Verglichen mit dem brillanten Vorgänger "Low", der verzweifelt, gebrochen und hoffnungslos wirkt, bietet "Heroes" in manchen Momenten etwas hellere Musik; sofern man das sagen kann, denn auch auf "Heroes" hört man gut, WO dieses Album entstand. Es ist das einzige Bowie-Album, das komplett in Berlin geschrieben und aufgenommen wurde - Berlin in der 2. Hälfte der 70er wurde überschattet durch eine destruktive Drogenszene, die durch den Film "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof-Zoo" - in dessen Verfilmung Bowie gar einen Gastauftritt hat, da seine Musik den kompletten Soundtrack dazu liefert - zu etwas zweifelhaftem Ruhm gelangte.
Diese Düsterheit kommt besonders auf der 2. Seite des Albums zum tragen - angeführt vom enorm unterkühlten, völlig hoffnungslosen und fast wie ein Omen wirkenden "Sense of doubt"! Nicht zuletzt für mich deswegen wohl dermassen morbid, weil im "Christiane F." Film der Song dann läuft, wo sich das junge, schier unschuldige Mädchen in irgendeinem muffigen Bahnhof-Klo einen Schuss setzt und zusammen bricht, auf den schmutzigen Boden fällt und - so erscheint es mir - in diesem Moment ihr unbeschwertes Mädchen-Dasein verliert und endgültig in der verlorenen, hoffnungslosen Welt des Heroins gefangen genommen wird. Bewusstlos auf dem kühlen, dreckigen Boden...
Und das ist auch das, was das Stück vermittelt; Dreck, Tod, Kälte, Isoliertheit, keine Hoffnung - schlicht das Ende! Wunderschön und dennoch abstossend; der tragende, warme kurze Mittelteil ist wie ein Entschweben von hier... Es ist für mich das Heroin-Lied der Platte, da Heroin sowohl Tod, das Ende als auch ein wärmendes Gefühl des Momentes mit sich bringt!
Auch nicht viel positiver ist das von Kraftwerks Florian Schneider inspirierte Halbinstrumental "V-2 Schneider"; es beherbergt eine hektische Atmosphäre, die in ihrer paranoiden Art vielleicht Bowies Kokain-Erfahrungen widerspiegelt! Sehr gut vertont, wunderbar dicht in Sachen Atmosphäre.
Dem gegenüber steht das fast schon New Age-mässige "Moss garden"; ein schwebend sonniges, unbetrübtes Instrumental, hoffnungsvoll, positiv und zwischen der Dunkelheit der anderen Instrumentalsongs wie ein Anker wirkend, der alles festhält damit es nicht zu zerbrechen droht. Dieser Kontrast der Songs - die unterkühlte New Wave Atmosphäre gegenüber der positiven New Age - macht "Heroes" in Bowies Gesamtschaffen schier einzigartig und zeigt auch den Kontrast Berlins wieder, das kalt und fies durch eine ungewollte, gehasste Mauer entzweit hat.
"Neuköln", eigentlich richtig Berlin-Neukölln geschrieben, ist ein wirres, verstörendes, faszinierendes Intrumental, das irgendwie weder besonders destruktiv wie "Sense of doubt", noch sonnig wie "Moss garden" ist - es wirkt auf mich unheimlich und man kann nur erahnen, was Bowie in diesem Intrumental auszudrücken versucht, respektive welche Verbindung und Gefühle er zu Neukölln hat - besonders positiv klingt es nicht!
Zusammengefasst sieht es so aus; "Heroes" ist nicht mehr so melancholische wie "Low", das in seiner Art "Heroes" gegenüber beinahe etwas "naiv" wirkt; "Heroes" beherbert diese Kälte, diese Distanz, die später in der New Wave/New Romantic eine grosse Rolle spielen wird - auch der Überhit "Heroes" (hier komplett in Englisch, in der langen Fassung - es wurde auch eine Deutsch/Englische- und eine Französisch/Englische-Version davon aufgenommen) vermittelt kein gutes Gefühl, auch wenn der Song enorm Schub hat und einem pusht - man wird zu was gepusht das nicht gesund ist!
"Heroes" ist für mich ein kleines Meisterwerk, das die abstrusen Fantasien des Herrn Bowies gut zu vertonen scheint - ein Mann, der innerlich zerrissen wurde, sich den Drogen hingab und darum kämpfte davon los zu kommen - dieser Kampf, so empfinde ich das, ist in "Heroes" gut nachzuvollziehen... Mächtige 9,5 Punkte, ich neige fast dazu das Maximum zu geben!
Punkte: 9.5 / 10