Gesellschaftskritisch beginnt das Album mit dem Song "Wat jeht uns die Sintflut ahn?", in dem Niedecken die junge Generation auf's Korn nimmt, die in Mahnern und Schwarzmalern, die sich Gedanken über die Zukunft machen, nur Störenfriede ihrer Party sieht:" Wat jeht uns die Sintflut ahn, sulang mer he noch danze kann? Joot, dat Platz ess om Vulkan, un dat mir all kein Kinder hann.". Sehr modern kommt das Arrangement daher mit Synthi-Loops und allerlei modischem Sound-Schnickschnack - die rockige Gitarre von Major Heuser reißt das Ganze nochmal raus.
Mit "Hück ess sing Band en der Stadt" schreiben Niedecken und Heuser den perfekten Opener der letzten Major-Tour und setzen der Sporthalle Köln, in der BAP 23 Konzerte spielten und die im März 1999 gesprengt wird, ein Denkmal. Niedecken spannt erzählerisch den Bogen von seinem ersten Rolling Stones Konzert 1967 in dieser Halle über seine ersten musikalischen Schritte mit der Schülerband bis zum letzten BAP-Konzert vor dem Abriß der Halle. Das ganze wird vom Major ordentlich rockig verpackt und wird auf der Abschiedstournee und den 3 folgenden Tourneen eine Stütze im Live-Set von BAP sein. Jens Streifling steuert ein Bluesharp-Solo bei.
"Lena" ist die erste BAP-Single, die nicht von Klaus Heuser komponiert wurde. Jens Streifling hat die schwüle Sommerstimmung in Musik gefaßt, auf die Niedecken eine erotisch knisternde Begegnung textet - so überzeugend, daß bei der Neu-Veröffentlichung auf dem Solo-Album "Zosamme alt" Niedecken's Frau Tina überrascht ist, daß dieser Text über sie geschrieben wurde: Sie war davon ausgegangen, daß da ein möglicher Seitensprung inspiriert hatte.
"Psycho Rodeo" ist ein eingängiger Rocker, bei dem der Gedanke des Live-Gigs im Vordergrund steht: Niedecken kokettiert im Text damit, wohin die Band da nun wieder geraten sei und was das wohl für Leute sind und ob die kein Zuhause haben, daß sie alle hier rumhängen. Nette Anekdote am Rande: Der Text blieb Niedecken fast im Halse stecken, als ihm bei einem der Warm-up-Konzerte, das in einer JVA stattfand, bewußt wurde wie so manche Textzeile in dieser Location einen fast hämischen Unterton bekam. Auch hier zeichnet wieder Klaus Heuser verantwortlich für die rockige Musik. Jens Streifling soliert auf dem Saxophon.
Mit "Ahnunfürsich" setzt Niedecken nach 10 Jahren nochmals einen Schlußpunkt unter seine erste Ehe mit der Message "alles längst abgehakt", und auch mit dem Schuß Selbstironie, mit dem er den Zustand der wieder zur Junggesellenbude gewordenen Wohnung beschreibt. Tatsächlich ist er zu diesem Zeitpunkt schon wieder 7 Jahre glücklich verheiratet, aber der Song ist ja auch eine Auftragsproduktion und soll als Titelmelodie der neuen Krimi-Reihe "SK Kölsch" auch zum Plot passen. Der Major mit dem Händchen für eingängige Melodien verpackt das Ganze in eine entspannte Reggae-Musik mit Slide-Gitarren-Solo.
"Widder su'ne Sonndaachmorje" ist eine direkte Folge eines früheren Gigs in einer JVA. Niedecken textet auf die eingängige Major-Melodie eine Sonntag-Vormittag-im-Knast-Szenerie mit Besuch und dem Wissen, daß man nach den kostbaren Minuten im Besuchsraum wieder in der karg möblierten Zelle mit den Schwedischen Gardinen weggeschlossen wird. Eine coole Strat mit reichlich Chorus macht den Soundteppich der Strophe, und das Arrangement erinnert doch sehr an Niedecken's Interpretation von Dylan's "It's all over now, Baby blue" von seinem '95er Solo-Album "Leopardefell".
Der Song "Für'ne Moment" wird von Niedecken inzwischen als seine "Visitenkarte" bezeichnet. Er geht zurück in die Zeiten, als eine Horde Studenten Mitte der 70er Jahre in einem Wiegehäuschen eines Steinbruchs wöchentlich eine Kiste Bier leerprobte, und den Moment, als diese "merkwürdije Sprooch" zum Markenzeichen der Band wurde:
"All ming Jedanke, all ming Jeföhle hann ich, sulang ich denke kann immer noch, ussjelääv oder ertrare enn unserer eijene Sprooch." Musikalisch kommt der Song in einem Arrangement, das sich schon fast peinlich an den musikalischen Zeitgeschmack anbiedert: Eine programmierte Drumloop unterlegt mit per Phaser verfremdeten Synthi-oder Orgel-Klängen bildet das Fundament der Strophe, im Refrain unterstützt Major mit Power-Chords. Das sollte in späteren Live-Versionen ganz anders klingen. Dieser Song ist bis heute und wird auch in Zukunft einer der Pfeiler der Live-Setlisten sein. Unvergesslich, als dieser Song 2011 beim "Wohnzimmerkonzert" im Chlodwig-Eck als letzte Zugabe gespielt wurde und die ca. 100 Fans den Refrain noch minutenlang nach dem Abgang der Band weitersangen.
"Du kapiers et nit" wird von Major's und Streifling's Gitarren dominiert, die einen dichten Teppich aus Akkordarbeit und Fills weben, auf dem Michael Nass mit E-Piano und Hammond Akzente setzt. Auch hier ein Harp-Solo von Herrn Streifling. Niedecken singt darauf die hämische Gardinenpredigt auf den ewigen Besserwisser, der nun endlich seine Grenzen gefunden hat und auch mal ratlos ist.
"Josephine, sechs Uhr" ist der Song von der Freiheit auf zwei Rädern nach Feierabend mit der Herzdame auf dem Sozius. Wie bei den meisten Songs auf Comics & Pin-ups auch hier wieder ein eingängiger Refrain-Chor, ein solider Midtempo-Gitarrenrocker, das Solo einmal mehr Jens Streifling auf der Harp.
"Allerletzte Chance" ist eine eher langsame, ruhige Nummer, und Niedecken skizziert darauf eine spät-nachts-in-der-Hotelbar-Stimmung an einem karibischen Urlaubsort.
"Miss Samantha's Exclusiv-Discount-Jeschenk-Boutik" ist textlich eine Mischung aus der Niedecken'schen Satire-Abteilung verbunden mit seiner Neigung, Souvenir-Artikel zu vertonen: Zum erstenmal seit Jahren wieder ein Song mit fünf Strophen, der in diesem Fall die Abstrusitäten auf die Schippe nimmt, die man mittlerweile überall auf der Welt in Souvenir-Shops und Geschenk-Boutiken für teures Geld erwerben kann. Dabei geht's zum Teil bitterböse und makaber zu Werk, wenn "Desert-Storm" T-Shirts, Tarantino-Briefbeschwerer und Lederjacken mit Pailletten-Totenkopf angepriesen werden und nicht nur die Esoterik-Szene, sondern auch das literarische Quartett ihr Fett abbekommen. Musikalisch greift Major zur 12-saitigen Klampfe und schrummt in bester Mitsing-Manier - auch die Mundharmonika aus Liedermacher-Zeiten kommt hier wieder mal zum Zug.
"Besser wöhr et schon" richtet sich an all die, die wissen was zu tun wäre, aber einfach nicht den Arsch hoch kriegen. Einmal mehr Major's Strat mit viel Chorus, dazu etwas Dobro und ein Vibraphon-Sound von Effendi's Tasten bestimmen den leicht jazzigen unterkühlten Sound des Songs.
"Nie zo spät" setzt den Schlußpunkt des Albums mit warmen, vollen Gitarren- und Pianoklängen auf einer Percussion-Loop. Der Text beschreibt wohl einen Moment der Nachdenklichkeit und Rückschau im Urlaubsflieger irgendwo über Kuba.
Selten war die Musik von BAP so Technik-affin wie auf diesem Album. Effendi spielte fleißig an den Knöpfen der Effekt-Section seiner Synthesizer, so manches Intro nutzte Drum-Loops, überhaupt wurden all die Segnungen der Digitaltechnik ausprobiert. In Zeiten von Techno und House, in denen auch Urgesteine wie Cher stampfende Tanzrhythmen brachten und mit Voice-Verfremdungseffekten spielten, wollte BAP zumindest halbwegs cool sein. Der gute alte Rock'n'Roll wurde im zeitgemäßen Gewand präsentiert - nur wenige BAP-Longplayer hatten so einen hohen Anteil an Radio-tauglichen Songs.
Zum Zeitpunkt der Aufnahmen war die Umbesetzung nach dem Album schon längst beschlossene Sache. Schon vor Tourbeginn wird mit der neuen Besetzung das Nachfolge-Album "Tonfilm" eingespielt und damit eine neue Ära in der Geschichte von BAP begonnen, die 15 Jahre andauern sollte.
Die Remaster Bonus CD bietet hier nur einen Non-Album-Track, nämlich das Demo zu dem auf "Tonfilm" veröffentlichten "Wo bess du jetz?". Die anderen 7 Aufnahmen sind Demo-Versionen diverser Album-Tracks, im Fall von "Miss Samantha" allerdings in einem komplett anderen, rockigen Arrangement.
Punkte: 8 / 10