickt ist. Aber trotzdem: das Riff ist wenigstens ordentlich und bleibt hängen und kraftvoll genug klingt es aus. Kein Song für den ich mir Eisbrecher extra anmachen würde, aber wenn ich "Schock" am Stück durchlaufen lasse, dann ist "Schlachtbank" immer eine nette kleine Nummer für zwischendurch. "Dreizehn" ist einer der zahlreichen Songs auf "Schock", die ganz schön aufdrehen, aber auch zeigen, dass Alexx und Co an diesem Punkt langsam die Idee ausgehen. Ein gut mitsingbarer Song in dem gnadenlos dem Hedonismus bis hin zur Destruktivtät gefrönt wird, hatten wir damals mit "Willkommen Im Nichts" halt schon deutlich besser.

Auch "Unschuldsengel" klingt in der Theorie eigentlich nicht so geil: simple NDH-Kost, alles recht gleichförmig und kaum irgendwelche Alleinstellungsmerkmale. Allerdings profitiert der Song für mich sehr gut vom allgemein erhöhten Härtegrad auf "Schock" und die extrem kraftvolle Art wie das Ding hier abgeliefert wird reicht mir tatsächlich schon aus um meinen Spaß damit zu haben. Allerdings hat "Schock" dann doch auch noch richtig bekloppte Songs zu bieten. "Nachtfieber" ist da schon ein wenig peinlich. Dass poppige Nummern für die Tanzfläche bei Eisbrecher auch mal funktionieren können, konnte zwar damals mit "Gothkiller" gezeigt werden, aber das Ding hatte mit den englischen Lyrics, Guest-Vocals und der extra Prise Gothrock natürlich auch so einiges zu bieten, was es interessant gemacht hat. "Nachtfieber" hat das dagegen alles nicht und klingt extrem hohl.

Auch "Noch Zu Retten" (passender Name) macht die Sache dann leider nicht besser. Musikalisch klingt das ganze fast wie eine ältere Megaherz-Ballade, die noch nicht so ganz ausgereift ist. Vielleicht hätte sie mit Lex Wohnhaas oder gar Matthias Elsholz an den Vocals sogar besser geklungen. Gerade letztere Variante klingt jetzt sehr spezifisch, aber von der ganzen Stimmung her fühle ich mich tatsächlich an das Album "5" von Megaherz erinnert - nur eben mit einem Sänger, dessen Stimme einfach nicht zum Song passt. Da hilft auch die dezente weibliche Unterstützung gegen Ende nichts. "Fehler Machen Leute" schlägt dann wieder in die gleiche Kerbe wie "Himmel, Arsch Und Zwirn" - es gibt ordentlich Gas, ist sehr direkt aber mir einfach zu trocken und etwas unmelodisch. Kann man als Filler sicher stehen lassen, beeindruckt mich aber nicht.

Auch "Der Flieger" hätte mir jetzt nicht unbedingt gefehlt, wenn man es weggelassen hätte. Ähnlich wie "Noch Zu Retten" ist das hier eine erschreckend inhaltslose Halbballabe, die man gefühlt schon ein paar Mal woanders gehört hat. Im Gegensatz zu "Noch Zu Retten" klingt "Der Flieger" wenigstens deutlich mehr nach Eisbrecher und kommt insgesamt auch etwas kraftvoller daher.

Nach diesem recht anstrengenden Part gibt es immerhin noch ein ganz nettes Finale. "So Oder So" hat ein nettes Tempo und einen erstaunlich mitreißenden Refrain. Und falls man sich "Schock" im Saturn oder Media Markt gekauft hat, gibt es ja noch das Rheingold-Cover "Das Steht Dir Gut". Nachdem Eisbrecher ein Album später "Eisbär" gecovert und anschließend ein ganzes Coveralbum rausgebracht haben, wirkt ein NDW-Cover von den Jungs nicht mehr ganz so besonders, aber damals war das hier ein Novum für Eisbrecher und "Das Steht Dir Gut" ist wirklich gelungen. Ich bin jetzt kein großer Hörer von Neuer Deutscher Welle, aber das Gitarrenriff und die Vocals von Alexx tun dem Stück in meinen Ohren sehr gut - wobei der Gesang beim Original auch… naja, es ist halt NDW - muss man mögen. Dass Eisbrecher hier aber ein Cover kreiert haben, welches fast so klingt als wäre es von Anfang an ein Eisbrecher-Song gewesen, spricht natürlich auch sehr für die eigene Leistung. Fast schon seltsam, dass man diesen netten Abschluss als Bonustrack auf der Einzelhandelsversion versteckt.

Insgesamt finde ich "Schock" in Ordnung. Nachdem man sich jetzt zwei Alben lang einer poppigeren Ausrichtung angenähert hat, ist man mit "Schock" wieder auf den Stil von "Sünde" zurück gerudert. Das finde ich nicht schlecht, weil es einfach meinen persönlichen Geschmack eher trifft. Dadurch sind direkt mal einige Songs garantiert, die sich für mich einfach nur deswegen gut anhören lassen, weil sie ordentlich Power haben und natürlich handwerklich gut gemacht sind. Neue Ideen gibt es hier aber wenige. "Schock" und "Zwischen Uns" fallen mir hier spontan ein, der Rest vom Album ist aber auch ziemlich austauschbar. Vielleicht war so ein Album nötig, um wieder auf die richtige Spur zu kommen und nicht komplett in belanglosen Kitsch abzudriften. Auf Dauer hätten sich Eisbrecher damit aber nicht unbedingt durchmogeln können.

Punkte: 6.5 / 10


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