DOTA Wo Soll Ich Suchen (2013) - ein Review von President Fruitley

DOTA: Wo Soll Ich Suchen - Cover
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1 Review
2
2 Ratings
9.25
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Singer / Songwriter / Liedermacher


President Fruitley
04.09.2013 21:26

Auf einem Konzert von Dota Kehr bekommt man von ihr meistens zu hören, dass ihre Lieder entweder traurig oder beängstigend seien. Auf einem Konzert von Dota Kehr bekommt man außerdem oft Lieder zu hören, welche sich auf keinem Album befinden. Manches Werk ist nur wenige Wochen alt und hat noch keinen Anfang und kein Ende. Andere Stücke trägt sie über Jahre im Liverepertorie mit sich herum bis sie endlich auch aus der Konserve zugänglich gemacht werden. Das ist, auch wenn ich die Intention nicht unterstellen möchte, garkeine schlechte Taktik Leute wiederholt in die Konzerte zu locken. Für Menschen, die sie in aller Regelmäßigkeit live erleben, ist ein neues Studioalbum von Dota eine Begegnung mit einigen neuen, aber auch einigen bereits gehörten Liedern in einem neuen Gewand.

Was auffällt ist, wieviel Liebe zum Detail, zum perfekten Arrangement im ganzen Album steckt. Man hört es vom Anfang bis zum Ende und denkt, ja, es passt alles zusammen. Es fehlt nichts, und selbst die Streicher- und Bläserarrangements erdrücken nie das eigentliche Lied. Auf die Spitze getrieben wird das in 'Konfetti', einem Lied, welches weder traurig noch beängstigend ist, sondern genau das aktiv zu verhindern versucht.

"So stell ich es mir vor, ich seil mich ab,
ich spring die letzten Meter,
weil das Drahtseil nicht reicht.
Kein Kränze, keine Kerzen, nur
Konfetti. Und bitte sorg dafür, dass
sie João Bosco spielen,
dann gibt ́s Schnaps und großen
Schmaus. Schnaps und großen
Schmaus."

Der politische Moment fehlt auf keinem Album von Dota, so auch hier nicht. Die Themen sind aber weniger plakativ verpackt als auf dem Vorgängeralbum Bis auf den Grund. Dort gab es das Lied 'Utopie' über Wut, hier gibt es 'Das Wesen der Glut' über den Zorn. Während 'Utopie' sich sehr direkt an die Zuhörer wendet und sie nahezu zum „Ich habe viel zu viel Ärger, und viel zu wenig Wut“-Mantra animiert, ist 'Das Wesen der Glut' eher zurückhaltend in seiner Umsetzung und thematisiert als Swing despotische Unterdrückungsversuche. Wir denken im Jahr 2013 zwangsläufig an die gewaltsame Räumung und Sperrung des Gezi-Parks. Die Glut findet sich als Motiv bereits in 'Warten auf Wind', einem drängenden Lied über den letzten Funken des Antriebs, der oft nötig ist, damit man sich überwindet.

'Nicht messen' hat mit seiner textlichen Direktheit Seltenheitswert auf dem Album. Es ist ein ruhiger, aber bestimmter Protest gegen den ewigen Vergleich im Leben. Auch wenn man das nicht gerne auf sich selbst beziehen möchte, hinterlässt das Lied doch eine gewisse selbstkritische Haltung, denn wie so oft kann zwischen Anspruch und Realität eine große Lücke sein. Sollte sich bei einigen Hörern ein leises 'nicht vergleichen, nicht vergleichen' penetrant im Gehirn festsetzen, hat das Lied etwas erreicht.

"Als ging es nur um Ziele und sie zu erreichen,
der Anfang des Unglücks wäre sich zu vergleichen,
das weiß jeder, ahnt jeder, trotzdem der Wettstreit,
was machst Du aus Deiner Zeit?"

Diverse Wetterphänomene spielen auf dem Album eine Rolle. Das mag langweilig klingen, fügt aber alles auf ganz wunderbare Weise zusammen, zumal jene nicht der Zweck, sondern nur das Mittel sind um Gedanken auszudrücken. Schon im ersten Lied des Album, 'Hoch oben', dienen Wind und Regen als literarische Mittel für einen berührenden Text über das Loslassen müssen. Sie hat recht, es ist wohl oft wie beim Drachen steigen lassen.

"Wir sind auf den Teufelsberg gestiegen, ich lauf
los, nur ein paar Schritte. Es gelingt und der
Drachen fliegt und zieht ungestüm.
Und natürlich kann man fragen, was das Drachen-
steigen bringt, man steht nur rum und hält die
Schnur, aber die Seele fliegt mit ihm.

[..]

Du hast Flügel an den Füßen und den Schelm in
Deinem Blick und musst alleine auf die Reise.
Ich steh am Fenster, sehe Dir nach, schau zu
den Wolken und zurück mit einem Stück Schnur in
der Hand seltsamerweise."

Hier haben wir wieder den liebgewonnenen Verweis auf Berlin, wie auch schon z.B. in den älteren Liedern 'Kanal' oder 'Ö.P.N.V.', der einem Teil der Adressaten hilft ein konkretes Bild im Kopf zu haben. Als Anfang des Albums erinnert 'Hoch oben' schon ein wenig an 'Transparent', dem Anfang von Bis auf den Grund.

In der Mitte des Albums findet sich das kurze Stück 'Zwei Falter'. Es wirkt wie ein Textfragment, welches eigentlich kein Lied sein wollte, sondern eher ein achtzeiliges Gedicht. Gesprochen hätte diese kleine Naturbeobachtung auch gut an die Stelle gepasst, wohl aber den Fluss des Albums gestört. Ganz ähnlich ist 'Licht' aufgebaut. Es ist ebenfalls eine detaillierte Naturbeobachtung, in dem Fall über die Brechung des Lichts im Wasser. Die Fische bekommen noch ein bisschen ab, und dann verschwindet das Licht im Nichts.Das Lied wird vor allem durch die Melancholie in der Stimme getragen. Vielleicht ist das der einzige Grund für seine Existenz – der Ausdruck einer Melancholie aufgrund der Endlichkeit, selbst von Licht.

Der kryptischste Text des Albums ist 'Stadt am Meer'. Man muss dazu sagen, im Booklet ist neben dem Text ein Bild von schlechter Qualität (also das Bild, nicht das Booklet) abgedruckt, welches ich im ersten Moment mit der Explosion in Fukushima assoziieren würde. Im Lied geht es dann allerdings um die Vorstellung, alle Bewohner einer großen Stadt hätten über Nacht die Koffer gepackt und seien gegangen – und am nächsten Morgen wacht die erzählende Person auf und ist alleine. Die Natur erobert die Stadt zurück und sie hat als einzige Freunde die Tiere, die sich dann die Stadt als Lebensraum zurückholen. Am Ende verlässt sie endlich selbst die Stadt. Die Betonung liegt auf dem großen zeitlichen Abstand zwischen dem Verschwinden aller Menschen und dem Aufbruch des Protagonisten. Hier bleibt viel Spielraum für die eigene Interpretation, oder einfach die Möglichkeit das ohne Urteil auf sich wirken zu lassen. Zu 'Stadt am Meer' passt das Lied 'Rauschen'. Dieses Mal sind zwar andere Menschen und jede Menge Möglichkeiten vorhanden, doch es kann alles durch eine tiefe innere Leere nicht mehr wahrgenommen werden. Ursache für diesen Zustand sei ein mit Mühe erlegtes Monster und das Fehlen desselben. Es ist der mit Abstand depressivste Text des Albums, denn egal welche Dämonen besiegt wurden; sie waren das einzige was das Leben überhaupt mit Inhalt gefüllt hat.

"Ich taste im Dunkeln, obwohl es nichts verheißt,
in dieser Geisterstadt nicht ein Monster mehr, das mich beißt.
Ich schau durch fremde Fenster, Leute reden, sie lachen, es lärmt,
es geht um Drachen und Monster, für mich ist alles gleich weit entfernt."

Ähnlich diffus bleibt das Titelstück 'Wo soll ich suchen'. Erneut dienen Bilder aus der Natur zur Beschreibung des Gemütszustandes. Was gesucht wird bleibt offen, es läge nahe eine Suche nach Glück im Allgemeinen zu interpretieren, aber man kann es auch ganz einfach offen lassen bzw. den Fokus auf das beschrieben Sicherheitsbedürfnis und das Zögern bei der Suche legen. Das Diffuse, Bedrückende wird wunderbar durch das Arrangement untermalt, inkl. Bratschensolo zum Schluss. 'Im Tausch' bietet eine Sicht auf zwischenmenschliche Nähe, in welcher gegeben wird ohne etwas zu erwarten. Bei dem Text fiel mir direkt das das gegensätzliche behauptende Lied 'Liebe ist ein Tauschgeschäft' von Bernadette LaHengst ein. Wie man es auch dreht und wendet, vielleicht ist ja der Tauschhandel einfach nicht so direkt wie beim, nunja, normalen Tauschhandel, aber letztendlich doch vorhanden. Wer begnügt sich schon langfristig damit immer nur zu geben.

"Manchmal sieht so es aus, doch dann
trügt nur der Schein.
Ich weiß. Es gibt nichts im Tausch.
Und was wird aus uns, wenn nicht?
Irgendwann endet der Rausch.
Dann bleibt alles beim Alten, man kann
eh nichts behalten,
man gibt es weiter und es gibt nichts
im Tausch."

Ein Teil der Lieder ist schon etliche Male auf Konzerten dargeboten wurden, eines davon ist 'Sommer'. An dieser Stelle muss ich sagen, sie spielt es ungefähr seit Anfang 2010 (?), und es ist in der langen Zeit mein Lieblingslied von Dota geworden. Das sind drei Jahre, in denen es ausschließlich live zu hören war. Jetzt eine Konserve davon zu haben, noch dazu eine gelungene Umsetzung als Studioversion, ist ein sehr besonderer Umstand. Für mich vereint das Lied alles wundervolle, was auf dem Album geboten wird. Es ist, für mich, eines der besten deutschsprachigen Lieder überhaupt, deswegen finde ich es schwer hier in wenigen Zeilen adäquat darüber zu schreiben, oder überhaupt darüber zu schreiben. Ich lasse es einfach und überlasse es anderen Worte dazu zu verlieren. Stattdessen verliere ich eben jene lieber noch über das letzte Lied des Albums – 'Risse'. Es ist ebenfalls ganz wundervoll und 'Bis auf den Grund' nicht ganz unähnlich. Der Verlust und die Frage nach dem warum stehen im Mittelpunkt. Ratlosigkeit, Fehlersuche und der Gedanke, ob Glück nicht nur aus der Ferne existiere. Dota schafft es auf mysteriöse Art solche Texte nie kitschig oder oberflächlich werden zu lassen. Das ist unter den gegenwärtigen popmusikalischen Textern fast ein Alleinstellungsmerkmal. Warum sie in der Lage ist solch großartige Lieder zu verfassen weiß ich nicht, aber ich bin froh dass sie es regelmäßig tut. Das Album weist Parallelen zu älteren Alben auf, insbesondere zu Bis auf den Grund, ist aber eine erneute musikalische sowie lyrische Steigerung, was ich für schwer möglich gehalten hätte.

"Es sind viele Fahrräder da.
und badende Nymphen im Teich
im Körbchenbikini und jeder Tagtraum
ist mückenstichreich.
Es riecht nach Schlamm und nach Pommes,
im Imbiss am Boden nach Ost-PVC
und mit Gras in den Kniekehlen
verbringen wir den Tag am See.
Es gibt Limonade mit Wespen und dich und mich
und für jeden ein Eis.
Und selbst mit nassen Haaren ist es noch heiß.

Ich hab noch Platz auf dem Handtuch
und Du bist für die Wahrheit zu schön.
Komm, öffne die Augen und ich zähle bis zehn.
Die Sonne wird das letzte sein, was wir sehen.
Komm, lass Dich blenden! Lass Dich blenden!

[…]

Der Tag zieht noch lange auf seinen Schwingen dahin.
Wir rücken Stück für Stück weiter, immer wenn ich im Schatten bin.
Ich trag die Sonne auf den Schultern. Und den
Sommer unter den Nägeln mit nach Haus.
Im letzten Licht gehen die anderen schon voraus.
Vier Füße in Turnschuhen auf der
Umgehungsstraße bei wenig Verkehr.
Und ich will nie wieder glauben, Glück
sei irgendwie anders und irgendwie mehr.
So kann ́s gar nicht bleiben
Denn Du bist für die Wahrheit zu schön.
Ich schließe die Augen und zähle bis zehn.
So behalt ich Dein Bild, so will ich
dich immer sehen.
Und lass mich blenden."

- 'Sommer'

Erstveröffentlichung: http://www.tantepop.de/2013/08/dota-wo-soll-ich-suchen.html

Punkte: 10 / 10


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