Im Gegensatz zu den ersten beiden Alben wurde "Sünde" nicht schon Monate zuvor mit diversen Singles gehyped. "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" kam ca. einen Monat vor dem Album raus und das war's dann auch schon. Und während ich die neueren Alben als recht zahm in Erinnerung habe, war die Band damals noch eher bereit zu provozieren. Die "Leider"-Single hat sich nicht nur recht intensiv mit selbstverletzendem Verhalten auseinander gesetzt, sondern gleich noch eine Fake-Rasierklinge mit dazu geliefert und "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" nimmt auch gerne in Kauf, den einen oder anderen zu schockieren. Wir haben hier nämlich kein Cover von Zarah Leander, sondern eher mal den Versuch die Grenzen der ursprünglichen Aussage noch etwas weiter auszudehnen und auf romantische Liebe mit Minderjährigen zu übertragen.
Das dürfte einige Leute angepisst haben. Ich störe mich dagegen eher an einer komplett anderen Grenze, die hier überschritten wurde: dass die Single nur drei Tracks hat, geht schon in Ordnung aber dass keiner davon exklusiv ist, ist dagegen schon ziemlich problematisch - jedenfalls für mich. "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" markiert irgendwie den Punkt, an dem Eisbrecher etwas faul mit ihren Singles geworden sind und gerne zwischendurch mal CDs raushauen, die einzig und allein dazu dienen, Vorfreude auf das kommende Album zu machen (wenn wir das mal maximal wohlwollend interpretieren). Natürlich kann man unterschiedlich zu dieser Release-Praxis stehen, aber ich bin kein großer Fan von CDs, die (wie hier) ziemlich genau einen Monat nach Erscheinen komplett überflüssig werden, sobald das Album draußen ist. Zumal ich dachte, dass der Remix von "Kann Denn Liebe Sünde Sein?" nur auf dieser Single enthalten sein wird, was für mich damals eigentlich der Selling-Point und Grund war, nicht einfach noch einen Monat bis zum Release des Albums zu warten.
Auf der anderen Seite muss ich auch anerkennen, dass sich hier niemand mit schrottigen Remixes oder obskuren Multimediatracks rumschlagen muss, die auf den beiden Singles zu "Antikörper" lediglich da waren, um die beiden Scheiben irgendwie voll zu bekommen. Für alle, die keine großen CD-Sammler sind, war es diesmal außerdem ganz praktisch, sich überhaupt nicht mit den Singles befassen zu müssen und trotzdem überhaupt nichts zu verpassen.
Damit ich hier nicht komplett darüber sinniere, ob es sinnvoll ist, solche Singles zu veröffentlichen, sollten wir uns die Single, um die es geht vielleicht auch mal näher anschauen. Ganz witzig ist der Look, der CD selbst. Sie ist komplett schwarz und von oben wie ein Vinyl bedruckt. Keine Ahnung warum, aber dieser Mini-Vinyl-Look ist irgendwie niedlich. 2 Songs sowie ein Remix vom "Sünde"-Album sollten damals die Wartezeit etwas verkürzen und immerhin: die Auswahl wurde ganz clever getroffen.
Als Opener hätten wir wie zu erwarten "Kann Denn Liebe Sünde Sein?". Zum Glück hört sich der Song nicht so an, als wäre er nur da, um im Vorfeld zu "Sünde" möglichst viele Schlagzeilen zu generieren. Nein, das Ding klingt mehr als ordentlich und hat neben dem provokanten Text ein sehr kerniges Gitarrenriff, ein paar sehr geschickte Tempowechsel, einen Refrain, der echt mitreißt und sogar einen dezenten Chor im Hintergrund zu bieten und repräsentiert dazu auch noch relativ gut den etwas härteren Stil von "Sünde" im Vergleich zu den anderen Eisbrecher-Alben. Keine Einwände hier von meiner Seite.
Der zweite Song "Herzdieb" gibt dagegen einen kleinen Einblick in die etwas softere Seite vom Album - ich betone: Für "Sünde"-Verhältnisse, denn auf "Die Hölle Muss Warten" wäre das wahrscheinlich noch vergleichsweise metallastig gewesen. 2008 wussten Eisbrecher allerdings noch wie man gute Balladen schreibt und setzten zwar insgesamt auf ein langsames Tempo und sehr gefühlvolle Vocals in den Strophen, steigern im Refrain aber die Intensität. Obwohl "Herzdieb" sehr melodisch ist, klingt es zu keinem Zeitpunkt platt oder oberflächlich und ist nicht nur auf "Sünde" eine willkommene Abwechslung im Tempo, sondern gibt auch hier einen ganz guten Kontrast zum Titelsong ab.
Als letztes hätten wir den [:SITD:]-Remix von "Kann Denn Liebe Sünde Sein?". Ein Aggrotech-Projekt dafür zu beauftragen klingt schonmal vielversprechend. Leider gingen meine Erwartungen in eine etwas andere Richtung als das tatsächliche Ergebnis. Geil wäre gewesen, den Song so richtig auseinander zu nehmen, ordentlich Aggrotech in die Einzelteile zu injizieren und etwas freier beim Zusammensetzen zu sein. Leider wurde hier (wie so oft bei NDH-Remixes) der sicherste Weg gewählt und die Grundstruktur mit allen Strophen und Refrains beibehalten, was die kreativen Möglichkeiten beim Basteln des Remix natürlich etwas einschränkt. Aber zum Glück verstehen [:SIDT:] ihr Handwerk und schaffen es trotzdem, der ganzen Nummer eine gewisse elektronische Schwere und Durchschlagskraft zu geben und locker etwas besseres zu zaubern als die beiden Versuche, aus "Vergissmeinnicht" irgendwas sinnvolles elektronische zu basteln. Trotzdem klingt der Remix durch seine Ähnlichkeit zum Original wie eine etwas schwächere Version von diesem.
Und damit wären wir durch. Eine Kaufempfehlung würde ich für absolut niemanden aussprechen, denn entweder seid ihr große Fans, die jede CD brauchen und habt die Single eh schon am Start oder ihr könnt sie ohne Bedenken einfach komplett überspringen und euch auf das Album konzentrieren. Das macht den Inhalt an sich allerdings nicht schlechter. Ein härterer Song, ein sanfterer Song und ein elektrolastiger Remix geben den perfekten Überblick über das Album, nichts klingt schlecht und bis auf die Tatsache, dass der Remix ein wenig hinter den Erwartungen zurückbleibt, habe ich an den Songs an sich nichts weiter auszusetzen. Ich würde sagen: sehr ordentliche aber überflüssige Single.
Punkte: 6.5 / 10