Dioxyde Social Phobia (2006) - ein Review von DarkForrest

Dioxyde: Social Phobia - Cover
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8.00
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Dark Wave / Gothic: EBM, Industrial


DarkForrest
15.08.2020 22:34

Das spanische Elektroprojekt Dioxyde hat es leider gerade mal auf zwei Alben gebracht + noch eine EP, die leider so selten ist, dass ich sie noch nicht in die Finger bekommen konnte. Von den beiden Alben dürfte das 2006 erschienene "Social Phobia" das deutlich bekanntere sein. Zumindest kurz nach Release war der eine oder andere Song davon eine Zeit in den schwarze Szene Clubs zu hören und so bin auch ich drauf gestoßen.

Ich habe mir die beiden Alben quasi in umgekehrter Reihenfolge zugelegt und gehört, wobei ich bei "Social Phobia" sehr an den 2-3 Song hängen geblieben bin, die ich so von der Tanzfläche kannte, während ich den Erstling "Torschlüsspanik" eher als Gesamtkunstwerk genossen habe. Am Ende klingen beide Alben doch auch recht unterschiedlich, obwohl auch einige Elemente von "Torschlüsspanik" auf "Social Phobia" überlebt haben. Zuerst einmal scheint Dioxyde nachdem Carlos Ruiz ausgetreten ist, sich mehr oder minder zu einem Ein-Mann-Projekt von Marco Calvo entwickelt zu haben.

Der größte Unterschied dürfte aber wohl musikalischer Natur sein. "Torschlüsspanik" war wirklich sehr minimalistisch aufgebaut, nicht unbedingt leicht zugänglich, aber wenn man erstmal mit den etwas eigenwilligen Klängen infiziert war, dann hat sich einem ein angenehm verstörender Industrial - Alptraum eröffnet, der einen so schnell nicht mehr losgelassen hat. "Social Phobia" wirkt etwas konventioneller. Wo vorher der Großteil der Tracks aus Instrumentals bestanden hat, dominieren jetzt die Vocals von Calvo. Lediglich ein Song kommt hier ganz ohne Gesang aus. Dafür wurden die Vocals aber auch ordentlich aufgemotzt. Das war auch nötig, denn auf "Torschlüsspanik" kamen sie nie besonders stark daher und haben sich ganz dezent in's Klangbild eingefügt. Jetzt punchen sie ordentlich.
Ansonsten würde ich sagen, dass alles ein wenig tanzbarer geworden ist. Wer Agonoize, Feindflug oder Hoccico mag, den dürfte auch "Social Phobia" ohne weiteres auf die Tanzfläche locken.

Spannend bleibt natürlich, wie sich das auf die einzelnen Songs auswirkt. Nun, im Inlay der CD werde ich aufgefordert: "Play at insane Volume" und da ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn eh überschätzt wird, bin ich dem doch mal direkt nachgekommen. Dass man doch eine gewisse eigene Handschrift behalten hat, lässt sich direkt schon an "Helpless [Intro Mission]" heraushören. Denn ganz ähnlich wie bei "Acto Primero [Intro Mission]" auf dem Vorgänger bekommen wir weder ein Intro noch einen vollwertigen Song, sondern eher eine kurze Einführung in das Album zu hören, welche sehr gut zusammenfasst, was uns die nächste Stunde so erwarten wird. Wirklich: so ziemlich jeder einzelne Punkt könnte stellvertretend für das Album sein. Wir hören eine sehr emotionale Szene aus dem Film "21 Grams" mit Naomi Watts und ein paar recht simple, aber doch ganz eingängige Elektroparts, wobei alles etwas wuchtige und mehr nach "auf die Fresse" klingt als in "Acto Primo". Für mich sehr gelungen, denn wenn der erste Song das Album so gut repräsentiert, dann hat man doch irgendwas richtig gemacht.

"Words Of Judas" erinnert mit seinen fast schon Ambient - Klängen und dem spanischen Geflüster in der ersten Minute noch sehr an "Torschlüsspanik" aber spätestens sobald die Vocals einsetzen stellt sich raus, dass wir es hier mit einem ziemlich eingängigen Industrial - Ohrwurm zu tun haben. Gefällt mir sehr gut, denn er nutzt sich nicht so schnell ab und wird auch recht gekonnt zusammengebastelt. "Morphine [Chemo Remix]" setzt eher stampfende Beats im etwas langsameren Tempo. Hat ein bisschen gedauert, aber mittlerweile weiß ich das Stück sehr zu schätzen, weil es ganz gut eine beklemmende Stimmung mit der Lust dazu abzutanzen kombiniert.

Direkt begeistern konnte mich dagegen "Vida Rota": komplett spanische Lyrics, ordentliches Tempo und musikalisches Dauerfeuer - genau mein Ding. "Cae La Presión" haut dagegen für mich nicht so gut hin und wirkt etwas unharmonisch, wenn nicht sogar schon leicht sperrig. Gerade die Vocals drängen sich mir hier zu sehr in den Vordergrund, sind dann aber doch zu repetetiv, als dass sie die Nummer in der Form für mich ordentlich tragen.

Mit "Aftermath" haben wir dann das einzige Instrumental auf "Social Phobia" erreicht und ich kann mich kaum erinnern, dass mich ein Song gleichzeitig so angezogen und abgestoßen hat. Musikalisch ist das Ding wirklich top. Stellt euch eine ordentlich unheilvolle Klangkulisse im Stil von "Torschlüsspanik" vor, nur noch besser abgerundet und krasser produziert - 1A Qualität. Die Samples schießen für mich aber übers Ziel hinaus. Ich bin mir nicht ganz sicher, aus welchem Film sie stammen, würde aber mit großer Sicherheit auf die Vergewaltigungsszene aus "Irreversible" tippen. Die ist an sich schon mehr als schwer anzuschauen und ich weiß nicht, ob ich sie überhaupt als Sample in 'nem Song brauche, aber das Schreien, Wimmern, Würgen und Röcheln ist hier die ganze Zeit über einfach derart präsent, dass es echt unangenehm wird, mir das anzuhören. Ich will mich gar nicht unbedingt darüber beklagen, dass sowas musikalisch verarbeitet wird - haut von mir aus jeden kranken Scheiß rein - aber gleichzeitig frage ich mich auch, wer sich sowas in der Form gerne anhören mag.

Komplett ohne Vorwarnung wird "Social Phobia" dann aber auf einmal richtig geil: "Invasive Therapy" steht an - einer der Songs, weshalb ich mir das Album überhaupt zugelegt habe. Für mich wirklich einer der Clubsongs schlechthin - tanzbar ohne Ende, aber mit genug Wiedererkennungswert, um überhaupt nicht generisch zu klingen. "11 M" lässt am Anfang mal wieder etwas "Torschlüsspanik" durchblicken. In den ersten 1 ½ Minuten bekommen wir alle möglichen seltsamen Klänge serviert, bis hin zu Marschmusik und trotzdem passt alles irgendwie zusammen. Das hätte man ohne weiteres auch 6 Minuten so laufen lassen können und ich hätte es gemocht, stattdessen gibt's einen kleinen Bruch und wir haben auf einmal eine ziemliche Standard - Industrialnummer. Das ist so immer noch okay, aber leider auch einer der Momente, in denen Dioxyde auf "Social Phobia" sich nicht mehr ganz so gut vom Rest der vielen, vielen Konkurrenzprojekte abhebt.

"Money Trail" wirkt da schon eigenständiger und in der Umsetzung auch hochwertiger. Dazu schwinge ich doch gerne das Tanzbein. Wirklich ungeschlagen bleibt wenn es um Innovation geht aber "Geist", welches nicht nur komplett deutsche Lyrics hat, sondern für so ein Industrialstück auch eigenartig verträumt daherkommt. Genau von solchen Songs hätte das damals doch manchmal etwas monotone Genre eindeutig mehr gebrauchen können.

Ganz wie auf "Torschlüsspanik" gibt's zum Ende noch den einen oder anderen Remix als nette Beilage. Zuerst versuchen sich Tactical Sekt an "Cae La Presión" und beheben so ziemlich das, was mich immer an dem Song gestört hat. So fügen sich die Vocals jetzt mehr in den Hintergrund, während die einzelnen musikalischen Elemente herausgehoben werden. Wirklich klasse ist das ganze sicher immer noch nicht - dafür gibt der Song wohl einfach zu wenig her - aber eine deutliche Verbesserung zum Original.
Als nächstes dürfen Agonoize "Invasive Therapy" remixen und was soll ich sagen: sie haben es nicht versaut. Da ich Agonoize als sehr fähige Remixer kenne, wundert mich das nur bedingt, aber dass der Remix sogar fast schon mit dem Original mithalten kann, verdient trotzdem meinen Respekt.
Ziemlich schwer machen es sich Feindflug, denn "Vida Rota" wäre jetzt nicht gerade meine erste Wahl als Grundlage für einen Remix gewesen, aber entgegen aller Erwartungen können Tempo und Härte hier sogar noch deutlich gesteigert werden. Ich bevorzuge zwar das Original, aber wenn's mal wieder etwas mehr knallen soll, dann kann sich auch dieser Remix durchaus hören lassen.

Und damit wären wir auch durch. Gar nicht mal so einfach, "Social Phobia" mit "Torschlüsspanik" zu vergleichen. Teilweise gelingt es Calvo, noch ordentlich einen drauf zu setzen und die eh schon hohe Qualität seines Debüts zu steigern. In diesen Momenten ist "Social Phobia" wirklich absolut brillant. Auf der anderen Seite gibt es zwischendurch aber auch Momente, die die Qualität ein Stück nach unten ziehen. Dazwischen gibt's absolut hochwertigen Industrial, der sich zwar jederzeit gut hören lässt, aber auch etwas weniger einzigartig wirkt als "Torschlüsspanik". Ich muss sagen, dass es schon eine Leistung ist, seine Musik etwas mehr für die Tanzfläche auszulegen und dabei diese Qualität und doch auch Eigenständigkeit abzuliefern. Am Ende des Tages hat mich "Torschlüsspanik" aber ein wenig mehr beeindruckt. Wenn ihr aber 2000'er Industrial Electro sucht und ihr die Nase voll von den üblichen Verdächtigen habt, dann kann ich empfehlen, dieses Album mal nachzuholen.

Punkte: 8 / 10


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