BAP Zwesche Salzjebäck Un Bier (1984) - ein Review von Spike65

BAP: Zwesche Salzjebäck Un Bier - Cover
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1 Review
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17 Ratings
8.32
∅-Bew.
Typ: Album
Genre(s): Rock: Pop-Rock


Spike65
05.09.2017 17:08

Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen um dieses Album. Bis dahin hatte sich die Musik von BAP relativ homogen entwickelt, die Rock-Nummern hatten einen gewissen Stil und Sound, der unverkennbar BAP war. Die vorigen Alben hatten auch alle mit einer Rocknummer begonnen - dieses Album nun begann mit einem langsamen Stück, das so ganz anders war als alle BAP-Songs zuvor. BAP hatte sich in den zwei Jahren seit "Vun drinne noh drusse" kompositorisch und musikalisch enorm weiterentwickelt. Mit Wolfgang Boecker verließ 1983 ein weiteres Gründungsmitglied die Band - erstmals nicht freiwillig, sondern die musikalischen Ansprüche waren inzwischen so, daß der "Original-Trommler" sie nicht mehr erfüllen konnte: Die Band-Demokratie beschloß, daß ein versierter Profi her muß, der mit Jan Dix gefunden wurde. Die Arrangements wurden komplexer und die Instrumentierung vielseitiger - noch allerdings war BAP als Band federführend bei der Produktion. Erstmalig aber konnten manche Songs nicht mehr 1:1 von der Band alleine live umgesetzt werden - der ein oder andere Roadie (Kalau, Fisch) kommt mit auf die Bühne und spielt ein Instrument. Das alles warf damals die Frage auf:"Ist das noch BAP?"

"Bahnhofskino" ist eine düstere Endzeit-Vision, in der sich der damals werdende Vater Niedecken die Frage stellt, welche Zukunft seine Kinder haben werden in dieser Welt der atomaren Bedrohung, des kalten Krieges, der Umweltzerstörung und Kernkraft-Gläubigkeit. Der Song beginnt mit einer Nachtstimmung, die mit akustischer Gitarre und Synthi-Layer erzeugt wird und erstmal positiv in Dur anklingt. Nach dem ersten Refrain beginnt dann eine düstere Traumsequenz, die textlich wieder als Collage daherkommt, musikalisch von einem bedrohlichen Trommelrhythmus und tiefen Klavier- und Synthi-Klängen bestimmt wird. Hingetupfte hohe Klavier-Arpeggios vermengen sich mit Einzelton-Folgen der akustischen Gitarre zu einer Alptraum-haften Stimmung. Niedecken malt wieder einen Text zwischen Bruegel und Bosch, Strophe 3 wird noch gesungen, dann geht es nach dem Refrain in gesprochenen Text über, dessen Personen dem Titelbild des Sgt. Pepper-Albums der Beatles entsprungen zu sein scheinen. Das Ganze steigert sich musikalisch immer weiter, um am Kulminationspunkt sich dann wieder im warmen Dur-Akkord des Synthi-Layers vom Anfang des Songs aufzulösen und eine verzagt-optimistische Stimmung zum Songende ausklingen zu lassen:"Hätt dat Kind enn dir wirklich nur'n Chance, wie se'n Schneeflock hätt Mitte August?". Textlich wie musikalisch ein hochinteressanter Song, eine vertonte schlaflose sorgenvolle Nacht. Ein Song, der die Jahre überdauert hat und immer wieder im BAP-Set zu finden war, und der nun auch auf dem im Oktober 2017 erscheinenden Solo-Album von Wolfgang Niedecken in einer musikalisch komplett überarbeiteten Fassung erscheinen wird.

"Drei Wünsch frei" ist ein weiterer Wutsong des über den sinnlosen Rüstungswettlauf empörten Wolfgang Niedecken. Beeindruckend ist Niedeckens Einfallsreichtum, denn die Rüstungskritik verpackt er in eine irrwitzige Geschichte von einer Fee, die einer Bierdose entsteigt und ihm drei Wünsche gewähren will. Der Text schildert sarkastisch den Wahnsinn und die Widersprüchlichkeit darin, Frieden durch Millionen-Investitionen in Waffen zu garantieren, während in anderen Teilen der Welt in jeder Sekunde sechs Kinder verhungern. Gekonnt führt der Text über Satire zum mahnenden Klartext und beißender Kritik, während musikalisch ein sattes Bläser-Riff, ein treibender Drum-Rhythmus und die rockige Les Paul den Ton angeben. Eine reinrassige Rolling Stones Nummer im Stil von "Brown Sugar". Ein ausgiebiges Gitarrensolo über das Strophenriff führt zu einem leiseren Zwischenteil, der sich zur letzten Strophe hin wieder zum vollen Rock-Brett steigert. Und textlich läßt sich Niedecken es nicht nehmen, auch eine bissige Schlußpointe zu setzen.

Der dritte Song mit dem optimistischen Titel "Diss Naach ess alles drin" beginnt melancholisch mit einer Trompetenmelodie über Klavier und Synthi-Layer. Niedecken verpackt seine Gesellschaftskritik hier in eine Milieu-Schilderung des trostlosen Alltags einer Clique von arbeitslosen Jugendlichen und deren Freitag-abendliche Flucht ins Lichtermeer der Großstadt, wo sie die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation für ein kurzes, rauschhaftes Wochenende zu vergessen suchen. Musikalisch wird der Kontrast zwischen trostlosem Alltag in den langsamen ersten zwei Strophen und dem Ausbruch in die Freiheit des Wochenendes mit den schnellen rockigen Strophen und dem Mitsing-Refrain toll umgesetzt: Sobald der "Andy me'm Escort" kommt, beginnt das Klavier zu beschleunigen und dann geht es ab und aus den arbeitslosen Losern werden für einen Abend die coolen Aufreißer.

"Sendeschluß" ist ein weiterer berührender Song, der aus der Sicht der 15-jährigen Ausreißerin Kerstin geschrieben ist, die ihrer Band BAP hinterher trampt, nur um festzustellen, daß auch die ihr keine Aussicht auf eine bessere Zukunft bieten kann. Unheimlich dicht die Schilderung im Text: Der Hörer sitzt praktisch im Wohnzimmer mit dabei, wo die Mutter nach der Tagesschau zwischen Salzgebäck und Bier eingeschlafen ist, während im TV das samstägliche Ohnsorg-Theater läuft und den kleinbürgerlichen Mief von Schrankwand und Sofa untermalt. Es ist der Traum von Freiheit, vom Ausbrechen aus dem Frust auf der Suche nach dem "echten Leben" im Glauben:"Die werden mich nichtmal vermissen ...". Klaus Heuser webt hier mit akustischer Gitarre und Streichern den sehnsüchtig-melancholischen Klangteppich, der Niedeckens Text homogen untermalt und unterstützt. Dramatisch steigert sich der instrumentale Zwischenteil nach Strophe 2. Hier stieß BAP live an seine Grenzen: Dieses Arrangement konnte nur mit Hilfe von Samplern und einem zusätzlichen Keyboarder live annähernd umgesetzt werden, weshalb der Song auch 1984/85 und 1986/87 im Live-Programm gespielt wurde. Erst ein radikal neues Arrangement zur "Zieht den Stecker"-Tour 2014 gab dem Song eine angemessene Live-Umsetzung, die ohne Gastmusiker präsentiert werden konnte.

Mit "Alexandra, nit nur do" beginnt Seite 2 der LP: Ein weiterer Klassiker, der aus dem Live-Repertoire von BAP nicht mehr wegzudenken ist. Ein kleines Mädchen, das in einem Park verloren nach seiner Spielkameradin Alexandra rief, inspirierte Niedecken zu diesem Text, der wieder eine Collage von Eindrücken und Erinnerungen ist, die sich zu einem Bild von Einsamkeit und Trostlosigkeit verweben. Auch in der Form ist dieser Text ungewöhnlich, denn das Reimschema der Strophe ist nicht gleich zu erkennen. Und erstmalig dominiert hier Effendi's Klavier eine Rocknummer von BAP, während die Gitarre nur zwischen den Gesangs-Zeilen ihre kräftigen Akkorde einwirft. Das Arrangement wirkt luftig und kommt doch rockig-hart daher - weniger ist hier mehr, zumal die Gitarre dann beim ausgiebigen mehrminütigen Solo ihre Highlights setzen darf.

Bei "Jojo" erweitert Major Heuser sein Instrumentarium um ein Dobro, was maßgeblich dazu beiträgt, daß aus dieser Milieu-Schilderung von Wolfgang Niedecken kein Null-Acht-Fuffzehn-Liedermacher-Song wird. Inspiriert von einer älteren Passantin mit Hund entwickelt Niedecken in drei wortreichen Strophen beispielhafte Schicksale gestrandeter Existenzen. Ein leiser, nachdenklicher Song über das Leben im Alter.

Gut getarnt mit Rolling-Stones-Gitarrenriff und Honky-Tonk-Piano erweist Niedecken mit "Zofall un e janz klei bessje Glöck" seinem Idol Bob Dylan eine weitere Reverenz: Die ein oder andere Textpassage findet ihr Vorbild im Dylan-Song "A simple Twist of Fate". Eine straighte Rocknummer zum Thema Beziehungsende. Eigentlich schade, daß dieser Titel schon nach einer Tour wieder aus dem Set rotiert wurde.

Die vorletzte Nummer der LP schrieb BAP-Geschichte. "Deshalv spill' mer he" war eigentlich extra für die für Januar 1984 geplante DDR-Tournee geschrieben worden als Statement, aus welchen Gründen BAP diese Tour spielt. Offensichtlich waren Niedecken und BAP hier zu blauäugig, denn entgegen voriger Vereinbarungen bestanden nun die DDR-Kulturbehörden darauf, daß dieser Song nicht auf den Konzerten gespielt werden dürfe. BAP war nicht bereit, solche Abstriche zu machen, und so reiste die Band am Morgen des ersten Tourtages nach erfolglosen Verhandlungen ohne ein Konzert gespielt zu haben wieder ab. Offiziell verbreiteten die DDR-Behörden die Nachricht, BAP sei nicht Willens gewesen, unter der Symbol der weißen Friedenstaube auf blauem Grund aufzutreten.
Musikalisch einmal mehr der klassische BAP-Rocker mit charakteristischer Gitarrenarbeit aus dem Hause Heuser und wohlformuliertem Klartext von Wolfgang Niedecken - Mitsing-Refrain inclusive.

Die LP endet mit dem persönlichsten Song:"Schloof Jung, schloof joot" knüpft thematisch an an John Lennon's "Beautiful Boy" und ist ein Schlaflied für Niedeckens ersten Sohn Severin. Eine ruhige akustische Nummer, die zu Niedecken's Überraschung notgedrungen Teil des BAP-Live-Sets wurde, als auf der Salzjebäck-Tour 84/85 die Konzerte in den Bereich zwischen 3,5 und 4 Stunden und Setlisten zwischen 35 und 40 Songs ausuferten.

Mit "Zwesche Salzjebäck un Bier" endet für so manchen BAP-Fan die beste Zeit der Band. 6 der 9 Songs auf dem Album zählen zu den BAP-Klassikern. Die mit diesem Album begonnene musikalische Entwicklung führt aber zu Spannungen in der Band, die über ein Jahrzehnt andauern werden. Die Band ist ab hier im Zwiespalt zwischen Authentizität und Kommerz, zwischen dem Wunsch nach internationalem Erfolg und dem Wissen darum, daß die Nische des Kölschrock die entscheidende Stärke und das Alleinstellungsmerkmal der Band ist. Musikalisch wie textlich ist "Salzjebäck" hervorragend gelungen und zählt zu den besten Alben der Band. Mit dem Folge-Album "Ahl Männer, aalglatt" beginnt eine Periode, in der Produzenten und Plattenfirma mehr Einfluß auf den Sound von BAP nehmen und BAP sich musikalisch an Vorbildern wie Queen und Bon Jovi orientiert in der Hoffnung auf größere Verkaufszahlen. Live bleibt BAP weiter eine Macht, im Studio jedoch ist die Band in Gefahr, ihre Identität zu verlieren.

Die Remaster Bonus CD kommt mit nur 5 Songs etwas schwachbrüstig daher, enthält aber immerhin mit der Urversion und der Single-Version von "Nackt im Wind" zwei Tracks, die noch nicht auf BAP-Platten zu hören waren, und eine Live-Version von "Sendeschluß" mit Streich-Orchester gab es bis dahin auch noch nicht auf Tonträger.

Punkte: 9 / 10


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