Mit "Sie hat alles vergessen" geht's gleich richtig ab: Bernadette Hengst spielt eine treibende Mischung aus Rhythmus- und Leadgitarre, die Drums von Katja Böhm und Peta Devlin's Baß gehen gut nach vorne und Karen Dennig an den Tasten tupft ein paar Licks in das luftige Arrangement das näher am Punk als am Pop ist - toll die gegenläufigen Gesangspassagen im Refrain. Und das ist das Markenzeichen der Bräute: Frisch von der Leber weg wird da scheinbar drauflos musiziert nach dem Motto "Perfektion ist langweilig", aber trotzdem ist das alles klug arrangiert und gerade auch die Chorpassagen machen immer wieder Spaß. Die Texte drehen sich oft um das Thema Beziehung, verlieren sich aber nicht in den nichtssagenden Boy-Girl-Stereotypen, sondern sind erfrischend frech und schräg. Titel wie "Der langweiligste Junge der Welt" oder "Mann mit einem Hang zur Depression" mögen erstmal abschrecken, sind aber musikalisch bei weitem nicht so eintönig, wie die Titel vermuten lassen. Bernadette Hengst hat einen Faible für Gedankenspiele, die sie auch gern detailliert zu Ende denkt:"Was nehm ich mit, wenn es Krieg gibt?", "Alles was mir fehlt" und "Wenn du gehst" fallen in diese Kategorie. Mehrere englischsprachige Songs von Baßfrau Peta Devlin fügen sich im Grunde nahtlos dazwischen und bringen manchmal einen Schuß Country ins Repertoire. Philosphisch und fast psychedelisch wird's bei "Blätter & Menschen" und "Überall". Meine persönlichen Highlights sind das freche "Soll-ich-oder-soll-ich-nicht?"-Engelchen-Teufelchen-Szenario "Laß es! Tu es!", bei dem auch Drummerin Katja Böhm gesanglich zum Zug kommt und das Publikum am Ende abstimmen darf, natürlich der Opener "Sie hat alles vergessen", die Hits "Nichts ist für immer" und "Was nehm ich mit?" und das melancholische "1000 Bier mit dir", das fast nur von Bernadette Hengst's Gitarre getragen wird.
Erfrischend, schräg, ein wenig trashig, intelligente Texte und doch auch wieder Melodien, die ins Ohr gehen und mitreißende Musik für Bauch und Beine: Diese Scheibe hat mich damals sofort erobert und ist immer noch einer meiner Favoriten.
Bernadette Hengst hat inzwischen ein "La" zwischen Vor- und Nachname gesetzt und macht alle paar Jahre eine neue Scheibe, die musikalisch mehr in Richtung Elektropop geht aber immer noch mit hörenswerten Texten aufwartet. Sie ist live vielseitig unterwegs bei vielen Projekten im Bereich alternatives Musiktheater und engagiert sich aktiv für ein bedingungsloses Grundeinkommen, Integration und ähnliche gute Sachen. Peta Devlin arbeitete letztens mit Bela B. zusammen.
Punkte: 10 / 10