Sind wir mal ganz ehrlich: das Super Jewelcase sieht vielleicht noch ganz nett aus, aber weder das generische Cover noch das nicht vorhandene Booklet würden mich unbedingt zum Kauf motivieren. Fairerweise muss man sagen, dass die beiden Original-Alben jetzt auch nicht gerade viel zum drin rumblättern geboten haben, aber dieses Bundle wäre doch eigentlich eine nette Idee gewesen, um mal den Fans nicht nur was für die Ohren, sondern auch für die Augen zu bieten. So wirkt das ganze optisch etwas lieblos. Aber na gut - was steckt denn in "Contaminacion Armonica" drin? Im Prinzip bekommt ihr hier zwei CDs mit jeweils einem Album in vollständiger Form. Der Grund, warum ich das Teil allerdings überhaupt bei mir im Regal stehen habe sind 6 Bonustracks (3 auf jeder CD), welche auf den regulären Alben nicht drauf sind.
Man ist zwar nicht so weit gegangen, unveröffentlichtes Material auszugraben oder sogar neue Songs aufzunehmen, aber Dulce Liquido war zwischendurch auch mal auf dem einen oder anderen Sampler vertreten und diese Tracks wurden dann eben hier zusammengetragen. Auch das dürfte mit einem überschaubaren Aufwand verbunden gewesen sein, aber gut: da ich wirklich keinen Bock gehabt hätte, mir die einzelnen Songs über irgendwelche Sampler zusammen zu klauben, ist es tatsächlich ganz schön, sie hier mal in gesammelter Form zu haben.
Fangen wir mit CD 1 an: nachdem "Disolución" mit all seinen Stärken und Schwächen einmal durchgelaufen ist, lächelt uns der erste Bonustrack "The Dark Taste Of Hate" an. Damals auf "Awake The Machines Vol. 2" aus dem Jahr 1999 erschienen wäre das auch gleichzeitig der älteste Track, den ich bis jetzt von Dulce Liquido finden konnte. Das kurze Keyboard-Intro klingt fast schon ungewöhnlich kitschig, bis dann der eigentliche Song startet und dieser ist mit seinen knapp 7 Minuten ordentlich lang und vergleichsweise komplex. Von den 6 "neuen" Songs auch der einzige mit Vocals. Diese klingen leider relativ schwach und auch der Rest des Tracks schreit an vielen Stellen nach einer besseren Produktion, so dass ich erstaunt bin, wie viel sich da in dem einen Jahr bis "Disolución" getan zu haben scheint. Ganz nett geschrieben ist "The Dark Taste Of Hate" aber trotzdem und auch wenn ich darin nicht so richtig tief abtauchen kann, kann ich ihn mir ganz gut auch mehr als einmal geben.
"Algorithm" stammt vom "Machineries Of Joy"-Sampler und ist das beste Beispiel dafür, warum ich "The Dark Taste Of Hate" vergleichsweise komplex fand. Hier wird noch richtig Minimalismus zelebriert so wie wir das von Dulce Liquido auch kennen, wobei "Algorithm" da echt ziemlich hart ist. Gut eine Minute lang bekommt ihr erstmal außer einem ganz einfachen, sich nicht verändernden Rhythmus fast gar nichts. Nach und nach baut sich der Song dann langsam auf und die Betonung liegt dabei auf laaaangsam. Das Ergebnis ist ein 7:37 Minuten langes Ungetüm, von dem so etwa knapp die Hälfte wie ein richtig netter Song klingt und am Ende weiß ich nicht wie ich das finden soll. Ich mag das Gimmick, dass Songs sich ganz dezent weiterentwickeln und sich am Ende alles wunderbar zusammenfügt , was Agroyam auch wirklich perfektioniert hat, schon ganz gerne, aber "Algorithm" ist in dieser Hinsicht schon echt extrem.
"Reaxxxion" ist dann einer von drei Songs, die auf "Industrial For The Masses" erschienen sind und es macht sich ziemlich schnell eine Qualitätssteigerung bemerkbar. Trotz fehlender Vocals ist das Ding durchaus abwechslungsreich und treibt ordentlich und das diesmal auch schon von Anfang an. Schön auch, dass hier Sprachsamples ganz sinnvoll in die Musik eingeflochten wurden, was man bei Dulce Liquido eher selten zu hören bekommt.
Weiter geht's mit CD 2: hier gibt's einmal "Shock Therapy" in voller Länge. Der Hidden-Track ist ebenfalls mit dabei, aber jetzt nicht mehr ganz so hidden, sondern als "Untitled" mit aufgelistet (irgendwie niedlich - man hätte sich ja zumindest schnell noch einen Namen ausdenken können). Danach geht's dann weiter mit den anderen beiden Tracks von "Industrial For The Masses". Den Anfang macht "Spectral Sound", welches uns mit einem sehr treibenden Beat verwöhnt, der sich durch den ganzen Song zieht und durch allerhand weitere Effekte aufgewertet wird. So ziemlich genau das hat mir damals schon bei "Psicosis" sehr gefallen und hier haben wir das ganze quasi auf Steroiden - sehr gute Arbeit.
Das gilt auch für "Difraktal Point", welches ein bisschen mehr auf Ambient-Sounds setzt, dadurch sehr atmosphärisch und düster wird, aber dabei trotzdem genug Feuer hat, um für ordentlich Action zu sorgen.
Den Abschluss macht "Psychoanalytic" von "Industrial For The Masses Vol. 2" aus dem Jahr 2004 und damit der neueste Song von Dulce Liquido, den wir hier haben. Wenn wir uns den Sampler noch näher anschauen, dann können wir sogar sehen, dass dort noch ein zweiter Track von Dulce Liquido namens "Misantrophy" drauf ist. Ey! Wollt ihr mir etwa sagen, dass der nicht mehr auf "Contaminacion Armonica" draufgepasst hätte? "Psychoanalytic" klingt wie eine etwas ruhigere Mischung aus den letzten beiden Tracks und hätte in der Form ganz gut auf "Shock Therapy" gepasst, nur dass es dort von der Abmischung (die ist hier nämlich klasse) her nochmal besonders positiv aufgefallen wäre.
So, damit sind wir einmal durch und da pro CD offenbar nur drei Bonustracks erlaubt sind, finde ich es direkt schade, dass unter dem Projekt nicht noch 1-2 andere Alben entstanden sind, denn wir wären eigentlich noch lange nicht fertig mit den Samplerbeiträgen. Dulce Liquido war bis 2012 immer mal wieder auf Samplern vertreten - zu einem guten Teil mit Songs, die eben nicht auf den Alben erschienen sind. Aber Out Of Line war das offenbar egal, sodass sie mitten in "Industrial For The Masses Vol. 2" einfach einen Cut gemacht haben. Es scheint auch kein festes Kriterium zu geben, welche Songs mit drauf durften und welche nicht, außer das Alter - bis einschließlich "Psychoanalytic" ist alles dabei, danach einfach nichts mehr.
Das macht "Contaminacion Armonica" zu einer seltsamen Angelegenheit. Am Ende ist das ganze Teil eine sehr umfangreiche Zusammenstellung mit über 2 ½ Stunden Laufzeit. Das ist nicht nur ganz ordentlich, sondern ersetzt auch ganz wunderbar die einzelnen Alben. Falls ihr sie noch nicht habt, könnt ihr euch einfach "Contaminacion Armonica" und habt damit direkt alles, was ihr braucht und noch ein paar nette Bonussongs, deren Qualität zwar schwankt, insgesamt aber ziemlich hoch angesetzt ist. Alleine "Spectral Sound" oder "Difraktal Point" können sich locker mit den Highlights der Alben messen.
Auf der anderen Seite wirkt alles ein wenig lieblos. "Contaminacion Armonica" ist in jeder Hinsicht eine reine Zusammenstellung von Songs und Alben ohne irgendetwas wirklich neues beitragen zu können in einer sehr trockenen Präsentation. Das Ganze ist zwar umfangreich aber noch lange nicht vollständig. Ich verstehe nicht ganz, warum man nicht einfach eine dritte CD mit allen Samplertracks mit drauf gepackt hat - dann hätte dieses Bundle seinen Zweck auch voll erfüllt.
Falls ihr je damit liebäugelt, euch eine CD von Dulce Liquido zuzulegen, wäre das hier wahrscheinlich die beste Wahl, da ihr hier sehr schnell und unkompliziert die geballte Ladung EBM/Industrial bekommt und das immer noch besser als wenn ihr sie euch einzeln holen würdet. Bei einem Bundle knapp zehn Jahre nach Erscheinen des letzten Albums hätte ich mir aber mehr erwartet. Vollständig, bessere Gestaltung von Cover und Booklet, vielleicht sogar unveröffentlichtes Material oder zumindest neue Mixes - aber nö! Dann muss eben das hier reichen.
Punkte: 6 / 10