Das Booklet macht mit dem Versprechen “Combichrist fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu. Combichrist kann tödlich sein.” schonmal einiges an Vorfreude und insgesamt haben wir hier auch relativ viel Material, mit dem ich mich, meine Ohren und meinen Musikgeschmack auch so richtig schön schädigen kann. Ganze 8 Tracks sind hier am Start, wobei sich die EP mit ihrer Tracklist deutlich unter Wert verkauft, da gleich drei davon nicht gelistet sind. Alle 8 Tracks sind außerdem so ~5 Minuten lang - man muss also gar nicht viel rechnen, um darauf zu kommen, dass “Sex, Drogen Und Industrial” in etwa Albumlänge hat. Wenn jetzt auch noch die Qualität so stabil ist, dann kann eigentlich nichts mehr schief gehen…
Fangen wir mal mit der “Blut Royale”-Single an. Hier steht natürlich “Blut Royale” selbst im Vordergrund - ein wirklich geiler Song auf “Everybody Hates You”. Hier bekommen wir den ganzen Spaß allerdings als Instrumental oder für die Freunde schlechter Wortspiele als "Instru-Mental". Fairerweise muss man sagen, dass sich “Blut Royale” selbst ohne Vocals immer noch ganz gut hören lässt. Trotzdem ist es in der Form schon ein ziemliches Downgrade gegenüber dem Original. Ist vielleicht eine andere Erfahrung, wenn man im Gegensatz zu mir die EP vor dem Album gekauft und zuerst die instrumentale Version gehört hat. Macht dann vielleicht auch etwas Neugier auf das Album, aber eigentlich sehe ich keinen Gewinn darin, den Song ohne Vocals zu haben. Cool wären vielleicht auch beide Versionen gewesen oder sogar ein Remix.
Das bekommen wir beides nicht, sondern stattdessen zwei Songs, die es auf kein Album geschafft haben und bei denen ich halt leider auch sehr gut verstehen kann, warum, da sie für Combichrist-Verhältnisse erstaunlich langweilig klingen. “Tractor” ist für mich hier von den beiden der schlimmere Kandidat. Die erste Minute passiert fast nichts und selbst danach nur sehr wenig. Die Vocals klingen irgendwie so, als wäre LaPlegua auf Valium und das musikalische Grundgerüst ist viel zu simpel aufgebaut, um das ganze Ding 5 Minuten lang zu tragen. Und damit meine ich nicht den guten alten Minimalismus von “The Joy Of Gunz”, sondern eher simpel in Form von “da steckt keine Power dahinter”. Im Prinzip hat man nach der Hälfte eh schon alles gehört, was “Tractor” zu bieten hat. Stellt euch jetzt bei den Lyrics noch ein paar sehr weit hergeholte Fahrzeug-Metaphern vor, die so auch von einem Grundschüler stammen könnten und ihr wisst, was euch erwartet. Hier hätten wir auch den einzigen Unterschied zum Vinyl: dort gibt es noch eine kürzere Version von “Tractor” - für mich persönlich jetzt nicht unbedingt ein guter Selling Point für das Vinyl.
Nicht ganz so schlimm finde ich dagegen “Anatomy”. Wenn wir ganz genau sind, dann ist “Anatomy” für mich sogar in jeder Hinsicht besser als “Tractor” - leider halt eben nur geringfügig besser. Also wir haben wieder 5 Minuten Laufzeit, einen eher einfachen Sound und nicht unbedingt viel Power dahinter. Die Vocals klingen schon etwas mehr danach, wie spätere Combichrist-Vocals so klingen sollten, aber immer noch zu soft. Die Tatsache, dass die Lyrics im Prinzip ausschließlich aus der Line “I don't know what to do. So senseless. There is no sense at all.” bestehen, hilft nicht unbedingt dabei, den Track weniger langweilig zu machen. Aber immerhin ist die Musik, die dahinter steht, dieses Mal ein wenig treibender und abwechslungsreicher. “Anatomy” kann man irgendwie schon so machen, ist dann aber auch so ungefähr das Minimum, was ich mir von einem Combichrist-Song erwarten würde.
Das Fazit für die “Blut Royale”-Single fällt also schon mal deutlich schlechter aus, als erwartet. Aber vielleicht kann “Sex, Drogen und Industrial” das Gesamtwerk ja noch retten. Hier dreht sich natürlich alles um den Song “Sex, Drogen und Industri” (ja, etwas abweichender Name vom Titel der EP). Wir haben hier zuerst zwei Remixes und erst danach den eigentlichen Song, der seltsamerweise noch nicht mal auf der Tracklist aufgeführt ist. An sich ist “Sex, Drogen und Industri” ein Instrumental, welches allerdings - ähnlich wie “This Shit Will Fuck You Up” noch von einer weiblichen Computerstimme begleitet wird, was Anfang der 2000’er irgendwie auch etwas cooler war, als es heute ist.
Los geht's mit dem Remix von LowTech. Dieser ist für mich ein zweischneidiges Schwert. Wenn er alles auffährt, was er zu bieten hat, dann macht er ziemlich viel Bock und erreicht erstaunliche Höhen. Dazu muss er allerdings erst einmal kommen und bis dahin hat er leider echt viel Leerlauf. So als Hintergrundmusik geht er schon in Ordnung, aber die meiste Zeit kommt er tatsächlich ziemlich schlicht und starr daher.
Da ist der Remix von Soman schon etwas interessanter. Die Computerstimme wurde hier durch eine echte Frauenstimme ersetzt, die auf sehr laszive Art den Titel “Sex, Drugs And Industrial” ausspricht, um die Verwirrung um den Songnamen perfekt zu machen. Wir haben hier mehr oder weniger das Gegenteil vom LowTech-Remix. Hier ist der Track nämlich grundsätzlich sehr treibend und spaßig und wird nur zwischendurch mal durch ein paar etwas sperrige Momente unterbrochen. Das Tempo ist aber hoch und der Remix an sich recht abwechslungsreich.
Trotzdem wird die Qualität mit der ursprünglichen Version sogar noch mehr gesteigert. Das einfache “Sex, Drogen und Industri” ist unkompliziert, aber verdammt effektiv. Ein einfacher, aber unglaublich treibender Rhythmus und ein paar Samples, die ziemlich süchtig machen. Für mich ist der Track ein bisschen wie der kleine Bruder von “This Shit Will Fuck You Up”. Das hätte vom Stil her gut auf “Everybody Hates You” gepasst und wäre da einer der besseren Songs gewesen. Die beiden Remixes sind insgesamt ganz nett, aber das Original ist wirklich ein kleines Highlight.
Auf Position 66 bzw. 69 gibt es dann noch zwei Hidden Tracks. Zuerst gibt es nochmal einen kleinen Ausflug zu “The Joy Of Gunz” mit dem “Combicritters Remix” von “Vater Unser”. Mal abgesehen davon, dass hier die gleichen Sprachsamples verwendet werden, erkenne ich in diesem Remix nichts von “Vater Unser” wieder, aber vielleicht fehlt mir dazu auch das richtige musikalische Gehör. Das ist ungünstig, denn “Vater Unser” hat für mich unter anderem deshalb so gut funktioniert, weil die Musik so gut auf die Samples zugeschnitten war. Hier haben wir jetzt ganz solide Beats und Industrial-Arrangements, die allerdings etwas austauschbar wirken. Theoretisch hätte man hier auch jeden anderen Song von “The Joy Of Gunz” oder gar “Sex, Drogen und Industri” als Grundlage nehmen können und wäre damit wahrscheinlich sogar besser gefahren.
Ganz zum Schluss gibt es dann eine Live-Aufnahme von “Like To Thank My Buddies” - aufgenommen auf dem Infest 2004 und ich bin echt positiv überrascht. Der Song sollte auf dem Album später ein gutes Stück anders und auf seine Art ebenfalls ziemlich klasse klingen, aber live kommt er nochmal deutlich brutaler rüber. Dass die Qualität der Aufnahme nicht gerade super clean ist, hilft sogar eher mal dabei, die Stimmung noch besser zu transportieren und einen ziemlich guten Eindruck davon zu vermitteln, wie heftig Combichrist-Konzerte Mitte der 2000’er waren.
Obwohl “Sex, Drogen und Industrial” gegen Ende ein gutes Stück zulegt und gerade mit “Sex, Drogen und Industri” und “Like To Thank My Buddies” zwei große Highlights am Start hat, bin ich vom Gesamkunstwerk leider nicht so ganz überzeugt. Vielleicht ist es auch einfach nur nicht so richtig gut gealtert. Damals war es immerhin sieben Wochen auf Platz 1 in den deutschen Alternative Charts. Sicherlich mag es damals einiges an Neuigkeitswert gehabt und davon gezeugt haben, wie sehr sich Combichrist in kurzer Zeit entwickelt hat, aber gleichzeitig bewegt es sich für mich an einem etwas ungünstigen Punkt, an dem der rohe und brutale Sound vom Debüt fehlt, man aber noch nicht so richtig zum neuen Stil gefunden hat. Gerade die “Blut Royale”-Single zieht den Schnitt auch etwas runter. Da mochte ich tatsächlich die etwas weirde “Kiss The Blade”-EP noch etwas mehr.
Ich würde “Sex, Drogen und Industrial” am ehesten als Ergänzung zu “Everybody Hates You” sehen. Wenn ihr das Album mögt, davon unbedingt noch mehr wollt und euch gewisse Qualitätseinbußen nicht abschrecken, dann könnte die EP was für euch sein. Ansonsten lässt sich das Ganze aber auch ganz gut überspringen, ohne dass ihr einen wirklich wichtigen Teil der Combichrist-Geschichte verpasst.
Punkte: 4.5 / 10